Pro: Die Alpwirtschaft ist gefährdet 

Die Revision des Jagdgesetzes ist für die Bäuerinnen und Bauern besonders wichtig, denn die Land- und Alpwirtschaft sind im besonderen Masse durch die Rückkehr von Grossraubtieren betroffen. Die Bestände geschützter Arten, insbesondere des Wolfes, haben sich in den letzten Jahren stark vermehrt.

Der Wolfsbestand wächst stetig an: 2019 lebten rund achtzig Wölfe in der Schweiz und immer mehr Rudel in immer mehr Gebieten bilden sich. In diesem Jahr setzt sich die Ausdehnung fort. 2018 wurden 591 Nutztiere von Grossraubtieren gerissen, darunter auch solche, die mit Hunden und Zäunen geschützt waren. Entsprechend des steigenden Bestandes wird die Zahl im laufenden Jahr sicher steigen. Nach bestehendem Gesetz ist ein Abschuss erst möglich, wenn ein Wolf innerhalb eines Monats 25 oder innerhalb von vier Monaten 35 Tiere reisst. Das verursacht grosses Leiden bei den betroffenen Tieren. Für die Besitzer bedeutet dies nicht nur einen finanziellen Schaden, noch bedeutender ist die emotionale Betroffenheit.

Weniger Tiere werden gesömmert

Die aktuelle Situation führt dazu, dass die Alpwirtschaft gefährdet ist. Bereits wurden zum Beispiel im Wallis 10'000 Schafe weniger gesömmert als noch vor wenigen Jahren und die Beispiele von nicht mehr bestossenen Alpen oder deren vorzeitige Entleerung häufen sich landesweit. Auch weil Arbeitslast und Kosten für den Herdenschutz zu hoch werden. Die fehlende Pflege der Alpen hat eine Vergandung, zunehmende Erosionsgefahren und auch eine massive Einschränkung des Wanderwegnetzes zur Folge und damit negative Auswirkungen auf den Tourismus, der auch von gepflegten Landschaften profitiert.

Starke Beziehung zu den Tieren

Die Schweizer Bäuerinnen und Bauern messen dem Tierwohl eine sehr grosse Bedeutung zu. Sie pflegen eine besonders starke Beziehung zu ihren Tieren, insbesondere auch im Berggebiet. Es ist ihr legitimes Interesse, dass sie ihre Tiere schützen wollen. Sie verlangen deshalb eine vernünftige Regulierung, damit sich die Schäden und das Leid für die Nutztiere in Grenzen halten. Die Bauern verlangen keine Ausrottung, sie freuen sich über die Artenvielfalt.

Im Gegenteil, sie wollen einen Beitrag für den Schutz der Wild- und Nutztiere leisten. Mit dem revidierten Jagdgesetz wird der Schutzgedanke für beide Seiten erfüllt. Das revidierte Jagdgesetz ist ein Nutztier-Schutz-Gesetz und nicht ein Abschussgesetz, wie es die Gegner bezeichnen. Das Gesetz ebnet den Weg für ein geregeltes Nebeneinander von Be-völkerung, Landwirtschaft und Grossraubtieren.

Es braucht die einhellige Zustimmung der ganzen Landwirtschaft und die Einsicht der ganzen Bevölkerung, einer vernünftigen Lösung zuzustimmen.

 

Zur Person

Erich von Siebenthal ist Bergbauer, Nationalrat (SVP/BE) und Präsident des Schweizerischen Alpwirtschaftlichen Vereins aus Gstaad, Bern.

 

Kontra: Keine Abschüsse auf Vorrat

Das Jagd- und Schutzgesetz (JSG) muss immer ein Kompromiss zwischen Schutz, Regulierung und Jagd sein. Das bestehende Gesetz regelt den Schutz der Nutztiere klar in Artikel 12: «Der Bund fördert und koordiniert die Massnahmen der Kantone zur Verhütung von Wildschaden, der durch Grossraubtiere an Nutztieren verursacht wird.»

Der berechtigte Wunsch der Landwirte und Bäuerinnen, ihre Tiere in den frei weidenden Herden zu schützen, kann mit dem bestehenden Gesetz also erfüllt werden. Schadenstiftende Tiere können bereits heute entfernt und Wolfsrudel reguliert werden – was auch geschieht.

Ein gefährliches Ungleichgewicht

Die Revision des Jagdschutzgesetzes schafft jetzt aber ein gefährliches Ungleichgewicht. Der Artenschutz wird zugunsten der Dezimierung von Tierarten geschwächt. Bedrohte, auf der Roten Liste geführte Arten wie Feldhase, Birkhahn, Schneehuhn oder Waldschnepfe können weiterhin bejagt werden. Die Chance, die unsinnige Trophäenjagd einzuschränken, wurde verpasst.

Geschützte Tierarten wie Biber, Luchs, Fischotter, Graureiher oder Höckerschwan können jederzeit auf die Liste der regulierbaren Arten gesetzt werden. Sogar Abschüsse «auf Vorrat» werden möglich: So können Tiere geschützter Arten abgeschossen werden, ohne dass sie je Schäden angerichtet hätten.

Wunsch nach massiver Dezimierung

Stossend ist auch, dass der Wolf zur «Erhaltung regional angemessener Wildbestände» dezimiert werden soll. Im Klartext: Wölfe sollen sterben, um hohe Jagdstrecken zu garantieren.

Ich bin überzeugt, dass auch die archaische Angst vor dem Wolf zum Wunsch nach massiver Dezimierung führt. Rotkäppchen und die sieben Geisslein lassen grüssen. Dadurch geraten wichtige Fakten in den Hintergrund.

Vielerorts schafft es die Jagd nämlich nicht, den Verbiss an den bei Reh, Hirsch und Gämse beliebten und gleichzeitig so wichtigen Baumarten wie Eiche und Weisstanne im Griff zu halten.

Die Eiche als ökologisch wertvollste, Wärme ertragende Baumart ist die Baumart der Zukunft. Die Weisstanne ist mit ihrer Pfahlwurzel die Stütze der Schutzwälder im Berggebiet. Bei beiden Baumarten fehlt grossflächig wild-bedingt genügender Nachwuchs. Die Jäger Wolf und Luchs helfen mit, das zu ändern.

Das Nein zur Revision des Jagdgesetzes am 27. September 2020 ist also kein Nein zur Nutztierhaltung oder zur Jagd. Es macht den Weg frei für ein besseres Gesetz!

 

Zur Person

Gertrud Häseli ist Bäuerin und Grossrätin (Grüne/AG) aus Wittnau. Sie gehört dem Aargauer Komitee «Nein zum missratenen Jagdgesetz!» an.