Diese Bühne muss man sich als Alphornbläserin und -bläser erst einmal verdienen: Der grün-blaue Guraletschsee schmiegt sich spiegelglatt in seine Mulde. Die imposante Felswand dahinter erzeugt ein grandioses Echo und ist verantwortlich für eine wunderbare Akustik. Darüber thront mächtig das Fanellhorn.
Der Wind liebkost das Wollgras im Moor und trägt dezent das Rauschen des Bachs und das Gebimmel der Kuhglocken daher. Etwas oberhalb des Seeufers wachsen Edelweisse in Hülle und Fülle, und auch der Enzian fehlt nicht. Fast ein wenig kitschig das Ganze? – Nein, die Belohnung für einen fast zweistündigen, schweisstreibenden Aufstieg mit dem zerlegten Alphorn auf dem Buckel.
Wanderung zum Guraletschsee
Von Vals aus nimmt man das Postauto nach Zerfreila. Kurz nach dem Restaurant zweigt ein Weg links Richtung «Gross Guraletsch» und «Guraletschsee» ab. Es geht über Weiden, an einem wunderschönen Ensemble von steinernen Alpgebäuden vorbei sowie über den Guraletsch-Bach. Eine Mutterkuhherde muss passiert werden. Nach dem letzten Anstieg folgt der Blick auf den See und die imposante Bergkulisse.
Auf dem Wegweiser ist die mit Wanderung mit eindreiviertel Stunden angegeben. Wer fit ist, schafft die 545 Höhen-
meter sicher auch schneller. Die Felswand hinter dem See ist verantwortlich für den tollen Echoeffekt und die wunder-
bare Akustik.
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Guraletschsee oberhalb Vals.
Frage, Echo und Antwort
Neun alphornbegeisterte Frauen und Männer haben Mitte August diesen Weg zum Guraletschsee auf sich genommen. Mit Blick auf das Wasser werden Töne geblasen. «Jemand stellt eine Frage, die andere Person antwortet», erklärt Priska Walss die Aufgabe. «Lasst dazwischen bitte Platz für das Echo.» Walss ist Profi-Musikerin, sie spielt Posaune und Alphorn. Seit Jahren bietet sie zusammen mit Nick Gutersohn und Robert Morgenthaler eine Kurswoche in Vals GR für 24 Alphornbegeisterte an. «Zu Beginn mieteten wir noch die Turnhalle für schlechtes Wetter, aber seit bald 18 Jahren verzichten wir darauf.» Ob Vals gibt es eine bessere Lösung: der alte Tunnel zum Zerfreilasee zum Beispiel. «Darin verteilen wir uns bei Regen.»
Doch nun scheint die Sonne. Jemand bläst eine Tonfolge. Die Gruppe wartet gespannt auf das Echo. Die musikalische Antwort nimmt einen Teil der Frage auf, ergänzt oder holt weiter aus. «Was hast du mir für eine Frage gestellt?», fragt eine Teilnehmerin ihre Kollegin scherzend. Die Stimmung am Seeufer ist ausgelassen. Fragt man bei den Teilnehmenden nach, was sie bewegt, ein Alphorn auf den Berg zu tragen, gibt es verschiedene Antworten: das Echo, die wechselnde Kulisse, die Natur, die Geräusche … Auch folgen witzige Geschichten, weshalb man mit Spielen begann.
Viele Wege führen nach Vals
Maren zum Beispiel kommt aus Norddeutschland. Vor Jahren hörte sie im Berner Oberland 60 Alphörner auf einmal. Sie war «geplättet» und hin und weg. «Mein Mann hatte solche Freude, ob meiner Freude, dass er mir zu Weihnachten gleich ein Alphorn schenkte», erzählt sie. Bei Regina aus Vals sollte es bei einem «einmaligen Gag» bleiben. «Doch es tat meiner Puste beim Singen gut», so blieb sie dabei.
Der Ostschweizer Markus, mit dem Spitznamen Sugus, suchte sich ein Hobby, mit dem er sich an seinem damaligen, neuen Wohnort in der Zentralschweiz integrieren konnte. «Ich fand heraus, dass Hornussen eher etwas fürs Berner Oberland ist, da fiel meine Wahl aufs Alphorn», lautet seine Erklärung. Längst ist er wieder zurück in der Heimat. Alphorn spielen tut er jedoch immer noch. Unterdessen sogar mit Singkollege Thomas, der ebenfalls in Vals mit dabei ist.
Es scheint, dass alle wegen des Wunschs besser zu werden, in diesem Kurs landeten. Und sie kommen Jahr für Jahr wieder. Man sei schon fast eine Familie. Das Zusammensein sei ebenso wichtig wie das Zusammenspiel.
Die Kuh muht das perfekt passende«B»
Nun ist es an der Zeit, der Journalistin der BauernZeitung etwas vorzuspielen. «Heilig» komponiert von Anton Wicky nach einem Motiv von Franz Schubert soll es sein. Doch zuerst müssen die Hörner gestimmt werden. Das tiefe und das hohe «C» dienen als Referenz. Ein Horn ist etwas zu hoch, das andere zu tief. Rohre werden leicht auseinandergezogen. Dann ist Priska Walss zufrieden. Sie dirigiert. Dabei macht sie gerne eine Pause für das Echo. Und dann, genau in so einer Pause, muht eine einzelne Mutterkuh das perfekt passende «B». Besser geht es nicht.
Doch, eine Steigerung gibt es noch: Die Gruppe verteilt sich um den See herum und spielt sich über das Wasser Melodiefragmente zu. Unterdessen kräuselt die Seeoberfläche und etwas weiter weg bahnt sich ein Gewitter an. Zum Schluss gesellt sich zum Kitsch die Dramatik hinzu.
Das Alphorn: ein Blech-Blasinstrument aus Holz
Im Aussehen hat das Alphorn Ähnlichkeit mit einem Kuhhorn: ein langes, konisches Rohr, das am Ende gebogen ist. Ursprünglich wurden junge, an steilen Stellen krumm wachsende Kiefern zu seinem Bau verwendet.
Obwohl es aus Holz ist, gehört das Alphorn wegen seiner Art der Tonerzeugung zu den Blech-Blasinstrumenten. Es hat weder Löcher noch Ventile, deshalb macht es nur Naturtöne. Diese entstehen, indem beim Hineinblasen die Lippen mehr oder weniger gespannt sind: je entspannter die Lippen, desto tiefer der Ton. Die Tonart, in der das Alphorn gespielt wird, hängt von seiner Länge ab. In der Schweiz dominiert das Ges-Horn, zirka 3,5 Meter lang.
Geübte Bläser können bis zu 16 Töne erzeugen. Zwei davon klingen recht schräg: der siebte (b) und der elfte (fa). Sie kommen in traditionellen Stücken beinahe nicht vor. Obwohl: In den ältesten Kuhreihen kam das fa im ersten Teil als bestimmendes Merkmal vor. Erst später - sozusagen bei der Wiederentdeckung des Alphorns - wurden die nicht temperierten Töne verpönt und in den Kompositionen weggelassen. Heutzutage gibt es wieder viele Bläserinnen und Bläser, die diese speziellen Naturtöne lieben und in ihren Kompositionen und Improvisationen gebrauchen.
Nebst ihrem Einsatz an Jodel- und Trachtenfesten sind Alphörner in der klassischen Musik, im Jazz und in der experimentellen modernen Musik anzutreffen.
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Obwohl aus Holz gebaut, gehört das Alphorn zu den Blech-Blasinstrumenten.