«Destra, sini!», ertönt am Fusse des Wisenberges im Oberen Baselbiet. Katharina Bitterli navigiert ihren Border Collie Ciaran nach rechts und wieder nach links über die Schafweide. Dieser hört auf italienische Ruflaute, die anderen beiden Border Collies jeweils auf französische und englische. «So gibt es kein Durcheinander. Jeder von ihnen weiss, was er zu tun hat», sagt die 59-jährige Schafzüchterin.
Zugleich kommen die ersten Schafe angelaufen und präsentieren sich wie frisch geschoren. Ein paar wenige fallen aus dem Rahmen: Kleine Büschel Wolle hängen noch am Rücken. Die wurden nicht etwa übersehen, «nein, die Wolle hat sich dort noch nicht selbstständig abgelöst», klärt Bitterli auf. Denn ihre Nolana-Schafe, so wie es der Name «No lana» («keine Wolle») schon sagt, müssen nicht geschoren werden. Sie besitzen einen natürlichen Fellwechsel einmal im Jahr.
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Vom Milchvieh zum Schaf
Der Betrieb von Katharina und Alfred Bitterli in Häfelfingen BL hat schon so einige Umstellungen mitgemacht. Vor über 18 Jahren wurden hier noch 16 Milchkühe gehalten. Doch der Milch-preis fiel und ihr Abnehmer wollte nur mehr jeden zweiten Tag die Milch abholen. Bitterlis hätten aufgrund dessen umrüsten müssen: «Unser Milchtank war zu klein, um die Milch für einen weiteren Tag zu lagern und wir hätten vom Anbindestall auf Freilandhaltung umstrukturieren müssen, damit sich die Milchviehhaltung für uns noch lohnt. Das wären zu grosse Investitionen für uns gewesen», blickt die Betriebsleiterin zurück. Bitterlis entschieden sich die Milchviehhaltung aufzugeben und stattdessen Schaffleisch zu verkaufen, was mit 14 Franken pro Kilogramm weitaus lukrativer war. Als der Viehhändler 2003 schliesslich vorfuhr, tauschten sie ihre Kühe gegen verschiedene Schafe der Rassen Weisses Alpenschaf (WAS), Braunköpfiges Fleischschaf (BFS) und Charollais Suisse (CHS) ein.
Betrieb Familie Bitterli
Name: Katharina und Alfred Bitterli
Ort: Häfelfingen BL
LN: 15,5 ha Grünfläche, 1,5 ha Brotweizen (Futter für Schafe aus eigenem Silo, Heu, Emd und Stroh), 150 Maulbeerbäume für die Seidenraupenproduktion, Trüffelplantage aus 100 Buchen-, Eichel-, Hasel- und Lindenbäumen
Tierbestand: 120 Nolana-Schafe
Betriebsform: IP-Suisse
Websites: www.nolana-schweiz.ch, www.seidenraupen.ch
Nur zwei Jahre später musste sich Katharina Bitterli wieder um ihren Hof Sorgen machen. «Die Subventionen für Schafwolle wurden landesweit gestrichen. Nun gab es nur noch ein paar wenige Rappen für ein Kilogramm Wolle. Mit den ganzen Ausgaben für das Scheren hat sich das für uns nicht mehr rentiert. Viele unter uns Schafhaltern mussten die Wolle verbrennen oder in den Abfall geben, weil sie nichts mehr wert war», gibt sie zu bedenken. Pro Schur und Schaf gab die Schafhalterin fünf Franken aus, dazu kam der Aufwand, den Scherer und eine Hilfskraft zu organisieren. Alles in allem generierte die Schur nur noch viel Mühe, Ausgaben und verlorene Zeit.
Ein Artikel wendete alles
Als Katharina Bitterli sich darum viele Gedanken machte, kam ihr wieder ein Artikel in den Sinn, den sie vor einiger Zeit in einer Schweizer Agrarzeitung las: «Es ging um eine Schafrasse, die auf ganz natürliche Weise ihre Wolle verliert. Damit erübrige sich die Schur und der ganze Aufwand dahinter», blicktBitterli begeistert zurück. Das Landwirtschaftliche Zentrum Baden-Württemberg in Aulendorf (D) beschäftigte sich mit der Rückkreuzung des Schafes mit der ältesten britischen Schafrasse Wiltshire Horn, welcher nie Wolle angezüchtet wurde. «Was viele Landwirte vergessen: Das ursprüngliche Schaf verlor regelmässig sein Winterfell wie jeder Hund, bis man es domestizierte, um die Wolle gewinnbringend zu verkaufen», erklärt die Schafzüchterin. Weil der Wollpreis aber europaweit gesunken ist, lohnt sich die Haltung des «konventionellen» Schafes nicht mehr, ist sich Bitterli sicher.
