Rund 150 Personen fanden den Weg ins Forum im Ried in Landquart, weitere 300 Personen verfolgten die Referate online. Aita Zanetti, seit wenigen Tagen als Standespräsidentin des Kantons Graubünden im Amt, zeigte sich in ihrer Begrüssungsrede besorgt um die Wolfssituation im Kanton. «Die Zunahme der Grossraubtiere darf nicht mehr nur als landwirtschaftliches Problem betrachtet werden», ist die Bäuerin aus Sent überzeugt.

Die Realität ist gravierend

Einer, der mittlerweile täglich mit der Wolfssituation konfrontiert ist, ist Adrian Arquint, Leiter des Amts für Jagd und Fischerei des Kantons Graubünden. Der Wolf sei mittlerweile in Graubünden ein riesiges Problem, dessen Ausmass man sich vor 20 Jahren nicht hätte vorstellen können. Entsprechend merke man jetzt, welche gravierenden Konsequenzen die exponentielle Zunahme des Wolfsbestands mit sich bringe.

«Je weiter weg man vom Problem ist, desto höher ist die Toleranz ihm gegenüber». So beschreibt Arquint die unterschiedlichen Wahrnehmungen der Wolfsproblematik zwischen der urbanen und ländlichen Bevölkerung. Die Bestandesentwicklung der Wölfe gehe rasant weiter, während alles andere hintennachhinke.

Der Vergleich Wolf – Küchenschabe 

Eindrücklich erläuterte Peter Küchler, was Landwirte, Hirten, Älpler, und Herdenschutzfachpersonen für einen unglaublichen Aufwand leisten, um die Nutztiere bestmöglich vor dem Wolf zu schützen. Das Ziel – der Schutz der Nutztiere vor den Grossraubtieren – entfernt sich immer weiter vom Ist-Zustand. Gemäss Küchler ist es in Graubünden «weder ratsam, noch zumutbar, verhältnismässig oder nachhaltig, den Herdenschutz weiter aufzurüsten. Wenn wir das tun müssen, haben wir den Zustand einer Koexistenz mit dem Wolf verpasst.» Dabei gehe es nicht einmal nur um die finanziellen Mittel, sondern um den Aufwand, das Material und die Herdenschutzhunde. Wo vorher ein bis zwei Herdenschutzhunde ausreichten, brauche es heute fünf. Bis die Zusammenarbeit zwischen den Hunden funktioniere, brauche es Zeit, ebenso sei die Ausbildung ein grosser Kostenfaktor. Komme noch dazu, dass die Schutzhunde im Winter auch versorgt werden müssen.

Die Schafhirten bezeichnete Küchler als die «Zehnkämpfer unter den Hirten». Sie seien grossen Herausforderungen ausgesetzt, etwa mit der Weideplanung oder den Nachtpferchen - «einfacher gesagt als getan», führte Küchler aus. Herdenschutz sei ein Trainingslager für Wölfe, und ihnen sollte nicht weiterhin die Chance gegeben werden, besser zu werden. Zum Abschluss machte der Direktor des Plantahofs einen Vergleich, der trotz der ernsten Situation für Lachen im Saal sorgte: «Nehmen Sie an, Sie haben eine Küchenschabe im Badezimmer. Was machen Sie? Richtig, Sie überlegen nicht lange, nehmen die Pantoffel zur Hand und schlagen die Küchenschabe zu Tode, obwohl das Tierchen eine riesige Bereicherung für die Biodiversität in Ihrem Badezimmer gewesen wäre. Trotzdem vernichten Sie sie, weil Sie genau wissen, welche Folgen es hätte, wenn Sie es nicht tun würden.»

Dem Wolf die Scheu wieder anerziehen

Im Anschluss gewährte Laurent Garde, Ökologe und versierter Herdenschutzexperte aus Frankreich, Einblicke in den Herdenschutz unseres westlichen Nachbarlandes. Die meisten Wölfe des Landes leben im französischen Alpenbogen. Als der Wolf im Land Einzug hielt, unternahm man in Frankreich erstmal gar nichts und beobachtete die Entwicklung. Da die Anzahl Übergriffe und Risse schnell anstieg, setzte man auf «halb-aktiven» Herdenschutz mit Hunden plus entweder Hirten oder elektrischen Zäunen. Da die Wolfsattacken auf Nutztiere daraufhin erstmal zurückgingen, dachte man, alles sei gut, der Herdenschutz funktioniere ja.

