«Auf dem Steinenberg haben wir damals gewitzelt, dass wir kein Frauenstimmrecht brauchen. Meistens füllten sowieso die Frauen die Abstimmungsunterlagen für die Männer aus.» Heidi Brunner war ein Teenager, als die Schweizer ihren Frauen das Stimmrecht genehmigten. Die Bäuerin mit Jahrgang 1955 war das älteste von elf Kindern, sie wuchs im hügeligen Wynental in einem Weiler mit lauter Kleinbetrieben auf.

Es gab wenig Information über Abstimmungsthemen

Die Bauernfamilien mussten ihr tägliches Brot hart verdienen, «die Leute hatten andere Sorgen als Politik». Zudem kam das Stimmvolk nicht so einfach an Informationen zu den Themen heran, über die sie zu entscheiden hatten. Neben dem Kulmer-Blatt gab es kaum Quellen.

Die Männer seien gar nicht so scharf auf das Abstimmen gewesen, vermutet Heidi Brunner. Es war vielmehr eine offizielle Pflicht: Wer seinen Stimmzettel nicht abgab, musste drei Franken Busse bezahlen. Wenn das Frauenstimmrecht im Umfeld der Bauerntochter diskutiert wurde, war die Gleichberechtigung nicht die zentrale Frage. Sondern: «Wer schaut zu Hause zum Rechten, wenn die Frauen mit ihren Ehemännern ins Wahllokal gehen?» Im Alltag seien ­Generationenkonflikte das grössere Problem gewesen als Geschlechterfragen, berichtet die Bäuerin.

Der Mann war das Haupt der Familie

In der Schule hörte Heidi Brunner im Staatskundeunterricht, dass der Mann das Haupt der Familie sei. Das Gesetz war weit weg von Gleichberechtigung. Gleichzeitig wussten viele Männer, was sie an ihren Frauen hatten. Deren Meinung habe gezählt, sagt Heidi Brunner, in vielen Haushaltungen hätten die Frauen das Geld unter sich gehabt.  «Bäuerinnen konnten sich besser verwirklichen als andere Frauen. Auf dem Bauernhof findet jede ein Feld für sich», erinnert sie sich an die Zeit, als die Ehegattin nur mit Unterschrift des Mannes eine Anstellung antreten konnte. Sie selber heiratete mit 19 Jahren einen Landwirt, wurde Mutter von sechs Kindern, besorgte die Haushaltung, arbeitete in Stall mit, machte die Buchhaltung, pflegte ihren Schwiegervater, machte daneben die Ausbildung zur Bäuerin.

Bäuerin sein war eine erfüllende Aufgabe

«Bäuerin zu sein, war für mich eine erfüllende Aufgabe», sagt Heidi Brunner über ihr Leben. Aber dass ihre Arbeit unbezahlt war und damit «nichts wert», das beschäftigt sie. Die Aargauerin war keine laute Kämpferin für Frauenrechte, doch sie erlaubte sich stille Proteste. Als die Einladung für die Generalversammlung der SVP nur an ihren Mann adressiert war, ging sie nicht hin, obwohl die Herren sie für ein Amt im Vorstand angefragt hatten. Sie wurde dann trotzdem langjähriges Vorstandsmitglied.

Später wurde der Protest lauter

Später geriet Heidi Brunners ­Protest etwas lauter. An den ­nationalen Frauenstreik vom 14. Juni 2019 fuhr sie in der Tracht nach Aarau. Ihr Anliegen: «Dass Bäuerinnen keinen Lohn bekommen, geht einfach nicht. Solange die Familie funktioniert, ist es gut. Aber wenn eine Frau vom Hof geht, gibt es furchtbare Situationen. Dass jemand jahrelang arbeitet und dann ohne nichts da steht, das darf nicht sein. Das muss geregelt werden.»

Die Tochter engagiert sich

Den Hof in Gränichen von Heidi und Jakob Brunner führt heute ein Sohn. Die Mutter ist nach wie vor eine wichtige Mitarbeiterin im Haushalt und im Stall, daneben arbeitet sie als Sigristin. Wenn sie Sonntagsdienst hat, kocht ihr Mann.

«Vieles hat sich geändert», kommentiert Heidi Brunner die Entwicklung seit den 70er-Jahren, «heute machen es viele ­jungen Leute sehr gut mit der Gleichberechtigung». Dafür setzt sich auch ihre Tochter ein: Lotti Baumann ist die Präsidentin des Aargauischen Landfrauen- und Bäuerinnenverbands und eine engagierte Kämpferin für die Rechte der Bäuerin.

