Die Liste der Kandidatinnen für das Präsidentinnenamt des Schweizerischen Bäuerinnen- und Landfrauenverbands (SBLV) ist kurz. Anne Challandes ist einzige Kandidatin, und die Wahrscheinlichkeit, dass eine Herausforderin gegen sie antreten wird, ist gering. Die BauernZeitung hat sich darum bereits vor der Wahl, die heute Donnerstag stattfand, mit ihr über ihr neues Amt unterhalten.
Anne Challandes, Sie sind aktive Bäuerin und Mutter, nun möchten Sie Präsidentin des SBLV werden. Sind Sie zu wenig ausgelastet?
Anne Challandes: Meine Kinder sind ziemlich selbständig, der Älteste ist 21 und die Jüngste 15 Jahre alt. Meine Anwesenheit zu Hause ist also nicht mehr so dringend nötig. Auf dem Betrieb haben wir vor einem Jahr auf Mutterkühe umgestellt, deshalb gibt es weniger Arbeit für mich.
Was reizt Sie am SBLV-Präsidium?
Ich will mich für die Landfrauen, die Bäuerinnen und die Menschen in der Landwirtschaft einsetzen. Ich fühle mich in diesem Umfeld sehr wohl, deshalb möchte ich etwas bewegen.
Das SBLV-Präsidium ist eine grosse Herausforderung für mich, aber ich denke, ich habe alles, was nötig ist für dieses Amt: meine Ausbildung und meine Erfahrung. Ausserdem kann die Präsidentin auf engagierte Kolleginnen im Vorstand und ein tolles Team auf der Geschäftsstelle zählen.
Die scheidende Präsidentin, Christine Bühler, fokussierte stark auf die Gleich- und Besserstellung der Bäuerinnen. Wo wird Ihr Hauptfokus liegen?
Dieser Fokus wird bleiben, weil wir die Gleichberechtigung noch nicht erreicht haben.
Sie sind Anwältin, gedenken Sie dieses Know-how verstärkt einzusetzen?
Meine Ausbildung als Anwältin hat sicher einen Einfluss auf meine Denkweise. In rechtlichen Dingen kenne ich mich gut aus, aber es gibt sicher auch Bereiche, in denen ich meine Kenntnisse vertiefen möchte.
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Auffallend war, dass der SBLV vermehrt andere Parolen fasste als der Schweizer Bauernverband (SBV). Haben die beiden Verbände ein Problem miteinander?
Wir sind ein Verband für Frauen und der SBV ist ein Verband für Personen, die in der Landwirtschaft tätig sind. Wir betrachten Fragestellungen vor allem aus der Perspektive der Frau. Es ist deshalb normal, dass wir bei einigen Themen andere Sichtweisen haben. Bei der Hornkuh-Initiative beispielsweise, fokussierten wir stark auf die Sicherheit unserer Familien.
Wir suchen immer die Diskussion mit dem SBV für Lösungen, die das Beste für alle bringen. Das bringt die freiwillige Beratungspflicht für Bauernfamilien zur sozialen Absicherung der Bäuerinnen sicher nicht.
Der Anteil der Bevölkerung aus der Landwirtschaft ist sehr klein. Schmälert dieses Untergruppendenken nicht den bäuerlichen Power?
Hier müssen wir wirklich aufpassen, dass wir nicht an Stärke verlieren. Trotzdem müssen wir uns beim SBLV auf die Frauen fokussieren. Denn, wenn wir es nicht machen, tut es niemand.
Als SBLV-Vorstandsmitglied waren sie verantwortlich für das Dossier Agrarpolitik. Ist der Verlauf der Vernehmlassung zur AP 22+ nicht frustrierend für Sie?
Generell bin ich nicht eine Person, die sich frustriert fühlt. Manchmal bin ich nicht zufrieden oder wütend. In diesem Dossier wussten wir, dass die Landwirtschaftskammer (Laka) unseren Vorschlag (Anm. d. Red: Betriebsbeitrag für Betriebe, die Familienmitglieder genügend sozial absichern) nicht unterstützen wird. Trotzdem stelle ich fest, dass sich einige Arme für ein Ja erhoben. Wir wissen auch noch nicht, was das Bundesamt für Landwirtschaft und der Bundesrat mit den Rückmeldungen aus der Konsultation machen werden und wie im Parlament dieses Thema diskutiert wird.
Was lief im Vernehmlassungsverfahren schief, dass die Bäuerinnen bei der Laka so abserviert wurden? Hat es an strategischem Geschick gefehlt?
Wir sind nicht die grossen Strateginnen mit einem Programm mit Massnahmen, die durchgetaktet sind. Wir sind überzeugt, dass etwas geschehen muss und sind dabei im Austausch mit dem SBV und den Bauern selber. Die Laka war da nur ein Ort, wo wir unser Anliegen platzierten. Aber es gibt auch noch die Bevölkerung und die Politikerinnen und Politiker. Wir machen weiter mit der Arbeit, und wir machen es wie auf den Bauernhöfen: Sie ist nicht direkt sichtbar.
