«Wenn wir in den nächsten zwei Jahren keine wirkungsvolle Beizung erhalten, dann laufen uns nicht nur die Zuckerrüben-, sondern auch die Rapsproduzenten davon», ist sich Markus Hochstrasser von der Pflanzenschutz-Fachstelle des Kantons Zürich sicher. Seit Neonicotinoid-haltige Beizmittel 2013 zur Behandlung von Rapssaatgut verboten wurden, stellt er einen stetig zunehmenden Druck der Erdflöhe fest.

Bei den Fachstellen gehen seither jedes Jahr hunderte Anträge für Sonderbewilligungen für Flächenspritzungen mit Pyrethroid-haltigen Insektiziden ein. In diesem Jahr ist die Situation nicht anders. Der Kanton Zürich sowie die Kantone Aargau, Luzern, Thurgau und Bern sprachen aus diesem Grund jeweils eine regionale Sonderbewilligung aus. Bei einem starken Befall sind unter Umständen drei Behandlung notwendig. Für die Produzenten ist das ein Stich ins Herz: «Wir haben die Flächenbehandlungen satt», bekommt Hochstrasser oft zu hören. Denn ihnen ist bewusst, dass die Flächenbehandlungen für die Umwelt schlechter sind als die Beizung. Eine Alternative haben sie aber nicht. Hinzu kommt der psychische Druck wegen der vielen Pflanzenschutzdebatten.

Erdfloh-Population seit Neonicotinoid-Verbot angestiegen

Im Jahr 2013 schränkte die Europäische Kommission den Einsatz der drei neonicotinoiden Wirkstoffe Clothianidin, Imidacloprid und Thiamethoxam im Freiland ein aufgrund ihrer Bienen-gefährlichkeit. Ein Verbot folgte erst im 2018. Hierzulande entzog das Bundesamt für Landwirtschaft (BLW) jedoch gleich 2013 die Bewilligungen zur Behandlung von Raps- und Maissaatgut. Gegen Schädlinge, vor allem im Raps, war der systemische Schutz bis zur Vegetationsruhe im Winter nicht mehr gegeben. «Die Population hat sich seitdem immer mehr hochgeschaukelt und wurde zum Problem», berichtet Markus Hochstrasser. Er schätzt, dass jährlich mehr als 60 Prozent der Rapsflächen im Kanton Zürich deshalb mindestens einmal mit Pyrethroid-haltigen Insektiziden behandelt werden müssen.

Resistenzen gegen Insektizid werden festgestellt

Als Berater sieht Markus Hochstrasser im häufigen Einsatz der Pyrethroide mehrere Probleme: Aufgrund der häufigen Flächenbehandlungen entwickelt der Schädling Resistenzen gegen den Wirkstoff. Zudem ist bekannt, dass diese Insektizide in geringen Konzentrationen Krebstiere schädigen können. In Gewässern wurden schon Spuren von Pyrethroiden festgestellt. Es ist somit nur noch eine Frage der Zeit, bis auch diese Wirkstoffgruppe nur noch beschränkt eingesetzt werden darf.

Weniger Erdfloh-Druck in der Westschweiz

In der Westschweiz ist der Rapserdfloh anscheinend weniger ein Thema, stellt Markus Hochstrasser fest. «Trotzdem empfehlen dort die Fachstellen bereits eine Aussaat zwischen dem 15. und 25. August. Wenn die Erdflöhe Anfang September einfliegen, ist der Raps bereits über dem heiklen Keimblattstadium hinaus und weniger anfällig», erklärt der Pflanzenschutz-Berater. Allerdings besteht durch die frühe Saat die Gefahr, dass die Pflanzen im Herbst mit dem Längenwachstum beginnen und vermehrt Auswinterungsschäden entstehen. Sobald der Vegetationskegel also über den Schnee hinauswächst, kann die Pflanze Frostschäden erleiden. Das frühzeitige Längenwachstum wird deshalb mit dem Spritzen von Verkürzern gebremst.

