Das Bundesamt für Umwelt hat das Gesuch des Kantons Graubünden zur Regulierung des Wolfrudels «Beverin» abgelehnt. Das Bundesamt begründete seinen Entscheid auch damit, dass es sich bei einem gerissenen Kalb auf der Alp Nera am Schamserberg um eine Weidegeburt handle. Es sei deshalb zum Zeitpunkt des Wolfsangriffs zu wenig geschützt gewesen. Für den Bündner Bauernverband ist der Entscheid des Bundesamts für Umwelt weder nachvollziehbar noch akzeptabel. Die Einschränkung der Abkalbung auf der Alp widerspreche der landwirtschaftlichen Praxis, hält er in einer Mitteilung fest. Auch für Plantahof-Direktor Peter Küchler stellen sich nach diesem Entscheid grundsätzliche Fragen. Das Bundesamt habe mit seiner Beurteilung die Spielregeln geändert, sagt er.
Peter Küchler, das Bundesamt für Umwelt sagt, ein gerissenes Kalb sei nicht genügend geschützt gewesen, weil es sich um eine Weidegeburt handelte. War es überhaupt eine Weidegeburt?
Peter Küchler: Ja, es war eine Weidegeburt. Aber das Bundesamt hat mit seiner Beurteilung die Spielregeln geändert. Zuvor hatte es stets kommuniziert, die Situation ändere sich grundlegend, wenn es zu Rissen bei Rindern oder Pferden kommt. Dies soll nun auf einen Schlag nicht mehr gelten. Weidegeburten gelten nun offenbar plötzlich als unzulässig. Gegen dieses generelle Verbot wehren wir uns vehement.
Sind denn Weidegeburten problematisch?
Unbetreute Weidegeburten sind meines Erachtens problematisch. Bei betreuten Weidegeburten, wenn diese etwa unter Aufsicht einer Hirtschaft stattfinden, sehe ich kein Problem. Man darf zudem nicht vergessen, dass für viele Konsumentinnen und Konsumenten die Weidegeburt als die natürlichste Form der Geburt gilt. Diese Beurteilung durch das Bundesamt für Umwelt wird grosse Diskussionen auslösen. Die Weidegeburten generell zu verbieten, das geht nicht.
Wie wichtig sind denn Weidegeburten in wirtschaftlicher Sicht?
Das ist je nach Betriebskonzept unterschiedlich und hängt auch davon ab, wo die Mutterkühe geweidet werden. Die Ausgangslage auf einer Alp, einer Allmend oder einer Heimweide ist unterschiedlich. Aber eine Verbot der Weidegeburt könnte die Marktlage und die Preise beeinflussen, weil ein Teil der Mutterkühe im Sommerhalbjahr nicht abkalben dürfen.
Abgesehen davon, dass die Präsenz von Wölfen eine höchst gefährliche Unruhe in Rinderherden bringen: Was ändert sich denn grundlegend, wenn es zu Rissen aus Rinderherden kommt?
Wölfe sind Raubtiere, die nach einem Beuteschema jagen. Dieses geben sie an die Jungtiere weiter. Wenn Wölfe mit einer Jagd im Rudel beim Grossvieh erfolgreich sind, dann werden sie diese Form der Jagd immer häufiger praktizieren. Dann muss man auch beim Grossvieh einen flächendeckenden Herdenschutz aufziehen. Mit Zäunen, Netzen und Hunden. Dieser Aufwand wäre riesig und stünde in keinem Verhältnis zum Nutzen. Das hätte nicht nur negative Auswirkungen auf die Landwirtschaft, sondern auch auf den Tourismus. In der Surselva ist die Wolfsdichte definitiv zu hoch. Die Gesellschaft wird es hoffentlich bald nicht mehr akzeptieren, dass Wölfe unbehelligt und selbstsicher durch ihre Dörfer spazieren. Vielleicht werden deren Hilferufe ernster genommen als jene der Landwirtschaft.
Auch für Ziegen und Schafe werden die Ansprüche an den Herdenschutz immer höher geschraubt. Sind Sie überhaupt noch zu erfüllen?
Im Kanton Graubünden versuchen wir alles, um den Herdenschutz zu optimieren. Auf allen Ebenen. Mit Zäunen, Behirtung und Schutzhunden. Aber manchmal kommt es mir vor, als arbeiteten wir mit einem Messer ohne Klinge. Die Massnahmen zum Herdenschutz, das wäre der Schaft. Aber uns fehlt eine Klinge zum Schaft, die es uns ermöglicht, den Wolfsbestand massvoll, gezielt und rasch zu regulieren.