Zuchtprogramm aufgebaut
So fuhr sie nach Aulendorf, um dort die sogenannten Nolana-Schafe zu erwerben. «Ich wollte zehn Schafe kaufen. Man vertröstete mich aber, es seien schon alle reserviert und man könnte mir im nächsten Jahr vielleicht zwei anbieten.» Doch Katharina Bitterli blieb hartnäckig. Als sie erklärte, dass diese nicht als Hobby-, sondern als Zuchtschafe gehalten werden sollten, habe sie im gleichen Jahr noch drei Schafe erhalten.
Steckbrief: Das Nolana-Schaf
- Aus europäischen Schafen gezüchtet
- Vom Schweizerischen Schafzuchtverband anerkannt
- Saisonale Brunft
- Mittel- bis vollfleischiges Schaf
- Böcke 90 bis 130 kg, Auen 65 bis 90 kg schwer
- Kurzhaardecke statt Wollvlies
- Natürlicher 100%-iger Fellwechsel im Frühlingund deshalb keine Schur notwendig
- Kein Problem mit Fliegenmaden
- Im Spätherbst Ausbildung eines dichten und sehr fettigen Winterfells (4–5 cm)
- Hornlos
- Leichte, problemlose Ablammung
- Mindestens 1,7 Lämmer/Muttertier/Jahr
- Auch für kleine Schafhalter geeignet
- Einfache extensive Haltung
- Reduzierte Haltungs- und Tierarztkosten
- Gesunde Klauen
- Berggängig und für die Winterweide geeignet
Mittlerweile leben auf 17 Hektaren 120 Nolana-Schafe. Bitterlis verkaufen die Zuchtlämmer für 400 Franken. Ein kleiner Teil geht als Fleisch an den Grosshandel ab – dies für einen gewöhnlichen Preis. «Wir haben die Chance genutzt, verschiedene Blutlinien in der Schweiz aufzubauen. Dabei haben wir uns vor allem auf die Qualität und nicht auf die Masse fokussiert», so Bitterli. Mit dem Absatz hat das Betriebsleiterehepaar keine Probleme. «Im Frühjahr sind alle guten Zuchtlämmer bereits reserviert.»
Gründung eines Vereins
Um die Rasse in der Schweiz bekannter zu machen, wurde 2015 der Schafzuchtverein Nolana Schweiz gegründet. «Denn viele Schäfer sind noch konventionell eingestellt und denken, das Schaf brauche die Wolle», begründet Katharina Bitterli, die die Präsidentin des Vereins ist. Heute ist Nolana als offizielle Schafrasse vom Schweizerischen Schafzuchtverband anerkannt. Während es damals noch fünf Nolana-Züchter waren, ist ihre Anzahl auf 24 Züchter(innen) und mehr als 500 Tiere im Herdebuch angewachsen.
Nebenerwerb: Seidenraupenproduktion und Trüffelplantage
Neben der Zucht von Nolana-Schafen ist Katharina Bitterli vor sechs Jahren in die Seidenraupenproduktion eingestiegen. «Die Seidenweberei ist ein altes Handwerk im Baselbiet. 90 Prozent aller Bauernbetriebe hatten damals einen Webstuhl als Zusatzverdienst, so auch meine Familie mit sieben an der Zahl», weiss die innovative Landwirtin. Im 19. Jahrhundert war die Seidenproduktion ein wichtiger Wirtschaftssektor in der Schweiz. Man exportierte gar nach Amerika. Dieses Handwerk möchte Bitterli wieder zum Leben erwecken.
Im Bauernhaus der Familie hat sie eine Indoor-Anlage angelegt, wo die Seidenraupen heranwachsen. 150 Maulbeerbäume auf Bitterlis Anwesen liefern mit deren Blättern die Nahrung für die Aufzucht. In der Regel stellt die Vereinigung Schweizer Seidenproduzenten pro Jahr aus insgesamt 200'000 Kokons 65 Kilogramm Rohseide her, um daraus edle Stoffe oder andere Seidenprodukte herzustellen. Einige bietet Bitterli in ihrem Hoflädeli an.
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Vor acht Jahren wurde auf dem Anwesen zudem eine Trüffelplantage mit Buche, Eichel, Hasel und Linde angelegt. Die ersten Trüffelknollen hat Bitterli vergangenes Jahr ernten können.
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«Es braucht in der Regel sechs bis zehn Jahre, bis sich ein Pilzgeflecht unter der Erde ausgebildet hat und die ersten Pilzkörper, in dem Fall den Trüffel, hervorbringt», erklärt die Landwirtin. Titus, ihr dafür speziell ausgebildeter Border Collie, erschnüffelt diese dann unter der Erde. «Für mich ist die Seidenraupen- und Trüffelproduktion ein Nebenerwerb, solange ich keine roten Zahlen damit schreibe», sagt die Baselbieterin. Für Interessierte bietet sie Betriebsführungen an, um einen Einblick in die Seidenraupen- und Trüffelproduktion sowie in die Nolana-Schafzucht zu geben.