Späte Aussaat erzeugt einen höheren Erdfloh-Druck

Früher galt als Regel, dass der Raps in der ersten Woche September gesät werden sollte. Daran halten sich noch einige Landwirte fest. «Das wird problematisch», sagt Hochstrasser, «weil dann die Erdflöhe aus ihrem Sommerquartier kommen und den keimenden Raps aufsuchen.» Im Kanton Zürich wurden um den 20. August die ersten Rapsfelder gesät. Diese hatten mehrheitlich keine Probleme mit Erdflöhen. Viele, die vor den Niederschlägen um den 28. August säten, hätten mit dem Erdfloh nun zu kämpfen.

Ist die frühe Saat eine Lösung?

Wäre die frühe Saat dann nicht die Erfolgslösung? Hochstrasser findet dies einen prüfenswerten Ansatz und meint: «Das werden wir nächstes Jahr empfehlen. Damit könnte die Behandlung zum Schutz der Keimpflanzen zumindest eingespart werden. Der Schädlingsdruck ist allerdings in gewissen Regionen deutlich höher als in der Westschweiz.» Weshalb das so ist, kann sich der Pflanzenschutz-Berater nicht erklären.

Eine Insektizidspritzung kann eingespart werden mit der späteren Aussaat

Ein bis zwei zusätzliche Behandlungen werden dennoch notwendig sein, sobald nach der Eiablage Ende September oder im Oktober zu viele Larven je Pflanze ausgezählt werden. «Man spart unter Umständen also eine Insektizid-Behandlung ein, wenn der Raps ab dem 15. August ausgesät würde. Man müsste aber in einem wüchsigen Herbst an eine Verkürzung denken», schlussfolgert er.

Das Problem der Flächenspritzungen sei eher nur mit der Zulassung eines Beizmittels zu entschärfen: «Wenn ein neues Beizmittel mit akzeptablen Auswirkungen auf die Umwelt 20 bis 30 Tage wirkt, dann erfasst dieses Rapserdflöhe und deren Larven, Rübsenblattwespen und Blattläuse, die Viren übertragen. Oberirdische Flächenspritzungen wären dann nicht mehr notwendig», ist Hochstrasser überzeugt.

Welche Alternativen gibt es?

Ähnlich wirksame Alternativen zu den Neonicotinoiden sind derzeit nicht auf dem Markt. Das Züchten resistenter Sorten dauert bis zu 15 Jahre und neue cis-genetische Methoden sind hierzulande weder erwünscht noch zugelassen. Zudem hat das BLW wegen den extrem hohen Bewilligungshürden und dem Verwaltungsbeschwerderecht zuletzt vor 1,5 Jahren neue Pflanzenschutzmittel zugelassen.

Schwefel, Gesteinsmehle oder Silikate könnten nach ersten Erkenntnissen helfen, die Käfer bei ihrem Schabfrass an den Keimpflanzen zu vergrämen. «Dies wäre eine mögliche Alternative bei späteren Saaten, damit auf ein Insektizid in der Jugendphase verzichtet werden kann», sagt Markus Hochstrasser. Diese Mittel werden aber bei Regen abgewaschen und müssten deshalb erneuert werden. Eine Lösung wäre dies allerdings auch nicht: «Wir verzichten auf ein klassisches Insektizid, aber entlasten die Landwirte nicht beim Reduzieren der Anzahl der Spritzdurchfahrten.»

Biologisches Mittel gegen Erdfloh ist im Zulassungsprozess

Ein biologisches Beizmittel gegen den Rapserdfloh hätte das Chemieunternehmen BASF in seinem Produktportfolio. Das sogenannte Integral Pro enthält Sporen des Bakteriums Bacillus amyloliquefaciens, das gemäss Hersteller eine fungizide und insektizide Teilwirkung entfaltet. Es wird allerdings deutlich erwähnt, dass Integral Pro nur ein Baustein im Rapserdloh-Management sei. Dies bestätigt auch Markus Hochstrasser: «Wenn der Erdloh-Druck zu hoch ist, dann reicht auch dieses Beizmittel nicht aus.» Weitere Behandlungen mit pyrethroiden Insektiziden wären dann notwendig.

Bisher ist Integral Pro in der Schweiz noch nicht zugelassen. Allerdings bewilligte das BLW per Notzulassung den Saatguthändlern mit Integral Pro gebeiztem Saatgut zu importieren und befristet vom 20. April 2020 bis Ende des Jahres zu vermarkten. Dies bestätigt auch Lukas Aebi, Verkaufsleiter bei der Fenaco UFA-Samen.

