Bern Der Arbeitsmarkt in der Landwirtschaft scheint etwa so ausgetrocknet wie der Sommer 2018. Ende April 2019 waren laut dem Staatssekretariat für Wirtschaft 1322 Stellen in der Land- und Forstwirtschaft als offen gemeldet. "Es ist schwierig, qualifizierte Arbeitskräfte zu finden", bestätigt Monika Schatzmann von Agrimpuls. Dies ist der Geschäftsbereich des Schweizer Bauernverband (SBV), der sich unter anderem um die Vermittlung von Arbeitskräften kümmert.

Gerade bei den Gemüseproduzenten sind viele Arbeitskräfte gefragt. Zurzeit startet man in die Hochsaison. Auch auf dem Hof von Beat Bösiger in Niederbipp BE. Dieses Jahr hatte er wenig Probleme, Leute zu finden: "Letztes Jahr war es schwieriger", damals habe man den Druck europaweit gespürt. Es schien in einigen europäischen Ländern wirtschaftlich wieder besser zu laufen.

Wirtschaft im Aufschwung

Auch Gemüseproduzent Bruno Gutknecht aus Ried b. Kerzers FR kennt diese Probleme: "Es ist schon schwierig, gute Arbeitskräfte zu finden", meint er am Telefon. Jetzt sind aber die Verträge abgeschlossen. Auf seinem Betrieb sind rund 70 saisonale Arbeitskräfte tätig. Er baut in konventionellem wie auch biologischem Anbau Gemüse im Gewächshaus und im Freiland an.

Bei den Obstproduzenten ist noch nicht Hochsaison, aber auch dort naht die arbeitsintensive Zeit. Die ersten Erdbeeren stehen in den Regalen und bei andere Kulturen braucht es Arbeitskräfte, die die Ernte vorbereiten. Jimmy Mariéthoz, Geschäftsführer des Schweizer Obstverbands, bestätigt, dass qualifizierten Arbeitskräfte fehlen. Zusätzlich hätten die Obstproduzenten wegen der neuen Regelung des Inländervorranges neue administrative Aufwände. Denn seit dem 1. Juli 2018 müssen die Produzenten alle offenen Stellen den Arbeitsämtern melden, sobald die Arbeitslosenquote in der betroffenen Branche über acht Prozent steigt. Erst seit letztem Jahr ist es deshalb möglich, die offenen Stellen in der Landwirtschaft zu verfolgen.

Auf die Gründe für den ausgetrockneten Arbeitsmarkt angesprochen, meint Mariéthoz: "Es ist ein europaweites Problem, dass man Schwierigkeiten hat, gute Leute zu finden. Das liegt daran, dass sich die Wirtschaft in den Ländern, aus welchen die Arbeiter kommen, verbessert hat."

Schmerzgrenze bei 2000 Franken

Diese Beobachtung macht auch Dariusz Hliwa von der Vermittlung Rol-Job aus Emmen LU, einer kleinen Vermittlung für polnische Mitarbeiter. "Die Wirtschaft in Polen hat sich verbessert", das spüre man schon. "Früher konnten wir innerhalb von drei Tagen jemanden vermitteln. Jetzt dauert es manchmal zwei bis drei Wochen, bis wir jemanden haben, oder es gelingt uns gar nicht." Die Ansprüche der saisonalen Arbeitskräfte seien gestiegen, da es in Polen wieder besser laufe, meint er. Die Schmerzgrenze bei den Lohnansprüchen liege bei 2000 Franken, netto. Ansonsten interessierten sich die Arbeiter nicht für die Stelle.

Andere Wirtschaftssektoren bieten oft bessere Löhne und es besteht die Möglichkeit, längerfristig zu bleiben. So etwa auf dem Bau. Dort sei aber auch die Sprache wichtiger, wie Hliwa erklärt. Saisonale Arbeiter, die schon längere Zeit in der Schweiz sind, wünschten sich gerne einmal eine andere Arbeit. Durch die besseren Deutschkenntnisse haben sie mehr Chancen auf dem Bau. Dies bestätigt auch Monika Schatzmann von Agrimpuls: "Für viele Arbeitskräfte ist die Landwirtschaft eine Einstiegsbranche. Sobald sie die Sprache besser können, möchten sie auch eine anspruchsvollere Arbeit machen."

