Die Aargauer Reben wachsen prächtig heran, das Wetter hat es bisher gut mit den Winzern gemeint. Die Katastrophe kam mit der Corona-Krise von einer anderen Seite. «Im ersten Moment waren wir in einer Schockstarre», erinnert sich der Oberflachser Winzer Adrian Hartmann. Offenbar auch die Kundschaft: «Etwa zwei Wochen lang lief im Verkauf rein gar nichts.» Rund die Hälfte seines Weins vermarktet er direkt, die andere Hälfte wird in Gastronomiebetrieben getrunken,
Keine grossen Rabatte
«Wir haben etwas gepusht und Degustationspakete angeboten, die Versandkosten reduziert, Rundmails an unsere Kundschaft verschickt», erzählt Adrian Hartmann. Grosse Rabatte hätte er hingegen als falsches Signal empfunden. Sein Publikum seien ohnehin nicht die preissensiblen Konsumenten, sagt der Winzer, der seine 4 Hektaren Reben nach Demeter-Richtlinien pflegt. Wie gross der wirtschaftliche Verlust ist, kann er erst schwer abschätzen. Immerhin ist er die einzige feste Arbeitskraft auf dem Betrieb und muss sich nicht noch um den Lohn von Mitarbeitenden sorgen.
Aargauer Wein
Mit einer Rebfläche von knapp 400 ha ist der Aargau der viertgrösste Deutschschweizer Weinbaukanton. Pro Jahr werden durchschnittlich rund 20 00 hl Wein gekeltert. Der kantonale Branchenverband schätzt den jährlichen Gesamtbruttoumsatz auf 36 bis 40 Mio Franken.
70 Prozent weniger Umsatz
Anders ist die Situation für die Nauer Weine AG mit 35 Mitarbeitenden. «Wir haben als Gastronomielieferant 70 Prozent unseres Geschäftes eingebüsst», sagt Patrik Nauer, Geschäftsführer des traditionsreichen Familienunternehmens in Bremgarten. Trotz Lockdown-Schock blieb er aktiv: Er ist schon seit Jahren im Online-Business und pflegte diesen Absatzkanal weiter. Das Sortiment im Verkaufsgeschäft in Bremgarten wurde erweitert, «dabei setzen wir immer auf die Zusammenarbeiten mit Familienbetrieben». Zudem nutzte er die Zeit, um pendente und neue Projekt aufzugleisen. Jetzt komme das Geschäft langsam wieder in Gang, berichtet Patrik Nauer, aber das Verpasste lasse sich nie aufholen.
Übervolle Keller drohen
Über die positive Energie der Aargauer Winzer freut sich Roland Michel, Präsident von Weinbau Aargau. Er stellt klar, dass mit solchen Einzelmassnahmen der fehlende Umsatz niemals kompensiert werden könne. «Es ist dramatisch», kommentiert er die Situation der Weinbranche, deren Verkaufskanäle von einem Tag auf den anderen massiv gedrosselt oder ganz still gelegt wurden. Spätestens nach der neuen Ernte würden übervolle Keller drohen. Seit Beginn der Krise suche der Branchenverband mit Kanton und Bund nach Lösungen.
Mögliche Massnahmen
Ein Vorschlag lautet, die leeren Ethanol-Pflichtlager des Bundes mit Alkohol aus Wein aufzufüllen. Eine andere Massnahme ist die Mengenreduktion im Rebberg, um den Markt zu entlasten: «Wir werden wohl nicht darum herum kommen, die Erträge heuer zu reduzieren», erklärt Roland Michel. Dass die Situation einen Strukturwandel unter den Aargauer Winzern auslöst, glaubt er hingegen nicht. Solche einschneidenden Ereignisse habe es immer wieder gegeben. Vielleicht würden einige Winzer den Moment nutzen, um alte Rebstöcke zu ersetzen mit entsprechendem Minderertrag in den nächsten Jahren. Oder ihre Arbeitsabläufe effizienter zu gestalten, etwa durch Digitalisierung.
Auch wenn noch nicht klar ist, wie sich der Markt bis im Herbst entwickelt: Der neue Jahrgang wächst in den Rebbergen vielversprechend heran, wie Adrian Hartmann bei einem Rundgang feststellt. Er möchte nicht jetzt schon die Menge reduzieren – er bleibt sowieso unter den Höchsterträgen, die der Kanton Aargau vorgibt. Zudem könne noch so viel passieren, bis die Ernte tatsächlich unter Dach sei.
«Und vielleicht löst die Krise auch etwas Positives aus», mutmasst der Winzer, nämlich die Erkenntnis bei den Konsumenten, wie wertvoll regionale Produkte seien. Er freut sich darauf, dass die Degustationen in seinem Weingut jetzt wieder anlaufen dürfen, wenn auch unter Einschränkungen – endlich kann er den 2019er-Wein seinen Kunden vorstellen.
Winzer fordert Begrenzung
«Es gibt keinen Weg um die Mengenbegrenzung für die Traubenernte 2020 herum», sagt Bruno Hartmann, Winzer aus Remigen, «sonst droht ein Preiszerfall beim Wein.» Zusammen mit elf Berufskollegen aus der Region, die ihm Trauben liefern, hat er beschlossen, in diesem Jahr weniger Trauben hängen zu lassen: bei Müller-Thurgau, Weisswein- und Rotwein-Spezialitäten 600 statt 800 g/m², beim Blauburgunder 500 statt 800 Gramm.
Erwartung an Verband
Diese Massnahmen sollten von allen Aargauer Winzern solidarisch getragen werden, fordert Bruno Hartmann im Gespräch mit der BauernZeitung und schiebt nach: «Die Winzer warten auf Weisungen vom Verband.» Nicht alle hätten den Ernst der Lage realisiert. «Einige glauben noch an Wunder, dabei sind viele Keller übervoll.»
Umsatz eingebrochen
Das Weingut Hartmann gehört zu den grösseren privaten Weinbaubetrieben im Aargau. Im Geschäftskundenbereich mit 60 Prozent Anteil am Gesamtumsatz sind gemäss Bruno Hartmann 90 Prozent wegen der Corona-Krise weggebrochen. «Was ich heuer weniger verkaufe, keltere ich auch weniger ein, das bin ich mir und meiner Kundschaft schuldig», sagt er. Er rechnet mit zwei bis drei Jahren, den Umsatz wieder hochzufahren. Statt den Kopf in der Krise hängen zu lassen, hat er soeben eine neue Rotwein-Spezialität lanciert.