Die Landwirtschaftsbetriebe diversifizieren sich zunehmend. Mehrheitlich sind es immer noch Familienbetriebe, aber mehr Frauen sind Betriebsleiterinnen. Die Haltung von Raufutterverzehrern konzentriert sich auf Hügel- und Berggebiet, die Produktion von Gemüse steigt und der Einsatz von Pflanzenschutzmitteln sinkt. Vereinfachungen in der Administration gibt es nicht.
So stellen sich Aargauer Bäuerinnen und Bauern ihre Landwirtschaft in 25 Jahren vor – jedenfalls jene, die am Liebegger Agrarpolitikabend an einer elektronischen Umfrage teilgenommen haben.
Ein gemeinsamer Nenner
Am Online-Anlass des LZ Liebegg, Bauernverbands Aargau, der Aargauer Meisterlandwirte und ehemaligen Liebegger loggten sich rund 230 Personen ein und hörten, wie sich drei Referenten die Landwirtschaft in 25 Jahren vorstellen. BLW-Direktor Christian Hofer, SBV-Direktor Martin Rufer und Agrarallianz-Geschäftsführer Hansjürg Jäger fanden einen gemeinsamen Nenner: Statt einer einseitigen Agrarpolitik brauche es künftig eine Ernährungspolitik entlang der ganzen Wertschöpfungskette. «Landwirtschaft, Konsum und Ernährung müssen wir als Gesamtes anschauen, wenn wir uns verbessern wollen», sagte Christian Hofer. «Es ist wichtig, dass Landwirtschaft und Konsumenten im gleichen Boot sitzen. Das bietet der Landwirtschaft Chancen.»
Kein Schlagabtausch
Im Hinblick auf anstehende Agrar-Initiativen wäre es naheliegend gewesen, den Anlass als Schlagabtausch zwischen verschiedenen Parteien anzulegen. Die Organisatoren wollten den Stein aber weiter werfen, erklärte Gesprächsmoderator Ralf Bucher. Ihre Visionen machten sich die Redner tatsächlich nicht streitig, doch auf einer konkreteren Ebene zeigten sich Differenzen. Etwa bei der Frage, wer bei den angestrebten Veränderungen vorausgehen soll, Produktion oder Konsum. Auch die Sistierung der AP 22+ beurteilten die Referenten unterschiedlich: Dadurch werde das Aushandeln von Zielen abgelehnt, kritisierte Hansjürg Jäger. «Es gibt uns Zeit, vom Bundesrat Antworten auf die grossen Fragen zu bekommen», sagte Martin Rufer.
Mehr Sicherheit
In den Augen von Martin Rufer wurden in den vergangenen 20 Jahren viele Details geregelt, aber nicht die grossen Fragen diskutiert. «Heute stehen wir vor Zielkonflikten. Es gibt eine Diskrepanz zwischen der Realität am Markt und gesellschaftlichen Wünschen.» Der SBV-Direktor forderte eine glaubwürdige Ernährungspolitik. Ihre Ziele müssten definiert und Zielkonflikte aufgelöst werden. Den Weg dorthin sieht Rufer unter anderem mit mehr Transparenz in Herkunft, Produktionsmethoden und Preisbildung und einer gestärkten Agrarforschung. Vom Vierjahresrhythmus in der Agrarpolitik müsse die Schweiz wegkommen, die Bauernfamilien bräuchten längerfristige Perspektiven und Sicherheit.
«Zuerst müssen Zielkonflikte gelöst werden.»
Martin Rufer, SBV-Direktor
Mehr Flexibilität
Demgegenüber glaubt Hansjürg Jäger, dass Flexibilität und Risikobereitschaft wichtiger werden.
Seine Thesen zur künftigen Landwirtschaft: Sie wird noch vielfältiger; Labelorganisationen bekommen sehr grosse Bedeutung, nicht-landwirtschaftliche Akteure steigen in die Lebensmittelproduktion ein. Staatliche Unterstützung verliert an Bedeutung, Wertschöpfung auf Betrieben und am Markt wird wichtiger. Zunehmende Urbanisierung verändert Agrarpolitik und Konsumgewohnheiten. Wünschbar ist gemäss Jäger eine Landwirtschaft, welche die Umweltziele erreicht und übertrifft.
Die Aussage von Christian Hofer, die Landwirtschaft müsse sich der übrigen Wirtschaft annähern, sorgte im Chat für Unruhe. Der BLW-Direktor konkretisierte: Die Landwirtschaft habe natürlich ihre Spezifitäten gegenüber der übrigen Wirtschaft. Aber sie werde vielseitiger, müsse sich mehr am Markt ausrichten. Heute gebe es in der Landwirtschaft das Bedürfnis nach neuen juristischen Formen, etwa in der Gemüsebranche. Es brauche Erleichterungen, damit sich solche Betriebe entwickeln könnten.
Referate unter: www.bvaargau.ch/blog/agrarpolitikabend-ernährungs-statt-agrarpolitik
Fazit der Referenten
Fazit von Christian Hofer: Globale und nationale Herausforderungen erfordern eine vorausschauende Politik für Landwirtschaft und Ernährung. Die Politik im Ausland entwickelt sich weiter, wir riskieren, abgehängt zu werden. Wir müssen offen über Visionen und Handlungsfelder diskutieren können und dafür brauchen wir den Dialog.
Fazit von Martin Rufer: Die Schweizer Landwirtschaft hat viele Stärken, diese gilt es zu nutzen. Wie jede Branche braucht auch die Landwirtschaft Planungs- und Rechtssicherheit. Die Agrarpolitik ist weiterzuentwickeln zu einer Ernährungspolitik, die mehr ist als eine Worthülse. Die Ziele der künftigen Ernährungspolitik sind zu definieren und Zielkonflikte sind aufzulösen. Die Schweizer Landwirtschaft hat viel zu bieten und hat sich mit dem nötigen Selbstbewusstsein in die Ausgestaltung der künftigen Politik und in die Märkte einzubringen.
Fazit von Hansjürg Jäger: Erfolgreiche Landwirtschaft löst Probleme: Klimawandel, Biodiversitätsverlust, Nährstoffeinträge, ungesunde Ernährung. Die Politik kann Dynamiken unterstützen oder bremsen, aber nicht verhindern. Bereitschaft für politische Unterstützung bleibt erhalten. Landwirte und Landwirtinnen organisieren sich in starken Labelorganisationen. In der Praxis gewinnen dürften Flexibilität, Realitätssinn, etwas Risikobereitschaft und starke Labelorganisationen.
1