 

Lotti Baumann: «Jede soll sich für ihre Gleichstellung einsetzen»

Das sagt Lotti Baumann, Präsidentin des Aargauischen Landfrauenverbands zum Thema Gleichstellung: «Ich finde, dass wir Frauen – jede einzelne – sich für unsere Gleichstellung einsetzen müssen. Solange viele sich anpassen und zufrieden sind und erst bei Schaden oder im Alter merken, was sie versäumt haben, solange haben wir keine Gleichstellung.

In der heutigen Zeit ist Gleichberechtigung theoretisch in allem möglich; Ausbildung, Rollenverteilung, Versicherungen usw. Es geht nur noch darum, dass Mann und Frau sich das zugestehen.

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Veraltete Muster aufgeben

Und das ist das grosse Problem: veraltete Muster und Rollenbilder. Sich anpassen und einfügen in ein System, das seit Generationen besteht, geht im Moment einfacher, aber letztendlich führt es oft zu Verbitterung. Ein Wechsel braucht sehr viel Verständnis, Gespräche, fortschrittliches Denken, gute Ausbildungen und ganz bestimmt Liebe.

Bewusstsein und Selbstbewusstsein der Bäuerinnen dürfen noch mehr gestärkt werden. Sie sollten sich ehrlich hinterfragen: Stimmt das wirklich für mich oder passe ich mich dem Frieden zuliebe an? Sie dürfen aus dem Schatten treten und sich auch mal selbstbewusst in den Vordergrund stellen – oder sicher direkt neben den Mann.

Ich würde fast behaupten, dass es für die gesamte Landwirtschaft positive Auswirkungen hat, wenn die landwirtschaftlichen Paare Gleichberechtigung leben.

Beide Partner sollen finanziell unabhängig sein

Die Rollenverteilung sieht dabei bestimmt überall anders aus. Aber es wird gemeinsam definiert, welche Rolle für den Einzelnen stimmt. Auch die Entlöhnung und Versicherung wird so eingeteilt, dass jeder Partner finanzielle Unabhängigkeiten hat.

Mut haben und heikle Themen ansprechen

Der Bäuerinnen- und Landfrauenverband hilft dabei: Zusammen mit Gleichgesinnten zu sein, gibt Mut und Kraft. Der Austausch mit Kolleginnen, die Ähnliches erleben, kann helfen, heikle Themen in Angriff zu nehmen. Alle Informationen und alle politischen Forderungen durch den Verband stärken die gemeinsamen Anliegen.»

 

 

Regula Bucheli: «Das Thema hat sich irgendwann erschöpft»

Das sagt Regula Bucheli, Präsidentin der Luzerner Bäuerinnen, zum Thema Gleichstellung: «Frauen und Männer sind heute absolut gleichberechtigt. Gleichberechtigung ist für mich eine Frage des Selbstverständnisses, der Wertehaltung. Natürlich sind Frauen und Männer gleich viel wert, das haben mir schon meine Eltern vorgelebt. Ja, es gibt noch Missstände, etwa die Lohnungleichheit – das muss verschwinden.

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Alle setzen ihre Stärken ein

Gleichberechtigung heisst, dass jede und jeder seine Stärken einsetzen kann. In der Landwirtschaft bist du als Paar unterwegs. Wenn dabei die Rollen zwischen Mann und Frau klassisch verteilt sind, bedeutet das nicht Ungleichheit. Mein Mann versteht etwas von Schweinen, also betreut er sie, und ich verstehe etwas vom Haushalten, also mache ich das. 

Bäuerinnen brauchen Eigenverantwortung

Bauernfamilien sind selbstständig erwerbend, da braucht es Eigenverantwortung und Beratung für die Vorsorge und Versicherung. Ich bin absolut dafür, dass die Bäuerin einen Lohn bekommt – sofern es vom Einkommen her drinliegt und dadurch nicht der Betrieb ausgeblutet wird.

Als Frau nie benachteiligt gefühlt

Als Vizepräsidentin des Luzerner Bäuerinnen- und Bauernverbands bin ich als Frau zwar in der Minderheit, habe aber noch nie die geringste Benachteiligung erlebt. Dass Anliegen ernst genommen werden, ist auch eine Frage des Tonfalls. Der muss stimmen, wenn du Forderungen stellst: Sachlich bleiben statt emotional werden und gute Argumente bringen.

Gleichstellung ist heute selbstverständlich

Wenn ich heute mit jungen Leuten spreche, habe ich den Eindruck, dass Gleichberechtigung kein Thema mehr ist – weil sie selbstverständlich ist. Die heutigen Bäuerinnen sind selbstbewusste Frauen mit einer guten Ausbildung. Diese Möglichkeit hatten unsere Mütter und Grossmütter viel weniger. Ja, es war wichtig, über Gleichberechtigung zu sprechen, sonst hätten wir nicht so viel erreicht. Aber irgendwann hat sich das Thema auch erschöpft.»