Endlich, Ende Juli gab es in der Schweiz trockenes heisses Sommerwetter! Überall waren die Bauern beim Heuen, in den Alpen und im Flachland. Nichts riecht besser als ein Feld mit Heu! Der Geruch versetzt mich immer in meine Jugendzeit in Cecil Lake, British Columbia.
Heuen statt Sport angesagt
Ich steuerte schon früh und gefühlt den ganzen Sommer über den blauen Fordson-Major-Traktor, hinter mir eine alte rote Ballenpresse. Dort angehängt war der Brückenwagen, darauf standen mein Vater oder der Mitarbeiter, die die Ballen von der Presse nahmen und auf dem Wagen stapelte. Die Nachbarskinder fuhren auf dem Velo vorbei ins Baseball-Training. Davon musste ich nicht mal träumen, das kam gar nicht infrage.
Bei unserem Vater kam Sport an letzter Stelle, wahrscheinlich, weil er selbst absolut kein Bedürfnis danach hatte. Überhaupt: Wenn es Heuwetter war, dann war Heuen angesagt, nicht Baseball. Dafür hatten wir am Sonntag frei. Mom packte manchmal ein Picknick, wir drückten uns in den VW Käfer und fuhren an den See oder Fluss.
Lange Felder, Zeit zum Träumen
Eigentlich mochte ich das Traktorfahren beim Heuen. Unsere Felder waren meist 800 Meter lang. Das gab eine lange Made, alles geradeaus und flach. Ich konnte meinen Träumen nachhängen oder gewaltige Sonnenuntergänge in einem Rausch von Gold, Orange und Rot bestaunen. Bis neben mir eine Wurzel lärmend am Schutzblech des Traktors aufprallte. Der «Staplermann» wollte mich «wecken». Vielleicht hatte ich beim Träumen das Ende der Made verpasst oder die Presse band die Ballen wieder einmal nicht.
[IMG 2]
Wie die alte Presse doch immer wieder für Ärger sorgte! Ich freute mich fast so sehr wie mein Vater, als er endlich genug Geld hatte und eine neue John-Deere-Presse heimbrachte. Da konnte man mal ordentlich zufahren.
Freude an der schönen Bräune
Auf einem Feld aber musste ich über mehrere Jahre immer in den kleinsten Gang schalten und sehr, sehr vorsichtig über einige tiefe Furchen steuern. Sonst hätte der beladene Wagen kippen können. Im Herbst 1969 regnete es während der Getreideerntezeit wochenlang stark. Nicht nur so ein wenig wie sonst, sondern so viel, dass der Boden total aufgeweicht war. So wie hier in der Schweiz diesen Frühsommer. An einem schönen Herbsttag wollte unser Mitarbeiter unbedingt dreschen gehen, obwohl der Boden noch zu nass war. Der Drescher blieb stecken und musste mit dem Traktor herausgezogen werden. Ungünstig daran war, dass dieses Feld eingesät war mit Heugras. So schimpfte ich mehrere Jahre lang vor mich hin und der Mann auf dem Wagen hinter mir wahrscheinlich genauso.
[IMG 3]
Als ich älter wurde und auch eitler, freute ich mich auf die Sonnenbräune, die ich auf dem offenen Traktor bekam. Von Sonnencreme war damals nie die Rede. Ich denke, das war in der Schweiz genauso. So bekam ich – und wir alle – oft zuerst einen Sonnenbrand, ehe sich die Bräune zeigte. Vielleicht bekam meine Mutter deswegen ein Melanom auf ihrer Schulter, das zum Glück erfolgreich bekämpft werden konnte.
Starke Mädchen können alles!
Ich hatte von all meinen Geschwistern wohl den schönsten Job während des Heuets. Sobald sie gross und stark genug dazu waren, mussten sie zu Hause helfen beim Abladen, also die oft schweren Ballen vom Wagen nehmen und auf das Förderband legen. Oder sie mussten auf dem Heustock stehen und die Ballen abnehmen und dort stapeln. Auch ich musste helfen, wenn ich nicht am Traktorfahren war.
Es war oft meine Schwester Maya, welche die Oberschenkelseiten unserer Jeans flickte, weil sie von den rauen Ballen aufgerissen wurden. Eigentlich waren wir Mädchen stolz darauf, dass wir so stark waren. Maya meinte jeweils am Ende des Sommers, sie könnte es gut mit den Jungs aufnehmen beim Armdrücken. Unsere Schwester Margrit sagte einmal, Dad habe uns unbewusst zu Feministinnen erzogen: Was ein Mann kann, das können wir auch! Er war immer stolz auf seine Mädchen.
Rote Traktorräder und süsse Pausen
Es war harte Arbeit, aber es sind so viele schöne Erinnerungen mit dem Heuen verbunden. Zum Beispiel an Milchkannen voll mit kaltem Pfefferminztee für die ganze Mannschaft. Der Pfefferminz kam aus den feuchten Sumpfgebieten rund um die Farm, es gab nichts Besseres. Oder die wilden Erdbeeren. Diese gediehen besonders gut in den mageren Teilen der Heufelder.
[IMG 4]
In einem guten Beerenjahr war ich am Heuen mit meinen Eltern. Mom lenkte den Traktor, ich nahm die Ballen von der Presse und reichten sie Dad, der sie auf dem Wagen stapelte. Das ging flott voran. Die Räder des Traktors waren manchmal rot von den Beeren. Auf einmal stoppte Mom den Traktor und stieg ab. «Wenn der Herrgott diese Beeren schon so wachsen lässt, wäre es eine Sünde, sie nicht zu geniessen», meinte sie. So krochen wir drei eine Zeitlang den süssen Beeren nach. Auf so einem grossen Feld kommt es ja nicht auf eine halbe Stunde an.
Ganz nah miteinander verbunden
Ende Juni dieses Jahres war ich in Kanada auf dem Friedhof, wo meine Eltern beerdigt sind. Der liegt an einem Waldrand in der Nähe unserer Farm. Ich sah das rote Schimmern der ersten wilden Erdbeeren und bückte mich. Als ich die reifen Früchte genoss, war es mir, als wäre meine Mutter ganz nah und wir genossen sie zusammen. Vielleicht war es ja auch so …