Sara ist 40-jährig, Bäuerin und hat drei kleine Kinder. Sie arbeitet Teilzeit in einem Altersheim und hilft auf dem Betrieb mit, dort wo es sie braucht. Immer wieder will jemand etwas von ihr: hier einen Gefallen für die Kollegin, dort eine Unterstützung für die Schwiegereltern, noch schnell einen Kuchen backen für die Schule und immer ein offenes Ohr für die Sorgen anderer.

Es kann Frust entstehen

Wenn es darum geht, sich abzugrenzen, passt sie sich häufig an, «dem Frieden zuliebe», sagt sie. Sara ist rücksichtsvoll und bei vielen Menschen beliebt. Wenn sie sich abgrenzen will, denkt sie häufig zuerst ans Wohlergehen der anderen und fühlt sich zwischen eigenen Bedürfnissen und äusseren Erwartungen hin- und hergerissen. Für ihre Bedürfnisse einzustehen, fällt ihr schwer. In letzter Zeit stört sie sich aber immer wieder an ihrem Verhalten und will etwas verändern.

Die Angst vor Ablehnung, der Wunsch nach Harmonie oder das Bedürfnis, niemanden zu enttäuschen, führen dazu, dass wir unsere eigenen Bedürfnisse übergehen. Wenn wir sie ständig zurückstellen, kann Frust entstehen und dieser Frust sucht sich oft ein Ventil. Wir werden unzufrieden, neidisch und die innere Wut kann sich in körperlichen Symptomen zeigen. Anstatt unsere eigenen Grenzen zu erkennen und klar zu kommunizieren, projizieren wir den Ärger auf andere, werten sie ab oder fühlen uns ungerecht behandelt. Das kann Beziehungen belasten und Konflikte auslösen.

Ein Akt der Selbtfürsorge

Deshalb ist es wichtig, sich bewusst zu machen: Grenzen setzen ist kein Angriff auf andere, sondern ein Akt der Selbstfürsorge. Es bedeutet, sich selbst wertzuschätzen und zu respektieren, statt sich von Erwartungen oder Schuldgefühlen treiben zu lassen. Es hilft uns, in der Balance zu bleiben und mit anderen Menschen in einem respektvollen, wertschätzenden Miteinander zu sein.

Der bekannte österreichische Neurologe und Psychiater Viktor Frankl bringt es treffend auf den Punkt: «Zwischen Reiz und Reaktion liegt ein Raum. In diesem Raum liegt unsere Macht zur Wahl unserer Reaktion.» Den inneren Raum, den wir uns nehmen, bevor wir reagieren, ist entscheidend, um bewusst und authentisch zu handeln – statt aus alten Mustern heraus zu funktionieren.

Authentisch sein

Sara will üben, sich diesen Raum bewusst zu werden und zu nutzen, bevor sie sich entscheidet. Sie will den automatischen Impuls: «mach es den anderen recht» prüfen. Immer wieder gelingt es ihr, sich ganz selbstverständlich für ihre Bedürfnisse zu entscheiden, und sie weiss, sie darf es sich selbst recht machen. So ist sie authentisch und kann mit Freude für andere da sein – ohne sich selbst dabei zu verlieren.

Sie macht eine wichtige Entwicklung durch: Sara erkennt, dass sie nicht automatisch die Erwartungen anderer erfüllen muss, sondern dass ihre eigenen Bedürfnisse genauso zählen. Das ist ein Lernprozess, der Mut erfordert, aber langfristig zu mehr Zufriedenheit und Lebensfreude führt.

Zur Person: Doris Brönnimann ist Bäuerin und psychosoziale Beraterin SGfB. Den Landwirtschaftsbetrieb im Kanton Bern übergaben sie und ihr Mann vor einiger Zeit der nächsten Generation. In ihrer Praxis in Köniz BE unterstützt sie Menschen bei persönlichen Schwierigkeiten, Sinnkrisen oder bei zwischenmenschlichen Konflikten. In loser Folge schreibt sie über ihren Beratungsalltag. [IMG 2]

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