Aktuell befindet sich Integral Pro im Zulassungsprozess. Er geht davon aus, dass das Produkt in der Schweiz bewilligt wird. Auf Anfrage der BauernZeitung könne das BLW aber noch nicht kommunizieren, ob und wann eine Zulassung ausgesprochen wird.

Rapsanbau ist aufwendiger und intensiver geworden

Es wäre aber allerhöchste Zeit. Denn der Rapsanbau wurde durch das Verbot der neonicotinoiden Beizmittel aufwendiger und in Sachen Pflanzenschutz intensiver. «Durch Untersaaten im Raps kann auf die Herbizidbehandlung verzichtet werden, dennoch sind mindestens vier Flächenspritzungen notwendig, um Erdflöhe, Stängelrüssler und Glanzkäfer in Schach zu halten, um den Ertrag zu sichern», so Markus Hochstrasser.

«Ich habe noch nie so schlimm aussehende Pflanzen gehabt.»

Mathias Nägeli, Rapsproduzent in Marthalen ZH, beklagt sich über den starken Befall seiner Flächen mit Rapserdflöhen.

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Ein zu grosser Aufwand und ein hohes Anbaurisiko findet Rapsproduzent Mathias Nägeli aus Marthalen ZH. Letztes Jahr musste er zweimal gegen den Erdfloh spritzen. In diesem Jahr erfolgten bereits drei Behandlungen, die erste schon im frühen Keimblattstadium. «Ich hatte noch nie so schlimm aus-sehende Pflanzen gehabt», beklagt sich der Landwirt. Bisher hat er den idealen Zeitpunkt immer abgepasst: «Gleich nach Einflug des Käfers habe ich gespritzt. Immer gegen Abend, wenn dieser aktiv wurde.» Denn als nichtsystemisches Insektizid muss der Kontakt zum Schädling erfolgen. Er befürchtet, dass der Erdfloh bereits Resistenzen aufgebaut haben könnte.

Bauern geben den Rapsanbau auf

Nägeli sieht etwas besorgt in die Zukunft. Will dem Rapsanbau aber noch eine letzte Chance geben. Im nächsten Jahr wird er bereits Anfang August den Raps aussäen, so wie es in der Westschweiz üblich ist. «Bei einem späteren Saatzeitpunkt ist es bereits sehr trocken. Ich beobachte, dass die Keimpflanzen dann in ihrer Entwicklung abgebremst werden und deshalb anfälliger für Erdflöhe sind. Bei einem früheren Saatzeitpunkt bekommen die Pflanzen hoffentlich noch etwas Regen ab und können so den Erdflöhen davon wachsen. Ich muss zwar vor dem Winter dann das Wachstum mit Verkürzern abbremsen. Aber das ist mir lieber als eine weitere Insektizidspritzung», betont Nägeli.

Hilft auch dies nicht, muss er sich wohl oder übel Gedanken darüber machen, den Rapsanbau aufzugeben, bedauert er. Wie Nägeli ergeht es einigen Rapsproduzenten derzeit. Sie sehen sich versucht, den Anbau aufzugeben. Dies wäre sehr ärgerlich, findet Markus Hochstrasser, «wenn Schweizer Rapsöl durch importiertes Rapsöl oder wieder mit Palmöl ersetzt wird.»

Weniger Rapsproduzenten wären eine Katastrophe für den SGPV

Der Schweizer Getreideproduzentenverband (SGPV) stünde dann vor einem grossen Problem. Denn erst kürzlich überzeugte dieser Schweizer Lebensmittelhersteller wie Zweifel und McDonalds auf Schweizer Rapsöl umzusteigen. Die Nachfrage stieg daraufhin so stark wie noch nie. «Wir haben immer gesagt, dass die Produktion einiger Kulturen ohne Pflanzenschutzmittel nicht möglich ist», so Pierre-Yves Perrin, Geschäftsführer des SGPV. Er zählt nun «auf die Forschung, die uns neue Lösungen vorschlagen könnte» wie beispielsweise «resistente» Sorten und die Zulassung des erwähnten biologischen Beizmittels.