Die Schweiz wird erschüttert vom Spionageskandal des Jahrhunderts und der Bundesrat befasst sich mit Gülletechnik. Das ist kurz zusammengefasst die politische Aktualität der Woche. Zwar ist das Verbot für Prallteller und die Abdeckpflicht für Güllelöcher nicht unmittelbar Teil der Agrarpolitik 2022+ (AP 22+), trotzdem spricht der Beschluss vom Mittwoch Bände über den agrarpolitischen Meccano.
Administrativer Abbau ist versandet
Gleichzeitig mit der Anpassung der Luftreinhalteverordnung hat der Bundesrat nämlich auch die Botschaft zur neuen AP verabschiedet. Das Paket lancierten die behördlich Verantwortlichen ursprünglich mit dem hehren Ziel einer weniger reglementierten und stärker ergebnisorientierten Agrarpolitik. Diese grossen Pläne und der damit zunächst angestrebte administrative Abbau sind aber längst versandet in den ewigen Jagdgründen der
Berner Bürokorridore.
Die Agrarpolitik wird immer komplizierter
Das neue Politikpaket ist eher noch komplexer als das Vorgängermodell AP 14–17. So wird unter anderem das Instrument Produktionssystembeiträge neue, haarklein reglementierende Verordnungen nach sich ziehen und man braucht kein grosser Prophet zu sein, um vorauszusagen, dass es mit AP 30+ und 38+ so weitergeht. Auch künftig wird sich die Landesregierung mit Detailfragen zu befassen haben, vielleicht ist es in ein paar Jahren der Entscheid, mit welchem Treibstoff man ein Treibhaus noch heizen darf und ob es für eine Scheiterbeige nicht nur eine Baubewilligung, sondern vielleicht auch eine Vorschrift bezüglich Höhe und Breite braucht.
Man muss sich mit dem System arrangieren
Diese Detailversessenheit ist eine Schwäche des Schweizer Systems. Deswegen Trübsal zu blasen oder gar dagegen anzukämpfen, ist aber nicht sonderlich vielversprechend. Ein Kampf gegen Windmühlen wäre ein Spaziergang dagegen. Vielmehr gilt es, sich mit dem System zu arrangieren. Denn die neue AP ist gleichzeitig auch Ausdruck von Kontinuität und Anpassungsfähigkeit.
Gesellschaftliche Anforderungen ernst nehmen
Erstens darf man noch einmal betonen, dass der Zahlungsrahmen mehr oder weniger unverändert bleibt. Und allen Unkenrufen von Landwirtschaftskritikern zum Trotz dürfte sich daran mittelfristig nicht viel ändern. Zweitens reagiert die AP 22+ auf neue gesellschaftliche Anforderungen. Auch wenn sich diese noch nicht im Kaufverhalten der Konsumenten niederschlagen, wäre es unverantwortlich, die Rufe nach verstärktem ökologischem Engagement komplett zu ignorieren. Dass man dabei zum Teil wenig praxisnah vorgeht, wie jetzt beim Schleppschlauch-Zwang oder bei der Formulierung von Volksinitiativen, liegt auch daran, dass mittlerweile über 95% der Bevölkerung keinen landwirtschaftlichen Hintergrund mehr haben.
Viele Landwirtschafts-Vertreter im Parlament
Das kann man beklagen, aber erfolgversprechender ist es, diesen Anforderungen mit einer Mischung aus Erläuterung der Fakten und Anpassung der landwirtschaftlichen Praxis zu begegnen. Dafür sind die Voraussetzungen nicht schlecht. Das neue Parlament weist einen Anteil von weit über 10% Landwirtschaftsvertretern und -vertreterinnen auf. Diese sind zwar bunter gescheckt als auch schon, aber sie verstehen, wie der Hase läuft, auch wenn sie ihn teilweise gerne in eine andere Richtung treiben würden als der Durchschnittsbauer. Gleichzeitig verfügt man mit dem Agrar- und Wirtschaftsminister über einen ausgewiesenen Kenner der Materie, der sich ebenso bemüht, eine einigermassen vernünftige Balance zwischen Ökonomie und Ökologie zu wahren, wie der neue BLW-
Direktor und seine Crew.
Es braucht einen Balance der Erwartungen
Diese günstige Ausgangslage schlägt sich auch im nun präsentierten Politikpaket nieder. Man versucht, pragmatisch zu agieren und gleichzeitig die Kritiker in anderen Bereichen der weitläufigen Bundesverwaltung und der unübersichtlichen Umweltszene in Schach zu halten. Vor diesem Hintergrund macht es durchaus Sinn, wenn der Bauernverbandspräsident versucht, die Grünen stärker einzubinden. Eine solche Unterstützung hat aber ihren politischen Preis, das wird sich in den parlamentarischen Verhandlungen zur AP 22+ sicher noch zeigen. Hier wird es wichtig sein, die Erwartungen von Landwirtschaft und Gesellschaft, wie sie der Bundesrat in seiner Grafik illustriert hat (s. oben) in ein ausgewogenes Verhältnis zu bringen. Resultieren wird wie üblich die guteidgenössische mittlere Unzufriedenheit. Weder der Traum einer voll auf Produktion ausgerichteten Landwirtschaft, noch derjenige für ein harmoniestrotzendes Bioländli wird sich realisieren lassen. Und das ist gar kein so schlechtes Ergebnis.