«Diese Kühe werden alt», sagt Kaspar Tschümperlin und betrachtet zufrieden seine Herde. Wir sitzen vor einem Alphüttli im aussichtsreichen Freiburger Oberland. Hier auf der Alp Schwyberg sind die Mutterkühe des Landwirts samt Nachzucht friedlich am Weiden.
Vier Embryonen gekauft
Kaspar Tschümperlin hat uns eingeladen, um einen Blick auf seine Tiere zu werfen. Es sind exklusive OB-Kühe und -Weiderinder. Das sieht man ihnen auf den ersten Blick nicht an. Aber sie sind die einzigen in der Schweizer OB-Population, die genetisch hornlos sind. Im OB-Herdebuch sind sie aber nicht, obwohl sie vielfach über 99 Prozent OB-Blutanteil haben, doch dazu später.
Den Grundstein zu seiner Herde hat Tschümperlin vor 20 Jahren gelegt. «Die Originalsamen sind aus Texas», erzählt er, «sie laufen dort unter Polled Braunvieh.» Er hat sich damals Embryonen schicken lassen. «Das war komplex mit dem Bundesamt, welches seinerzeit noch BVET hiess, und all den nötigen Bewilligungen», so der Züchter.
«Ich habe vier gekauft, drei wurden eingesetzt, zwei trugen nicht, und es gab ein einziges Kalb», sagt Tschümperlin, «zum Glück war es ein Muni.» Dieser Muni namens Beefboy, der heute im Herdebuch von Braunvieh Schweiz aktenkundig ist, war der Stammvater seiner Herde.
Viele mit über 99 Prozent OB
Die Kosten für die ganze Aktion seien schwierig zu beziffern, sagt Tschümperlin. Es seien sicher mehrere Tausend Franken gewesen. Dieses Geld könnte er ohne Weiteres wieder einspielen, indem er seine genetisch hornlosen Kühe oder Rinder verkaufen würde. Solche Tiere seien begehrt und er erhalte immer wieder Anfragen von Interessenten.
Betriebsspiegel Castelen
Name: Kaspar Tschümperlin und Pierrette Meyer, Betrieb Castelen
Ort: Alberswil LU
Betriebsform: IP-Suisse, Zone: VHZ, Land teilweise in Talzone
Viehbestand: 45 hornlose OB-Mutterkühe, Eigenremontierung3–6 Kälber pro Jahr, Rest geht in die Mast (Migros-Weidebeef, Schlachtalter 18–24 Monate)
LN: 59 ha (davon 35 ha Eigenland)
Kulturen: 30 ha in der Fruchtfolge: Raps, Braugerste, Urdinkel, Winterweizen, Silomais, Körnermais
Arbeitskräfte: Betriebsleiterehepaar (Ehefrau Teilzeit auswärts), Praktikant, normalerweise ein Lehrling
Doch von einem Verkauf will Tschümperlin nichts wissen. «Wenn du sie einmal rausgibst, ist die Exklusivität weg», erklärt Tschümperlin. «Ich bin der einzige in der Schweiz, wahrscheinlich in Europa, der Polled OB züchtet, aber ich verkaufe nichts.» Der Grund ist einfach: Seine Tiere werden vom OB-Zuchtverband nicht als OB anerkannt, obwohl sie alle über 90, viele gar über 99 Prozent OB-Blut haben. Der Zuchtverband will aber nichts wissen von einer Lockerung, so wie sie etwa bei den Original Simmentalern vollzogen wurde (s. Kasten weiter unten). Hier braucht es für eine Rückkreuzung mit Herdebuch-Anerkennung (Code 60) 98,4 Prozent Simmentaler Blut.
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«Hornlos ist voll im Trend»
Bisher beisst Tschümperlin bei den Original-Züchtern auf Granit. Er bedauert die Haltung des Verbands. «Das wäre doch eine Riesenchance für die Rasse», ist er überzeugt. Denn im Wettstreit der Rassen ist genetische Hornlosigkeit heute ein Trumpf. Die OB-Züchter können sich allerdings derzeit keineswegs beklagen über mangelnden Erfolg. Im Gegenteil, die Zahl der Herdebuchtiere nimmt stetig zu, ganz im Gegensatz zu Brown Swiss, wo ein stetiger Rückgang zu verzeichnen ist. Solange OB die Lockerung nicht vollzieht, werde er nichts verkaufen, bekräftigt Tschümperlin. Sieht er eine Entwicklung? «Steter Tropfen höhlt den Stein», lautet seine Antwort. Im Moment sei der Verband einfach noch sehr stur. Er sei zwar nicht Mitglied, habe mit dem Verband aber kein Problem.
Sein Optimismus ist gross, wenn auch eher längerfristig ausgerichtet: «Wenn ich es nicht schaffe, hornlose OB-Genetik zu verkaufen, dann wird es sicher mein Junior sein, da haben wir Zeit.» Diese Zeit laufe eher für ihn. «Bei den Milchrassen ist hornlos voll im Trend», hat Tschümperlin beobachtet.