Doch auch die Wölfe in Frankreich lernten, sich anzupassen und wie sie die Schutzmassnahmen umgehen konnten. Als Folge davon mussten die Nutztierhalter wieder mehr Risse hinnehmen. Deshalb wurden in Frankreich ab 2015 sogenannte Verteidigungsabschüsse als «aktiver» Herdenschutz zugelassen. Ziel dabei ist, wieder Distanz zwischen dem Wolf und menschlicher Aktivität zu schaffen – der Wolf soll eine tödliche Angst haben, wenn er den Herden zu nahe kommt. Für den Verteidigungsabschuss gibt es aber auch Voraussetzungen: der Wolf darf nur geschossen werden, wenn er die Herde angreift oder sie bedroht. Zudem darf pro Jahr landesweit nur eine bestimmte Anzahl Wölfe geschossen werden; sobald diese erreicht ist, darf keiner mehr erlegt werden. Sofern die Viehhalter das Jagdbrevet besitzen, dürfen sie den Wolf auch selbst schiessen.

Den «Problemwolf» gebe es nicht

Auch die Weidetierhalter in Deutschland sind sehr stark vom Wolf betroffen, wie aus dem lebhaften Referat von Gregor Beyer hervorging. Er setzt sich nicht für ein Deutschland ohne Wolf ein, sondern für eine Regulierung der Tiere auf einen Akzeptanzbestand. Das bedeutet, dass es eine bestimmte Anzahl Wölfe im Land gibt, die aber nicht überschritten werden darf. Die Mühlen der Bürokratie unserer nördlichen Nachbarn laufen laut Beyer beim Thema Wolfsregulierung quälend langsam, zumindest aus Sicht der Weidetierhalter. Es bedarf eines extrem langen Behördenmarathons, bis ein Wolf erlegt werden darf. Angesprochen auf den Begriff «Problemwolf» erklärt der Geschäftsführer des Forums Natur Brandenburg, es gebe keine «guten und schlechten» Wölfe. «Jeder Wolf hat ein wölfisches Verhalten. Kreuzt er in Gebieten auf, in denen er nichts zu suchen hat, muss er geschossen werden, punkt.»

Beyer kämpft in Deutschland für eine pragmatische Lösung für den Umgang mit dem Wolf. Gehe es so weiter wie bisher, drohe der Naturschutz an sich selbst zu scheitern. Damit spricht er den Zielkonflikt zwischen der problematischen Wolfspopulation und dem Erhalt der Kulturlandschaft durch Beweidung an.

Alle sitzen im selben Boot

In der anschliessenden Podiumsdiskussion konnte das Publikum Fragen an die vier Referenten stellen. Adrian Arquint schilderte, dass die Bereitschaft zur Zusammenarbeit zwischen den verschiedenen Anspruchsgruppen viel tiefer sei als noch vor drei bis vier Jahren. Gregor Beyer forderte, dass endlich nüchterner über die Thematik geredet und die Probleme der Viehhalter ernstgenommen werden müssten. Auf die Frage, was den Landwirten und Züchtern in Frankreich noch die Kraft gibt, weiterzumachen, meinte Laurent Garde nüchtern: «Sie müssen sich damit abfinden. Es bleibt ihnen nichts anderes übrig.» Was den französischen Züchtern und Hirten vermutlich am meisten zu schaffen mache, sei, dass ihnen andauernd der Schwarze Peter zugeschoben werde. Die Vorwürfe sind nämlich nicht ohne – schnell einmal würden sie mit der Aussage «ihr macht mit dem Herdenschutz den Tourismus kaputt» an den Pranger gestellt.

Die Wolfsproblematik ist eine Leidensgeschichte für alle, die sich für die Weidetierhaltung und Alpwirtschaft und damit für den Erhalt unserer Kulturlandschaft einsetzen. Bleibt noch die Frage, was noch passieren muss, bis die ganze Gesellschaft den Ernst der Lage erfasst.