Stürmisch begrüssen drei Hunde die Besucherin. Vor allem einer von ihnen ist besonders neugierig. «Das ist Spirit, er ist noch ganz jung», erklärt die Besitzerin, Gaby Famos (61). «Eigentlich dachte ich anfangs, Border Collies seien so eine Modeerscheinung. Das muss nicht sein.» Als die Bäuerin 2008 eine neue Alp übernahm, merkte sie jedoch schnell, dass das ohne Hilfe von Hunden nicht gehen würde. Sie las von einem Border-Collie-Züchter, fuhr zu ihm und dann war es «Liebe auf den ersten Blick» mit Gibbs, der leider vor einem Jahr verstarb. 

Wollte eigentlich Töpferin werden

Eigentlich wollte Gaby Famos Töpferin werden. «Der Berufsberater sagte mir jedoch, dass erst in sechs oder sieben Jahren ein Ausbildungsplatz frei werden würde.» Da entschloss sich die damals 18-Jährige, die sowieso gerade mit der Gesellschaft haderte, eine Reise zu machen. Diese führte sie nach Marokko  und schliesslich nach Formentera, eine kleine spanische Insel im Mittelmeer. «Ich ging zu den Hippie-Aussteigern.» Dort lernte sie Älpler aus der Schweiz kennen, die ihr vom beschwerlichen, aber auch faszinierenden Alpleben erzählten. «Das tönte spannend, das wollte ich machen.» 

Gaby Famos wuchs in Preisenberg (D,) eine Stunde von München entfernt, auf. «Das war zwar ländlich und hügelig, aber von Landwirtschaft, geschweige denn Alp, hatte ich keine Ahnung.» Ihre ­Eltern hätten es natürlich lieber gehabt, wenn ihr einziges Kind studiert hätte, liessen die Tochter aber machen. Den ersten Alpsommer verbrachte die junge Frau auf einer Alp bei Waltensburg GR mit 130 Milchkühen. «Wir hatten eine Eimermelkanlage, aber damals wurden noch alle Kühe von Hand ausgemolken», erinnert sie sich. «Das war anstrengend!»

Den Traummann gefunden 

«Seither war ich jeden Sommer z Alp. Und im Herbst bis Weihnachten fütterte ich in den Maiensässen Tiere aus.» Meist war Gaby Famos im Bündnerland, einmal auch im Wallis und als ihre beiden Töchter aus erster Ehe noch klein waren, eine Zeit lang im Allgäu. Sie ist viel herumgereist. Als die Kinder noch in die Windeln machten, oft auch mit viel Gepäck. «Damals gab es noch den Saisonnier-Status, der erlaubte einem, nur eine gewisse Zeit pro Jahr in der Schweiz zu bleiben. Zwischendurch konnten wir glücklicherweise immer wieder bei meinen Eltern unterkommen.» 

Zur Ruhe gekommen ist die umtriebige Nomadin in Vnà, einem kleinen, sehr sonnigen Dörfchen im Unterengadin. «Als ich zum ersten Mal hier war, wusste ich, hier will ich bleiben.» Aber nicht nur in den Ort verliebte sie sich postwendend, sondern auch in einen seiner Einwohner. «Ich traf mich einmal pro Woche mit Freundinnen im Dorf zum Bauchtanz. Da sah ich Jon und er gefiel mir.» Die Bäuerin war zu diesem Zeitpunkt noch verheiratet und Jon Famos hatte eine Freundin. «Meine Ehe kriselte bereits seit Längerem. Ich hatte bis dahin aber nicht den Mut gefunden, meinen Mann zu verlassen.» Obwohl Gaby Famos Jon an diesem Abend nicht ansprach, träumte sie auf einer Davoser Alp den ganzen Sommer über von ihm.

Geniesst das Alleinsein auf der Alp

Unterdessen sind Gabi und Jon Famos seit 27 Jahren verheiratet, haben einen erwachsenen Sohn und bewirtschaften gemeinsam einen Biohof mit 200 Schafenund 40 Ziegen. «Wir produzieren Fleisch, obwohl ich Vegetarierin bin.» Aus der Wolle filzt die Bäuerin Hüte, Hausschuhe und hauptsächlich Tiere, die sie verkauft. Im unteren Teil des Hauses hat sie sich für diesen Betriebszweig liebevoll einen Raum eingerichtet. «Hier treffe ich mich regelmässig mit Freundinnen und dann filzen wir zusammen.» Die Schmutzwolle landet bei ihr nicht im Abfall, sondern hat ihren Wert. Sie hat ein Unternehmen gefunden, das daraus Naturdünger-Pellets herstellt und diese an Hobbygärtner verkauft. 

Im Sommer sieht sich das Ehepaar Famos nicht oft: Jon bewirtschaftet die familieneigene Alp im Val d’Uina und Gaby lebt von Anfang Mai bis Ende Oktober auf der Gemeinschaftsalp von Ramosch GR und schaut dort zu 400 Schafen. «Ich bin gerne alleine und schaue, dass ich möglichst wenig herunterkommen muss.» Vom Haus aus sieht sie beide Orte. 

Vor Ort füttern macht Sinn, obwohl der Weg mühselig ist

Wer meint, im Winter hätte es Gaby Famos gemütlich, irrt. «Wir füttern auch jetzt die Ziegen und einige Schafe auf Uina, damit wir das Futter nicht ins Tal hinunterfahren müssen. Für uns macht das Sinn.» Der Weg dahin ist eine kurze Autofahrt plus eine bis zwei Stunden Fussmarsch, je nach Witterung nicht ganz ungefährlich wegen möglicher Lawinen. «Es kam schon vor, dass wir nur per Helikopter zu den Tieren gelangten oder wir gleich dort übernachteten, weil am anderen Morgen der Weg nicht machbar gewesen wäre.»

Ob sie es bereue, dass sie nicht Töpferin wurde. «Ich töpferte mal und es gefiel mir sogar. Aber ich kann das nebst dem Filzen nicht auch noch machen.» Als Besucherin kann man kein Bedauern feststellen, während sie das sagt. Mit zu viel Begeisterung hat sie zuvor von ihre Familie, ihren Hunden, dem Alpfieber und dem Herumreisen erzählt.