Beim Eintreten in Judith Rüeggs Küche wirkt die Wärme des Holzherds wie eine herzliche Umarmung. Das ist umso schöner, da ja Corona-bedingt nicht einmal die Hand gegeben werden darf. Corona – schon ist man mit Judith Rüegg (49) in ein intensives Gespräch verwickelt. Das Virus hat grosse Auswirkungen auf einen ihrer Betriebszweige, die Hofgastronomie.

Das Beste aus der Situation machen

Normalerweise bewirtet die Bäuerin zusammen mit ihrer Familie an den Wochenenden regelmässig Gruppen mit 20 bis 50 Personen. Beim 1.-August-Brunch können es auch gut ­einmal bis zu 400 Leute sein. «Dann brauchen wir Unterstützung von Freunden», ergänzt ­Judith Rüegg. Dieses Jahr waren es nur ein paar wenige Events. «Den Brunch und unsere traditionelle Metzgete führten wir Corona-konform durch, aber die Weihnachtsessen sind alle abgesagt.» Doch Jammern ist nicht ihr Ding. Sie hat aus der Situation das Beste gemacht. «Wegen der Gastronomie kam bei uns die Direktvermarktung immer etwas zu kurz. Jetzt konnte ich dieses Projekt in Angriff nehmen.»

Das alte Hühnerhaus hat ihr jüngster Sohn kurzerhand in ein Hoflädeli umfunktioniert. Darin verkauft sie nebst Fleischwaren allerlei Selbstgemachtes. «Meine 100 Liter Holunderblüten-Sirup sind sozusagen verkauft.» Ihr Büro wurde kurzfristig zum Logistikzentrum. Ein Auftrag für Geschenktaschen ist in Bearbeitung. 

Eine grosse Familie bedingt einen grossen Tisch

In der Küche fällt der grosse Tisch auf. «Ich mag nicht immer alles abräumen. Wenn der Tisch gross genug ist, kann ich gut etwas stehen lassen.» Zurzeit sind dieses «Etwas» Schachteln mit Christbaumkugeln darin. Das Möbel wirkt trotz seiner Grösse nicht klobig, sondern zeugt von Geschmack und ist heimelig: links und rechts zwei Laden aus massivem Eichen-Holz, die mittlere Bahn ist aus Stein. «Das sind ganz einfache Gartenplatten, so brauche ich keine Pfannenuntersetzer. Und wenn ich eine Platte herausnehme, kann ich ein Rechaud versenken», erklärt Judith Rüegg das Design. Sie hatte die Idee, ihr Mann Res hat sie für sie umgesetzt. Es gibt aber noch einen anderen Grund, weshalb Rüeggs einen grossen Tisch brauchen. Sie haben eine grosse Familie: vier Töchter und zwei Jungs, im Alter von 17 bis 25 Jahren. 

Auf dem Bodengut in Girenbad, das zur Gemeinde Hinwil ZH gehört, wohnen Rüeggs erst seit 2012. «Wir hatten die einmalige Gelegenheit, den Betrieb mit finanzieller Unterstützung von Freunden, in Form eines Darlehens, zu kaufen.» Vorher hatte die Familie einen Hof in der Nachbargemeinde gepachtet. «Wir zogen sozusagen über den Berg auf die Sonnenseite und haben nun beste Sicht auf den Zürichsee», erzählt sie freudig. 

Nach der Ausbildung einen Trip in die USA

Es war nicht das erste Mal, dass Judith Rüegg umzog. Anfang der 90er-Jahre, nach dem bäuerlichen Hauswirtschaftsjahr sowie einer Ausbildung in der Fleischbranche, zog es die Bauerntochter für drei Jahre in die USA. «Da wollte ich wegen der Indianergeschichten, der Pferde und der unendlichen Weite hin.» Sie arbeitete auf Milch- und Beef-Farmen. «Lange bevor man bei uns wusste, was Embryotransfer ist, war das dort gang und gäbe. Die Kühe melkten wir dreimal am Tag.» Das sei zwar nicht ihre Liga, aber spannend sei es gewesen. Als Frau und Ausländerin musste sie sich hocharbeiten. «Am Anfang durfte ich nicht einmal mit dem kleinsten Traktor über den Hofplatz fahren.» Doch ihre Zuverlässigkeit hätte sich ausbezahlt.

Heute muss sie niemanden mehr um Erlaubnis fragen, ob und welchen Traktor sie fahren darf. Sie managt den Betrieb grösstenteils alleine, da ihr Mann auswärts arbeitet. Obwohl ihr Herz für Fendt schlägt, ist ihr Haupttraktor ein John Deere. «Ausschlaggebend für den Entscheid war der Preis.» Ihre Lieblingsbeschäftigung ist Gras mähen. «Ich mähe auch die Wiesen des Nachbarn. Wir haben eine überbetriebliche Zusammenarbeit.» 

Nebst Fleisch müssen die Mutterkühe auch Milch geben

Im Stall steht eine Herde Mutterkühe. Zurzeit sind das insgesamt 50 Tiere. «Ich züchte nicht einfach auf viel Fleisch. Meine Kühe müssen auch genug Milch für die Kälber geben», ist Judith Rüeggs Credo. Besamt werden ihre Hinterwäldler und Pinzgauer mit Limousin. Die Burenziegen hält sie ebenfalls des Fleisches wegen. Über den Sommer leben ausserdem noch sechs Schweine auf dem Betrieb. Die werden jeweils im Herbst für die hauseigene Metzgete geschlachtet. Weiter hält sie Hühner und Pferde. «Die Pferde sind unsere grosse Leidenschaft, unser Familienvirus sozusagen.» Ach ja, und Hunde gehören auch noch zur Familie.

Obwohl zurzeit keine Gästegruppen in Scharen kommen, ist die Umgebung des Bodenguts liebevoll und dezent weihnächtlich geschmückt. Die Hausherrin mag es hübsch dekoriert. Wieder so etwas, das in Corona-Zeiten einladend wirkt und zuversichtlich stimmt.