Seine hornlosen Mutterkühe könnte man immer noch melken, er geht von einer Milchleistung von über 6000 kg aus. «Das ist immer noch der Zweinutzungstyp», sagt der Luzerner Landwirt. Zuchtziele seien für ihn aber primär Fleischwert und Hornlosigkeit, auch im Hinblick auf einen allfälligen Export seiner Tiere. «Die Milchmenge ist sowieso ausreichend», sagt Tschümperlin, «deshalb züchten wir nicht auf Milch.»
«Ein bisschen gegoogelt»
«Ich habe ein bisschen gegoogelt», sagt Tschümperlin auf die Frage, wie er auf das hornlose Braunvieh kam. So wurde er aufmerksam auf die Simmentaler Züchter – namentlich Paul Indermühle – und ihr Vorgehen. «Ich habe 1998 in Alberswil LU den Betrieb übernommen und gleichzeitig angefangen, nach hornlosen OB Ausschau zu halten».
Zu fixiert ist er nicht bezüglich seiner Strategie. Tschümperlin kann warten, und dazu eigenen Wein trinken. Dieser ist allerdings nun weg, denn die hofeigene Hektare Reben haben Kaspar Tschümperlin und Pierrette Meyer kürzlich schweren Herzens verpachtet. Denn Weinbau ist eine «Cashcow», verlangt aber sehr viel Handarbeit. Das wäre nicht kompatibel gewesen mit dem nächsten Schritt. Tschümperlin-Meyers hatten Gelegenheit erhalten, einen zweiten Betrieb zu übernehmen. «Das ist wie ein Lottosechser», sagt Tschümperlin schmunzelnd, «da kannst du nicht nein sagen.»
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Nicht zu Tode krüppeln
Gleichzeitig sei für das Ehepaar klargewesen, dass sie etwas abbauen müssen. Einen neuen Betriebszweig hast du schnell, aber du musst es auch noch machen», sagt Tschümperlin. «Zu Tode krüppeln», sagt er, werde er sich nicht, «man lebt ja nur einmal.»
Beim OB-Verband ist Lockerung der Reinzucht weiter kein Thema
Die Zucht für die genetische Hornlosigkeit von Original Braunvieh beschäftigt Kaspar Tschümperlin schon seit 20 Jahren. Bei der Vereinigung zur Erhaltung und Förderung der schweizerischen Original-Braunvieh-Rasse (OB) ist man davon wenig beeindruckt. Aller Voraussicht nach wird sich bis auf Weiteres nichts ändern an der negativen Haltung gegenüber der genetischen Hornlosigkeit. Das OB-Herdebuch ist geschlossen, das heisst, eine Rückkreuzung über wie viele Generationen auch immer, ist nicht möglich.
Kein ROB-Status für Stiere
Im Herdebuch gibt es die Kategorie Rückkreuzung Original Braunvieh (ROB) für weibliche Tiere. Das sind «fast OB, aber nicht ganz». Als ROB-Tiere gelten solche mit mindestens 87,5 % OB-Blut. Laut Braunvieh Schweiz sind rund 3500 ROB-Tiere im Herdebuch registriert. Diese sind ausschliesslich weiblich, für Stiere ist diese Bezeichnung nicht vorgesehen.
Letzten Winter hatten Vertreter von Braunvieh Schweiz und dem OB-Verband über mögliche Lockerungen des geschlossenen Herdebuchs diskutiert, nicht zuletzt unter dem Aspekt der genetischen Hornlosigkeit. Zur Sprache kamen folgende drei Varianten:
A: OB-Definition gemäss Tierzuchtrecht (87,5 % Blutanteil oder darüber).
B: Lösung analog Simmentaler (98,4 % Blutanteil oder mehr).
C: Bisherige Definition, aber unabhängig vom Geschlecht, das würde bedeuten, dass es neu auch Rückpaarungs-OB- (ROB)-Stiere gibt.
Das Verdikt war damals recht klar. Varianten A und B wurden vonseiten der OB-Züchter klar abgelehnt. In Sachen ROB-Stieren (Variante C) kündigten sie damals eine verbandsinterne Diskussion an.
Diese Diskussion im Vorstand hat unterdessen stattgefunden und auch hier war das Verdikt klar: Es wird keine ROB-Stiere geben, wie Andreas Anderegg, Präsident der OB-Vereinigung auf Anfrage sagt. Dabei gebe es keinerlei Meinungsdifferenzen zwischen älteren und jüngeren OB-Züchtern. Die im Verband vertretenen Jungzüchter seien eher noch stärkere Verfechter der Reinzucht, so Anderegg.
«Wären absolut chancenlos»
«Bis anhin ist mir verbandsintern keine Stimme zu Ohren gekommen, die eine Lockerung möchte», so der Berner Oberländer Landwirt. Sogar wenn der Vorstand eine Lockerung anstreben würde, müsste er damit in die Versammlung, «und wir wären damit absolut chancenlos», sagt Anderegg. Allerdings gebe es seines Wissens auch im Vorstand selber keine Verfechter eines diesbezüglichen Vorgehens, betont er.