Vom Masshalten schrieb ich in meiner letzten Arena-Kolumne und sprach dabei auch die Festsetzung des Gewässerraums an. Sie ist für betroffene Landwirte von Bedeutung, weil der Gewässerraum extensiv bewirtschaftet werden muss, wodurch wertvolle landwirtschaftliche Nutzfläche verloren geht.

Mit der Motion «Gewässerräume», die ich vom Glarner alt Ständerat Werner Hösli übernommen hatte, wurde verlangt, dass die Kantone den Gewässerraum verkleinern können, wenn «die geografischen und topografischen Verhältnisse dermassen sind, dass der Landwirtschaft resp. dem einzelnen Landwirtschaftsbetrieb ein übermässiger Anteil der ertragreichen Futtergrundlage entzogen wird». Der Gewässerraum sollte nur soweit reduziert werden, als der Gewässerschutz- und der Hochwasserschutz vollumfänglich gewährleistet seien. Die eingeschränkte Biodiversitätsleistung müsste an geeigneten Standorten, zum Beispiel an steilen Lagen, kompensiert werden.

Nach der Zustimmung des Ständerats am 9. März dieses Jahres hatte die Motion «Gewässerräume» in der Herbstsession des Nationalrats einen schweren Stand, obwohl sie von der vorberatenden Kommission zur Annahme empfohlen worden war. Sie wurde am 30. September leider mit 84 Ja- gegen 100 Nein-Stimmen abgelehnt. Auch wenn es schwerfällt: Das Resultat muss akzeptiert werden. Immerhin hat Bundesrätin Simonetta Sommaruga versprochen, dass in Härtefällen Lösungen gesucht werden. Betroffenen Landwirten entlang von Flüssen und Bächen empfehle ich, sich darauf zu berufen.

Was mir im Nachgang zur Nationalratsdebatte am meisten zu denken gibt, ist folgender Satz von Bundesrätin Sommaruga: «Die Kantone, und zwar sowohl die Bau- und Planungsdirektorenkonferenz wie auch – und jetzt hören Sie bitte noch einmal genau zu – die Landwirtschafts-direktorenkonferenz bitten Sie, diese Motion abzulehnen.»

Leider stimmt das, was Frau Bundesrätin gesagt hat, sie ist dafür nicht zu kritisieren. Umso mehr jedoch die beiden genannten Direktorenkonferenzen: Wo sind der Gestaltungswille und das kantonale Selbstbewusstsein der zuständigen Regierungsrätinnen und Regierungsräte geblieben? Dabei stellt der viel zitierte «historische Kompromiss» von 2009 im Gewässerschutzgesetz, der zum Rückzug der Fischerei-Initiative «Lebendiges Wasser» führte, die Kantone in den Mittelpunkt. In Art. 36a «Gewässerraum» heisst es klipp und klar in Absatz 1: «Die Kantone legen nach Anhörung der betroffenen Kreise den Raumbedarf der oberirdischen Gewässer fest …». In Absatz 2 heisst es dann: «Der Bundesrat regelt die Einzelheiten.»

Wer die Umsetzung der Gewässerschutzrevision seit 2010 beobachtet hat, kommt zum Schluss, dass der Bundesrat unter den «Einzelheiten» alles versteht. Und dass die Kantone dazu leise nicken und in ihrer Mehrheit offensichtlich froh sind, wenn ihnen der Bund die Verantwortung abnimmt. Hinter dem Vorhang eines intakten Föderalismus versteckt, hat die Gewässerschutzgesetzrevision von 2009 zu einer Zentralisierung nach französischem Vorbild geführt, gefördert bzw. «angefüttert» mit grosszügigsten Subventionen von bis zu 80 Prozent der Projektkosten.

Deshalb entscheidet heute das Bundesamt für Umwelt jede Frage und jede Differenz in Sachen Gewässerraum im ganzen Land: an Linth und Sernf, an Thur und Sitter, an Emme, Reuss und Aare, an Rhone und Rhein, und so weiter und so fort.

Föderalismus im Gewässerbereich im Jahr 2021 ist nicht einmal mehr Vollzugsföderalismus. Er ist nur noch eine Täuschung. Es gibt ihn ganz einfach nicht mehr!