«Man gewinnt nicht immer mit Strategie.»
Anne Challandes, Präsidentin SBLV
Man gewinnt das Spiel nicht immer mit Strategie. Es sind auch die Themen und die Argumente, die gewinnen. Überall wo Christine Bühler und ich hingehen und über die Situation der Bäuerinnen sprechen, erhalten wir wohlgesinntes Echo. Vielleicht sieht man von aussen nicht, ob es bei uns einen Plan B oder C gibt. Aber ich frage mich, ob nicht die anderen einen Plan B oder C haben müssten. Wir gehen vorwärts mit unserem Herzen, unserem Mut und unserem Kopf.
Wie soll die Situation der Bäuerinnen zukünftig aussehen?
Mein Ideal in der aktuellen Situation ist, dass es auch in der Landwirtschaft für eine Leistung für alle eine korrekte Entlöhnung geben müsste. Würde man dieses Ideal erreichen, löst dieses die Probleme auf Niveau Versicherungen, Vorsorge und es gibt obendrein Beiträge aus Mutterschaftsversicherung. Später würde es die Dinge erleichtern, beispielsweise im Falle einer möglichen Scheidung. Das ist die Theorie und eine Lösung, die wir nicht erreicht haben.
Seit langem wollen wir eine Verbesserung der Situation, und alle sind sich einige, dass sich etwas ändern muss. Wo wir uns jedoch noch nicht einig sind, ist, wie wir das regeln. Der Vorschlag in der Vernehmlassung des Bundesrats, ist vielleicht nicht die ideale Lösung, aber sicher ein Schritt in die richtige Richtung. Es muss jetzt etwas kommen. Es ist ein Schritt Richtung Versicherungen, aber das Beste wäre meines Erachtens ein Lohn oder Einkommenszuteilung.
Auf welchen Erfolg der Kommission Agrarpolitik unter Ihrer Leitung sind Sie besonders stolz?
Wir haben viele Vernehmlassungen bearbeitet. Dabei haben wir gezeigt, dass wir seriös und weltoffen arbeiten. Zudem haben wir im Rahmen der Antibiotika-Awareness-Wochen partizipiert. Wir haben Bäuerinnen porträtiert, die mit Homöopathie bei den Tieren arbeiten. Das war ein sehr praktischer, konkreter und weiblicher Ansatz.
Bäuerin und Anwältin
Anne Challandes, Anwältin und Bäuerin (50), führt gemeinsam mit ihrem Mann einen Hof in Fontainemelon NE. Für ihre Arbeit auf dem Betrieb bekommt sie einen Lohn. Sie ist sozial abgesichert. Anne und Stéphane Challandes haben vier beinahe erwachsene Kinder.
Als Tochter eines Landschaftsgärtners und mit Grosseltern, die einen Bauernhof führten, hat sie einen engen Bezug zur Natur und zum bäuerlichen Leben. Als ihre Familie von der Stadt aufs Land umzog, trat sie als junge Frau der Landjugend bei und fand so schnell Anschluss in der neuen Umgebung.
Beim SBLV übernahm Challandes kontinuierlich mehr Verantwortung. Zuerst engagierte sie sich in der Sektion ihres Orts, dann auf Kantonsebene. 2016 wurde sie in den SBLV-Vorstand gewählt und leitete die Kommission Agrarpolitik.
Einerseits werden die Bäuerinnen selbstbewusster und politischer, auf der anderen Seite pflegen sie das Landfrauen-kochen-Image. Wie passt das für Sie persönlich zusammen?
Das ist ein ganzes Paket und zeigt die verschiedenen Facetten einer Bäuerin oder einer Landfrau. Diese Art ist unser Fundament, unsere Wurzel. Die Leute aus der Bevölkerung haben Vertrauen in diese Wurzel. Wir sind echt. Wir leben das. Wenn man vorwärts will, muss man wissen, woher man kommt.
Für mich ist die Küche ein Rückzugsort, dort kann ich am besten nachdenken. Auch die Arbeit mit den Tieren ist gut für das Wohlbefinden.
Vermehrt haben Vereine mit Mitgliederschwund und Überalterung zu kämpfen. Wie ist das in Ihrem Verband?
Dieses Jahr machen wir eine Vorstandsretraite, um eine neue Vision zu erarbeiten. Die genannten Themen sind uns wichtig. Wir behalten sie im Auge. Wir müssen Lösungen finden, um unsere Mitglieder zu halten und neue zu gewinnen. Die jungen Frauen, die kleine Kinder haben, denken vielleicht, sie haben keine Zeit für ein Engagement in einem Verein. Es liegt an uns, ihnen zu zeigen, dass es sich lohnt, sich zu engagieren.
Gehen Sie am 14. Juni streiken?
Ja, wir Frauen müssen solidarisch sein. Ich weiss zwar noch nicht, wo. Die Anliegen des Frauenstreiks korrespondieren mit unseren Themen: Chancengleichheit, Lohngleichheit, soziale Absicherung, …
«Wir Frauen müssen solidarisch sein.»
Anne Challandes, Präsidentin SBLV