Auf Papiersäcken, an den Kassen in den Filialen und in Werbespots im Fernsehen – überall brüstet sich der Discounter Lidl mit der Auszeichnung zum «Retailer of the Year», also zum «Detailhändler des Jahres». «Seriensieger» steht da in grossen Buchstaben.

«Zum fünften Mal in Folge wurde Lidl Schweiz zum ‹Retailer of the Year› gewählt», liess der Discounter vor rund einem Jahr in einer Mitteilung verlauten. Dieses Jahr trägt Lidl den Award bereits zum sechsten Mal. Nur: Die Auszeichnung ist kaum das Papier der Einkaufstasche wert.

«Bschiss am Konsumenten»

Der «Retailer of the Year» wird von der niederländischen Marketingfirma Q&A Insights Europe gekürt. Q&A führt laut eigenen Angaben die «grössten Konsumenten-Umfragen Europas» durch. Das Schweizerische Konsumentenforum hat vergangenen Sommer bei der Lauterkeitskommission Beschwerde gegen Q&A eingereicht.

Der Vorwurf: Vergabe der irreführenden und unrichtigen Auszeichnung «Retailer of the Year». Dominique Roten, Mediensprecher des Schweizerischen Konsumentenforums, erklärt es so: «Die Auszeichnung ist ein Bschiss am Konsumenten.»

Sagt nichts über die Qualität aus

Tatsächlich heisst die Lauterkeitskommission die Beschwerde des Konsumentenforums gut. Was ist faul am Award, mit dem Lidl seit über fünf Jahren wirbt?

«Die Auslobung ‹Retailer of the Year› basiert nicht auf einem Testverfahren mit objektiven Beurteilungskriterien», hält die Lauterkeitskommission fest. Die Grundlage für die Vergabe des schicken Awards sei «einzig eine Abstimmung bei den Konsumentinnen und Konsumenten, die von fraglichen Marktteilnehmenden selber mobilisiert wurden.»

Über die Qualität des fraglichen Detailhändlers sage die Auszeichnung «Retailer of the Year» nichts aus.

Was sagt Lidl dazu? «Wir werben mit der Auszeichnung, da wir sie gewonnen haben», schreibt Sprecherin Corina Milz auf Anfrage. Zum Umfragemechanismus wollte Lidl keine Stellung nehmen und verweist auf die Marketingfirma Q&A.

Detailhändler in gutes Licht stellen

Die BauernZeitung hat bei der niederländischen Firma nachgefragt. Die kontaktierte Mitarbeiterin von Q&A will nicht zitiert werden. Sie bestätigt aber die Aussage des Berichts der Lauterkeitskommission, dass das Ranking nur auf einer Kunden- und Verbraucherwahl basiere.

Jeder Detailhändler der Schweiz sei ein potenzieller Teilnehmer dieser Wal. Q&A wolle keine unlauteren Werbemittel ausstellen, sondern die Schweizer Detailhändler in ein gutes Licht stellen.

«Zu wenig transparent»

Wie Recherchen der BauernZeitung zeigen, ist aber selbst die Konsumenten-Umfrage nicht wirklich aussagekräftig. Die Detailhändler Coop, Migros, Aldi, Denner, Volg und Landi geben an, nicht aktiv an der Wahl zum «Retailer of the Year» teilgenommen zu haben.

Volg-Sprecherin Tamara Scheibli schreibt, ihr sei weder die hinter dem Award stehende Organisation noch das genaue Wahlverfahren bekannt. «Die Wahl, so scheint uns, bildet nicht das Ergebnis einer repräsentativen Umfrage ab und auch das Wahlverfahren ist zu wenig transparent», schreibt die Denner-Medienstelle auf Anfrage.

Migros krebst zurück

Die Migros wurde bei der letztjährigen Umfrage auf den dritten Platz gewählt. 2013 und 2014 hat der orange Riese die Auszeichnung sogar gewonnen. Der damalige Migros-Chef Herbert Bolliger hat sich 2013 in einer Medienmitteilung zu einer Lobeshymne hinreissen lassen: «Die Auszeichnung ist umso wertvoller, weil sie uns direkt von unseren Kunden verliehen wird.»

2021 krebst die Migros zurück. «Wir hatten uns damals nach einigen Überlegungen entschlossen, nicht mehr mit der Auszeichnung ‹Retailer of the Year› zu werben», sagt Migros-Mediensprecher Patrick Stöpper heute. Wie die Auswahl genau ablaufe, sei ihm nicht bekannt.

Das Geschäft mit dem Award

Q&A verdient mit ihren Auszeichnungen Geld. Die Jahreslizenz, um auf allen Plattformen mit dem Award «Retailer of the Year» zu werben, kostet laut Angaben der Website von Q&A im Jahr 15 000 Euro. Das ist auch der Betrag, den Lidl seit mittlerweile sechs Jahren an die niederländische Marketingfirma überweisen dürfte.

Seit dem Entscheid der Lauterkeitskommission steht auf dem neuen Award ein Sternchen mit dem Verweis «basiert auf einer Kunden- und Verbraucherwahl». So, wie es die Lauterkeitskommission in ihrem Abschlussbericht empfohlen hatte.

Werbeverzicht gefordert

Dominique Roten vom Konsumentenforum reicht das nicht: «Mit dem Kleingedruckten ist noch keine Transparenz gegenüber Konsumenten geschaffen.»

Das Konsumentenforum fordert die Detailhändler deshalb auf, auf die Werbung mit dem umstrittenen Award zu verzichten. Das ist dieses Jahr nicht nur Lidl, sondern auch Hornbach, der den Award in der Sparte «Baumärkte» gewann.

Davon will Lidl nichts wissen: «Wie uns ‹ Retailer of the Year› mitteilte, hat die Lauterkeitskommission lediglich Empfehlungen zur deutlicheren Kommunikation im Bezug auf das Logo ausgesprochen», schreibt Lidl-Sprecherin Corina Milz. Und weiter: «Diese Empfehlungen hat ‹Retailer of the Year› auch umgehend umgesetzt.»

So stolz auf die Auszeichnung scheint der Discounter aber doch nicht mehr zu sein. Bislang hatte er den Award-Gewinn in der traditionellen Medien-Mitteilung zum Jahresrückblick kommuniziert. 2020 hat Lidl darauf verzichtet.