Dezember 1964: Von diesem zweiten Winter auf der Farm schrieb mein Vater: «Er war ein besonderer Tyrann.» Der Schnee fiel etwa zur üblichen Zeit, die Kälte war bis zum 20. Dezember auch normal. Danach, bis zum 10. Januar, herrschte eine Kälte, welche seit Ankunft der Weissen im Land vor etwa hundert Jahren nie mehr vorgekommen war. Die Temperaturen blieben beständig zwischen minus 30 und mehr als minus 40 Grad Celcius.
Auch das Vieh friert bitter
Die Mutterkuhherden in Nordamerika bleiben auch im Winter draussen. Wie die wilden Tiere bilden sie ein dickes Fell, worauf der Schnee sitzt, ohne zu schmelzen. In diesem Winter reichte das nicht immer. Viel Vieh sei gestorben und manche männlichen Tiere steril geworden, bis hinab über die Grenze zu den USA.
Unsere Kühe hätten beim Wassersaufen geschlottert, erzählte mein Vater. Es gab noch kein fliessendes Wasser im Stall. Dad schlug mit dem grossen Beil ein Loch ins Eis des Weihers, und die sechs Kühe wurden dorthin geführt. Sicher schlotterten auch die Menschen dabei. Bei so einer Kälte muss der Körper gut eingehüllt werden, das Gesicht bedeckt, sonst gibt es Frostwunden. Heute hat es dafür warme, gefütterte Coveralls. Nur meine jüngeren Geschwister hatten damals welche. Dad trug im Winter Wadenbinden. Wir Kinder hatten die Aufgabe, diese wieder aufzuwickeln, nachdem er sie ausgezogen hatte und sie wieder trocken waren.
Die ganze Familie hilft beim Holzen mit
Unsere Öfen brauchten eine Menge Holz. Bedingt durch die vielen Feld- und anderen Arbeiten blieb das Holzholen meist aus, bis der Boden schneebedeckt war. Im Wald um die Farm gab es eine Menge Totholz. Holzholen war Familiensache.
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Meine Erinnerungen stammen wohl aus späteren Jahren: Mein Vater zersägte einen Baumstamm. Wir Kinder machten eine Reihe bis zum Wagen. Mom nahm einen Holzrugel, reichte ihn dem ersten Kind, und dieses reichte ihn weiter, bis der Rugel auf dem Wagen landete. Es waren meist schöne Tage, bei Pausen mit heisser Schokolade. Aber auch Tränen gehörten dazu. Wir trugen selbst gestrickte Handschuhe, der Schnee klebte daran und schmolz mit der Arbeit. Immer diese frierenden Hände!
Die Suche nach dem perfekten Tannli
Weihnachten stand vor der Tür. Zeit, das perfekte Tannli zu suchen. Wir stapften im Schnee durch den gemischten Wald, von einem Bäumchen zum anderen. Im knietiefen Schnee riefen wir einander zu: «Schau, dort ist ein schöneres!» Mit frierenden Händen wurde es mit dem Fuchsschwanz aus der Schweiz abgesägt und nach Hause geschleppt. Als ich mit meinem Mann und unseren zwei Jungs wieder nach Kanada zog, wurde diese Tradition weitergeführt – mit dem Schneemobil. Jetzt, wieder in der Schweiz, kaufe ich den Weihnachtsbaum aus dem hiesigen Wald in der Landi in Schleitheim. Das fühlt sich schon etwas banal an.
Weihnachten in der Schule
Ich war 1964 in der ersten Klasse und durfte das erste Mal mitmachen bei der Schulweihnachtsfeier. Das ist immer noch in fast jeder Schule ein wichtiger Anlass, wozu die ganze Gemeinde eingeladen ist. Damals wurde die christliche Weihnachtsgeschichte aufgeführt, aber es wurden auch kurze Sketche und Weihnachtslieder vorgetragen. Es war so ein Gemisch aus den früheren Sonntagsschulweihnachten von den Schweizer Kirchen und Säkularem dazu.
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Jede Klasse von der ersten bis zur achten in unserem 2-Zimmer-Schulhaus nahm irgendwie daran teil. Ein grosser Weihnachtsbaum stand vorne, immer mit elektrischen Lichterketten. Dass die Schweizer Familien richtige Kerzen am Baum hatten, fanden die Kanadier immer höchst gefährlich. Highlight war am Schluss der Feier die Ankunft von Santa Claus, der jedem Kind ein Säckli mit Mandarinen, Nüssli, Zeltli und einem Geschenk überreichte.
Angst vor dem Chlaus?
Ich hatte noch den Schweizer Samichlaus erlebt, der drohte, uns in den Sack zu stopfen und in den Schwarzwald mitzunehmen. Die Angst vor dem Samichlaus übertrug ich auf den lieben Santa Claus. Meine jüngere Schwester Barbara kannte diese Panik nicht und holte noch so gerne mein Geschenk von Santa ab. Vorher erlebte sie aber eine Enttäuschung. Santa kommt in Kanada vom Nordpol, er fliegt über den Himmel in einem Schlitten, der von Rentieren gezogen wird, und landet auf dem Dach. Barb wollte unbedingt diese Rentieren sehen und rannte schnell hinaus, als sie hörte, Santa sei am Kommen. Nirgends war nur ein einziges Rentier zu sehen.
Zur Person:
Marianne Stamm ist 1963 fünfjährig mit den Eltern vom Thurgau nach Cecil Lake ausgewandert. Dort, weit nördlich im kanadischen British Columbia ist sie auf einer Pionierfarm aufgewachsen, welche zu einer stattlichen Milchfarm heranwuchs. Als ältestes von sieben Geschwistern kam sie mit 21 zurück in die Schweiz. Gemeinsam mit ihrem Mann Robert bewirtschaftete sie für zwölf Jahre den Emmerhof in Schleitheim SH.[IMG 4]
Ende 1991 wanderte die Familie mit den zwei Söhnen (10- und 11-jährig) ein zweites Mal nach Kanada aus. Nördlich von Edmonton bewirtschafteten Stamms eine 580-ha-Getreidefarm. Sie fingen wie schon die Eltern noch einmal bei null an, und doch ganz anders. Weil keiner der Söhne die Farm übernehmen wollte, wurde sie 2006 verpachtet. Seit 2012 ist die regelmässige BauernZeitung-Mitarbeiterin wieder in Schleitheim zu Hause. Die Kinder und Enkel halten sie hier.

