Erdrutsch, Tsunami, grüne Welle, historisch: Kaum eine abgedroschene Floskel wurde nach den eidgenössischen Wahlen vom Wochenende ausgelassen, um den Sieg von Grün und Grünliberal in diesen Wahlen zu beschreiben. Aber die Aufregung der Medien ist nachvollziehbar, es ist tatsächlich etwas höchst Ungewöhnliches, wenn auch nicht ganz Unerwartetes passiert.

Die bäuerliche Vertretung bleibt stattlich

Was bedeutet der Wahlgang für die Landwirtschaft? Zunächst einmal kann man beruhigt feststellen, dass die neue bäuerliche Delegation mit mindestens 30 Vertreterinnen und Vertretern stattlich bleibt und möglicherweise durch die zweiten Wahlgänge in den Ständerat noch Zuwachs erhält. Dies ist auch ein positives Zeugnis des Souveräns für die geleistete Arbeit der Exponenten des Bauernverbands und die mit ihm verbündeten bäuerlichen Organisationen. Andern erging es da deutlich weniger gut. So wurde beispielsweise beim Gewerbeverband die Spitze komplett abgewählt.

Das Handling wird anspruchsvoller

Allerdings ist die Vertretung der Landwirtschaft etwas anders zusammengesetzt als bisher. Es kommen beispielsweise Grüne neu hinzu, die sich bereits profiliert haben in der Agrarpolitik. Diese werden vermutlich nicht so mir nichts dir nichts auf die Positionen des Bauernverbands einspuren. Das heisst, die neue Delegation ist anspruchsvoller geworden im Handling. Für auch nur einigermassen einheitliche Positionen der Landwirtschaft wird es mehr Arbeit brauchen als im alten Parlament, wo man sich stets auf eine solide, wenn auch relativ knappe Mehrheit im Plenum verlassen konnte.

Es wird Allianzen brauchen

Die Zeit dieser komfortablen Mehrheiten ist vorbei, denn das Parlament ist in beiden Kammern auch ausserhalb der bäuerlichen Abordnung deutlich heterogener, grüner und linkslastiger geworden. So ist etwa die treibende Kraft der Massentierhaltungs-Initiative neu im Nationalrat und die notorisch bauernfeindliche grünliberale Partei wurde klar gestärkt. Im Hinblick auf die kommenden Auseinandersetzungen zu den hängigen Initiativen und die Behandlung der Agrarpolitik 2022+ werden die bisher weitgehend bürgerlich dominierten Landwirtschaftspolitikerinnen und -politiker also kaum darum herumkommen, neue Allianzen zu schmieden. Ansonsten drohen krachende Niederlagen. Im Vordergrund stehen hier als Partner die pragmatischen Kräfte aufseiten der Grünen, mit denen man teilweise bisher schon gut zusammengearbeitet hat und mit denen auch in Sachen Freihandel durchaus interessante neue Mehrheitsverhältnisse entstehen können.

Kuhhändel werden teurer

Das neue Kräfteverhältnis wird nicht nur neue Allianzen, sondern auch mehr Kompromisse verlangen. Künftig wird man in den bäuerlichen Reihen noch härter um jede Stimme kämpfen müssen. Diese Kuhhändel werden teurer, weil die Zahl der natürlichen Verbündeten im Parlament ebenso wie die Kuhzahl in der landwirtschaftlichen Realität sinkend ist. Im Vordergrund stehen dabei in erster Linie ökologische Fragen, welche noch verstärkt mit der Mittelverteilung verknüpft werden dürften.

Das Einkaufsverhalten hinkt den Ansprüchen hinterher

Hier ist man sich aus der Weiterentwicklung der Direktzahlungen ja schon einiges gewohnt. Eine weitere massive Ökologisierung auf Kosten des Selbstversorgungsgrads muss aber auch in der neuen Konstellation vermieden werden. Die Marktzahlen zeigen nämlich, dass die Konsumenten mit ihrem Einkaufsverhalten weit hinter den ökologischen Ansprüchen des Wahlvolks nachhinken. Jüngstes Beispiel dafür ist der Anteil von gerade einmal 12 Prozent von Bio am gesamten Produktionswert der Landwirtschaft.

Auch die Wahlsieger brauchen Allianzen

Vor diesem Hintergrund ist nur zu begrüssen, wenn die Grünen und ihre hellgrünen Teilzeit-Verbündeten vermehrt in die politische Verantwortung eingebunden werden, warum nicht sogar im Bundesrat? Für ihren Wahlsieg mussten sie relativ wenig unternehmen. Die Hauptarbeit leistete für die ökologisch engagierten Parteien die weltweite Klimabewegung. In den nächsten vier Jahren werden die Wechselwähler nun aber auch Taten sehen wollen, die über oppositionelle Lippenbekenntnisse, Bauernbashing und das Sammeln von Unterschriften hinausgehen. Sonst sind sie schnell wieder weg. Die gestärkten Kräfte müssen nun von der gloriosen Strassenparade nahtlos zur parlamentarischen Ochsentour überwechseln, um Zählbares zu erreichen. Dabei sind sie ebenso auf Allianzen, zum Beispiel mit den bäuerlichen Parlamentsmitgliedern angewiesen, wie umgekehrt die Landwirtschaftsvertreter. Das stimmt hoffnungsfroh.