Bern Agrarpolitisch ist ein heisser Herbst 2020 zu erwarten. Grund dafür sind zwei Ereignisse: die Pflanzenschutz-Initiativen und die Agrarpolitik 2022+. Der Ausgang beider politischen Projekte ist nach wie vor ungewiss: Im Falle der Initiativen muss das Volk, in Bezug auf die AP 22+ das Parlament entscheiden. Letztere hat die Regierung vergangenen Winter in die Vernehmlassung geschickt.

Eckpunkte der AP 22+

Ende August präsentierte der Bundesrat die Ergebnisse der Vernehmlassung. Wie Landwirtschaftsminister Guy Parmelin damals ausführte, werde man dem Parlament eine Botschaft unterbreiten, die auf der Vernehmlassung beruhe. An mehreren teils umstrittenen Vorhaben will der Bundesrat aber dennoch festhalten:

  • Die soziale Absicherung der Bäuerinnen soll mit einer AHV-Pflicht verbessert werden. Wie Parmelin antönte, ist eine Lohnpflicht – wie ursprünglich angedacht – vom Tisch.
  • Festgehalten wurde auch an einer verschärften Ausbildungsanforderung. Gefordert ist aber neu nicht mehr die Berufsprüfung, sondern der Lehrabschluss mit dem eidgenössischen Fähigkeitszeugnis, ergänzt um drei Module im betriebswirtschaftlichen Bereich.
  • Bei der Revision des bäuerlichen Bodenrechts will die Regierung am neuen Recht für Stiftungen festhalten, wonach diese sich bis zu einem Drittel an Betrieben beteiligen können. Nicht weiterverfolgt wurde die Idee, die Fristen der Vorkaufsrechte für Verwandte des Betriebsinhabers zu kürzen.
  • Die Direktzahlungsobergrenze bleibt Bestandteil der AP 22+. Ob sie, wie ursprünglich geplant, bei 250 000 Franken liegen wird, ist noch offen. Anders als in der Vernehmlassung vorgesehen will man aber bereits ab 150 000 Franken mit degressiven Abzügen beginnen.
  • Im Direktzahlungsbereich will man die Umlagerung von den Versorgungssicherheitsbeiträgen in die Produktionssystembeiträge (PSB) in die AP 22+ mitnehmen.
  • Im ÖLN erfolgt wie angestrebt eine Kürzung der Düngergrossvieheinheiten pro Hektare von 3 auf 2,5.
  • Einige Ideen verschwanden

Bundesrat lässt einiges fallen

Wie die Präsentation damals zeigte, hat der Bundesrat einige Projekte ganz fallengelassen:

  • So soll auf die vorgeschlagene Erhöhung der Siloverzichtszulage um 2 Rp. zulasten der Verkäsungszulage verzichtet werden.
  • Der geplante Betriebsbeitrag scheiterte an der Angst, dass man hier eine neue Direktzahlung einführt, für die man nichts unternehmen muss.
  • Die angestrebte Zweiteilung des Biodiversitätsfördersystems mit einem neuen betrieblichen Förderkonzept wurde fallengelassen, hier bleibt es bei einer Unterteilung nach QI und QII, wobei die Qualitätsanforderungen an QII erhöht werden sollen.
  • Keine Gnade erhielt auch die angestrebte Abschaffung der Inlandleistung als Kriterium für Zollkontingente.
  • Beibehalten will man auch die Marktentlastungsmassnahmen, so etwa Beiträge für inländische Eier oder die Einlagerung von Kalbfleisch.

Im Trinkwasserpaket, das der Bundesrat in die Vernehmlassung aufgenommen hat, um einen Gegenvorschlag zur Initiative zu verhindern, zeichnet sich derweil eine Verschärfung ab. Neu als verbindlich eingeführt wird der sogenannte Absenkpfad für Nitrat und Phosphor. Bis 2025 sollen die Überschüsse um 10 und bis 2030 um 20 Prozent reduziert werden.

Die bundesrätlichen Vorschläge wurden mehrheitlich positiv aufgenommen – für den Schweizer Bauernverband gehen sie «mehrheitlich in die richtige Richtung».

Genauer Fahrplan unklar

Unklar ist derzeit noch der genaue Fahrplan. Wie es beim Bundesamt für Landwirtschaft heisst, ist die Botschaft zur AP 22+ im ersten Quartal zu erwarten. Auch die Frage, wann sich die eidgenössischen Räte über die Botschaft beugen werden, lässt sich nicht zweifelsfrei beantworten.

Bei der Agrarpolitik 2014–2017 begann die Debatte im Nationalrat im September 2012, wurde vom Ständerat im Dezember fortgeführt und schliesslich im März 2013 bereinigt und in beiden Räten zur Abstimmung gebracht. Vorausgesetzt, der Fahrplan für die AP 22+ sieht ähnlich aus, ist mit der ersten Debatte frühestens in der Herbstsession 2020 zu rechnen.

Damit stellt sich automatisch die Frage, welche Wirkung die Trinkwasser- und die Pestizidverbots-Initiative zeitigen könnten: Eigentlich wollte der Bauernverband darauf hinwirken, dass die Initiativen im Frühling 2020 zur Abstimmung gebracht werden. Dieses Vorhaben scheiterte an der Wirtschaftskommission der kleinen Kammer (WAK-S): Sie brachte mit einer Parlamentarischen Initiative im August einen Absenkungspfad ins Spiel, der Zielwerte für das Risiko beim Einsatz von Pestiziden gesetzlich verankern soll. Die WAK des Nationalrats stimmte dem Vorhaben zu, worauf die WAK-S die Verwaltung beauftragte, einen Entwurf auszuarbeiten.

 

Diese Verordnungen werden angepasst

Jeden Januar treten die überarbeiteten Verordnungen in Kraft – hier geht es zur kurzen Übersicht

 

Unberechenbare Agrarpolitik

Die Entwicklung macht laut Bundesrat und WBF-Vorsteher Guy Parmelin die Agrarpolitik 2022+ unberechenbar. Zwar ging Parmelin im September noch davon aus, dass die Parlamentsdebatte zur AP 22+ nach den Abstimmungen geführt wird. Dennoch ist schon jetzt klar, dass die Initiativen als Druckmittel für schärfere Gesetzesvorschriften eingesetzt werden – und das unabhängig davon, wie die Abstimmungen ausgehen werden.

Das Parlament bzw. die beiden Ratsbüros werden entscheiden, ob die Debatte zur AP 22+ noch vor den Abstimmungen zu den Pflanzenschutz-Initiativen lanciert werden. Sollte das der Fall sein, könnte schon in der Herbstsession die Diskussion über die Zukunft der Agrarpolitik lanciert werden. Andernfalls ist die Debatte erst in der Wintersession zu erwarten – sofern die Initiativen tatsächlich wie erwartet bis am 27. November 2020 vors Volk kommen.