Herbstzeit ist Chilbizeit. Leuchtende Kinderaugen vor den blinkenden und hupenden Spielsachen, strahlende, quietschende Teenies auf den Scootern, Erwachsene, die ehemaligen Schulkollegen seit Jahren wieder einmal begegnen. Die Chilbi lockt Jahr für Jahr aufs Neue – auch wenn der ursprüngliche Grund des Festes längst in den Hintergrund getreten ist: Es ist das Fest des Kirchenpatrons, auf den die Dorfkirche geweiht wurde. 

Die Chilbi ist katholisch

Als Mädchen kannte ich das Wort «Chilbi» nicht, weil es in reformierten Gebieten dieses Fest nicht gibt. Doch puritanisch ging und geht es auch in solchen Gegenden nicht zu und her; Warenmessen haben eine jahrhundertalte Tradition. Auch wir durften im Herbst, nachdem der grosse Teil der Ernte eingebracht war und die Feldarbeit sich langsam dem Ende zuneigte, unseren Batzen auf einem Jahrmarkt «verputzen». Die Qual der Wahl, ob an der Chilbi oder am Markt: Fahre ich mit dem Fünfliber der Grossmutter lieber auf der «Tütschautölibahn» oder kaufe ich mir etwas, das länger Bestand hätte? Zuckerwatte war mir immer zu klebrig. Magenbrot konnte ich dagegen nie widerstehen. 

Rosarote Papiertüten

Die rosarote Papiertüte des Magenbrots stach mir immer wieder ins Auge und verführte mich. Ich freute mich, wenn ich da und dort ein «Probiererli» vom fingerdicken Lebkuchengebäck mit der tiefbraunen Zuckerglasur erhielt. So hatte ich meinen «Gluscht» gestillt und das Geld reichte aus, ein Säckli mit nach Hause zu nehmen. Selbstverständlich in einer rosaroten Papiertüte.

Erstaunlich: Trotz der Vielfalt und Möglichkeiten von Verpackungen, Magenbrot wird von allen Anbietern in rosa Papiersäcken angeboten; sei dies an den Jahrmärkten, beim Marroniverkäufer oder auch bei den Detailhändlern. Fragt man nach, weiss niemand so recht, warum es ausgerechnet Rosarot ist. 

Die Farbe wird mit Süssigkeit assoziiert. Das ist sicher, und süss ist Magenbrot bekanntlich. Doch das alleine kann es nicht sein, dass sich die Farbe und die Verpackung über Jahrzehnte kaum verändert haben. Auch wissenschaftliche Nachforschungen, die sich mit dem kulinarischen Erbe der Schweiz befassen, liefern keine wirklichen Antworten. 

Gewürze für den Magen

Die fingerdicken Schnitten mit dem dunkelbraunen, bröseligen Überzug schmecken. Vielleicht locken sie auch darum, weil sie ausserhalb der Chilbizeit wenig angeboten werden. Wer sie vermisst, kann sie selber backen. Etwas Zeit und Geduld braucht es zwar für die Zubereitung, gegessen sind sie dafür umso schneller. Dabei wären sie einige Tage später fast noch besser. Die Glasur hat sich dann nämlich mit dem Kuchenstück verbunden; das eher trockene Innere wird «getränkt». Der innere Kern des porösen Teigs sollte aber trocken bleiben, damit die Glasur nicht zu dominant wird. 

Für den Teig wird traditionell Ruchmehl verwendet. Die tiefbraune Farbe erhält das Gebäck vom Kakao oder Schokoladenpulver im Teig und in der Glasur. Der Schokoladengeschmack soll dabei im Hintergrund bleiben. Auch wenn ­Magenbrot zu den Lebkuchengebäcken zählt, hat es selten Honig drin, enthält aber ähnliche Aromen: Piment, Zimt, Kardamom, Nelkenpulver und Zucker, der Geschmacksträger.

Diesen Gewürzen sagte man noch zu Beginn des 20. Jahrhunderts eine verdauungsfördernde und aufputschende Wirkung nach. Ich glaube es gerne, dass das Magenbrot guttut. Ob es aber dem Magen guttut – vor allem wenn ich ein, zwei Stücke zu viel genascht habe!? Seis drum, es ist ja nicht immer Chilbizeit …