Seit die finanzielle Unterstützung der Bockweiden in Berggebieten durch mehrere Projekte des Schweizer Ziegenzuchtverbandes zum Erhalt gefährdeter Rassen Anfang 2019 weggefallen ist, sind die Besitzer der Böcke, die auf Anna Röstis Weide grasen Hobbyhalter und Hobbyzüchterinnen. «In der Zeit, in der das Bockweiden-Projekt finanziert wurde, waren es vor allem Bauern, die ihre Böcke hier auf die Bockweide brachten. Nachdem die Finanzierung eingestellt wurde, sind alle Landwirte weggefallen. Es lohnt sich für die Landwirte nicht mehr, wenn sie das selber zahlen müssen.»

Zwei Franken pro Tag

Das Stall- und Futtergeld liegt für die Ziegenböcke auf der Weide von Anna Rösti aus Wimmis bei zwei Franken pro Tag. Besitzer, die ihre Tiere längere Zeit bei ihr unterbringen, zahlen pauschal 60 Franken pro Monat. Der starke Rückgang der Tierzahlen nach dieser Einstellung der Finanzierung war für Anna Rösti deutlich spürbar.

Laut BLW wurde die Finanzierung eingestellt, da der Bund unterstützende Beiträge zur Erhaltung von Schweizer Rassen nur für zeitlich befristete Projekte ausrichten kann. Dennoch, sie betreibt die Bockweide, genau wie ihre eigene Ziegenzucht, mit viel Leidenschaft.

Ziegenzuchtverein «Am Niesen»

Etwa ein Drittel der Böcke stammen derzeit von fremden Haltern. Die restlichen Ziegen gehören Anna Rösti selbst. Insgesamt gehören etwa 60 Geissen und Jungtiere, sowie zehn Ziegenböcke unterschiedlicher Rassen zu ihrer Zucht, die sie gemeinsam mit Jakob Reber im eigenen Ziegenzuchtverein «Am Niesen» betreibt. Tatkräftig unterstützt wird sie auch von ihrer Tochter Gabriela, die mit den Ziegen aufgewachsen ist.

Leidenschaft für alte Rassen

In ihrer nebenerwerblichen Ziegenzucht finden sich alle Schweizer Rassen. Auch jene, die vielerorts bereits in Vergessenheit geraten sind. Anna Rösti arbeitet eng mit dem Verein Pro Specie Rara zusammen und ist im neu gegründeten Verein ZCKG (wir berichteten), der sich für den Erhalt der Grüenochte Geiss, der Kupferhalsziege und der Capra Sempione einsetzt, im Vorstand. Weil alle Schweizer Rassen erhalten werden sollen, gibt es auf der Weide der Ziegenzüchterin auch Milchrassen wie die Oberhasli-Brienzer. Die Walliser-Ziegen allerdings, mit ihren imposanten Geweihen, liegen ihr besonders am Herzen.

Ausreichend Platz ist wichtig

Mit etwa vier Monaten werden ihre Jungtiere von der Mutter getrennt und kommen auf die Jungtierweide in Unterseen. Sobald sie stark genug sind und sich behaupten können, wechseln die Jungtiere mit etwa einem Dreivierteljahr zu den adulten Tieren auf die Weide in Reutigen.

Wenn ein neues Tier in die Herde integriert wird, geht das meist ziemlich problemlos. Wichtig ist, dass die Tiere genug Platz haben und einander ausweichen können. «Nach etwa einer halben Stunde sind die Fronten meist schon geklärt. Es knallt dann einmal, aber dann ist alles wieder ruhig», sagt Anna Rösti.

Ruhiges Zusammenleben

Wenn die Böcke wirklich stark oder ranghoch sind, dann würden sie unter Umständen kämpfen bis einer der beiden stirbt oder sich nicht mehr wehren kann, erzählt die Ziegenhalterin weiter. In solchen Situationen komme es dann zu Beinbrüchen oder Schädelbrüchen. Aber in den zwölf Jahren, in denen sie die Bockweide betreibt, kam so etwas nur selten vor. Das Verletzungsrisiko beim Menschen sei ebenfalls minimal. Meistens bleibt es bei blauen Flecken.

Wenn neue Tiere dazu kommen, ist es wichtig, dass diese gesund sind. Eine aktuelle Kotuntersuchung auf Parasiten ist wünschenswert und es ist wichtig zu wissen, wann und mit ­welchem Medikament zuletzt ­entwurmt wurde. Spezielle Impfungen brauche es zur Aufnahme in die Herde keine.

Herausforderung: Korrektes Verhalten

Neben dem Parasitenmanagement sieht Anna Rösti im korrekten Verhalten der Tiere die grösste Herausforderung in der Bockhaltung: «Gerade bei fremden Tieren weiss man nie, wie sie auf Menschen reagieren. Wenn dann so ein ausgewachsener Bock daherkommt, hat man schon Respekt. Ein Tier, welches charakterlich nicht einwandfrei ist, würde ich sofort ausschliessen. Gerade wenn Kinder dabei sind, ist das nicht zu verantworten.»

Spaziergang mit Bock und Hund

Die ausgewachsenen Böcke werden jedes Jahr zwischen Mitte Juli und November zum Deckeinsatz abgeholt, und danach wieder auf die fast zwei Hektaren grosse Bockweide gebracht. Auch Kastraten werden in die Herde aufgenommen. Anna Rösti erzählt: «Eine Frau aus der Stadt hatte zwei kastrierte Pfauenziegenböcke vor dem Metzger gerettet. Bei ihr zuhause gab es aber natürlich keinen Platz für die Böcke. Dann kamen die beiden 2012 zu mir.

Die Dame zahlt einfach ihre Stallmiete. Wenn sie Zeit hat, kommt sie manchmal her und geht mit ihrem Bock und ihrem Hund spazieren.» Die fremden Tiere bleiben auf der Bockweide bis sie sterben. Ihre eigenen Jungböcke kann sie nicht alle in die Zucht verkaufen. Die Tiere, die besonders zahm sind, nutzt die Familie noch zum Wagenziehen. Die anderen ­gehen anderthalbjährig zum Metzger.

In Zukunft Bio

Ab 2021 wird der Betrieb von Anna Rösti offiziell als Biobetrieb anerkannt. Auch ist die Teilnahme am BTS-Programm ein geplantes Ziel. Trotz der erfolgreichen Zucht würde ein Betrieb in Vollerwerb dennoch nicht rentieren: «Mit Geissen verdient man leider nichts. Und mit alten Rassen, die nicht viel Milch geben, sowieso nicht.» 

Weitere Informationen zum Ziegenzuchtverein «Am Niesen»: www.zzniesen.jimdofree.com