Zu günstige Produkte

Mit einer besseren Entlöhnung könnte man die Arbeit attraktiver machen. Doch die Lohnkosten machen auf landwirtschaftlichen Betrieben oft den grössten Teil der Produktionskosten aus. Da gebe es nur wenig Spielraum, um die Löhne zu erhöhen, so Jimmy Mariéthoz vom Obstverband. "Es ist ein grosses Problem, dass die Preise für die landwirtschaftlichen Produkte so tief sind", so Monika Schatzmann. Diese Herausforderungen gebe es aber nicht nur in der Schweiz. Jedes Land brauche ausländische Arbeiter. Zum Beispiel arbeiteten in Polen Arbeitnehmer aus der Ukraine. Oder in Spanien arbeiteten Menschen aus Marokko.

55-Stunden-Woche

In der Schweiz beträgt der Mindestlohn für saisonale Arbeitskräfte 3270 Franken. Zudem muss in der Landwirtschaft viel gearbeitet werden – so gehört eine 55-Stunden-Woche meist zum Standard.

Auch beim Gemüseproduzenten Gutknecht wird viel gearbeitet: "Das sind schon viele Stunden. Wir sind aber wegen des Detailhandels unter Druck, denn wir müssen auch am Samstag liefern und ernten." Würde der Samstag wegfallen, denkt Gutknecht, würde das viel erleichtern und die Arbeit attraktiver machen, aber: "Es ist wie beim Melken: Man kann die Kuh nicht einfach nicht melken, weil Wochenende ist. Auch das Gemüse muss dann geerntet werden, wenn es reif ist." Die Überwachung der Gemüsekulturen müssten auch am Wochenende gewährleistet sein.

Bei ausgebildeten Arbeitskräften sieht die Lage noch etwas düsterer aus. "Es braucht auf verschiedenen Ebenen Arbeitskräfte. Bei den ausgebildeten Fachkräften ist es eher schwierig jemanden zu finden", erklärt Gemüseproduzent Bösiger, der auf seinem Betrieb 160 Mitarbeiter beschäftigt, davon rund 80 saisonale Arbeitskräfte. "Bei den Arbeitskräften für Führungspositionen ist der Markt komplett ausgetrocknet. Sie können sich aussuchen, wo sie arbeiten", führt er aus. Heute sei es nicht mehr interessant, Bauer zu sein, meint dazu Gemüseproduzent Gutknecht. "Das liegt auch an den Arbeitszeiten. In der Hochsaison arbeiten wir schon mal 60 Stunden pro Woche."

Beruf weiterhin beliebt

Anders klingt es bei der Organisation der Arbeitswelt Landwirtschaft der AgriAliForm. Die Vereinigung ist verantwortlich für die berufliche Aus- und Weiterbildung in der der Landwirtschaft. Das Interesse am Beruf sei nicht gesunken, meint Präsident Loïc Bardet. Die Vereinigung beobachte ein leichtes Wachstum bei den Lehrlingen. Zudem sei die Motivation bei den jungen Menschen kein Problem. "Die Frage ist mehr – wie können wir genügend Nachfolger für die Betriebe ausbilden", erklärt er auf Anfrage. Stiegen die aktuellen jährlichen Abschlüsse nicht an, könnten in Zukunft nur Nachfolger für 30 000 Be-triebe ausgebildet werden. Es fehlten also Nachfolger für rund 20 000 Betriebe.

Bardet ist aber überzeugt,dass die Landwirtschaft noch nicht dem Untergang geweiht ist: "Man sollte nicht zu pessimistisch denken: Die Menschen müssen auch in Zukunft dreimal pro Tag essen." Eine Entspannung auf dem Arbeitsmarkt könnte unter anderem die Digitalisierung bringen: "In Zukunft wird die Digitalisierung sicher eine Rolle spielen. Dadurch geht ein Teil der Arbeit auf den landwirtschaftlichen Betrieben verloren und es werden weniger Hilfskräfte benötigt", so Monika Schatzmann. Zudem gibt es kleine Bestrebungen, wie etwa den Einsatz von Flüchtlingen auf den Feldern oder die Solidarische Landwirtschaft, welche ebenfalls Entspannung bringen könnten.