Seit Jahren ist die Anzahl Schülerinnen und Schüler, die sich entscheiden ein landwirtschaftliches Lehrjahr in einer anderen Sprachregion zu machen, rückläufig. Die Berufsschule, Agrilogie Grange-Verney, im Kanton Waadt, bietet Unterricht in Deutsch an. Dieses Jahr kam erstmals die deutschsprachige Klasse für das erste Lehrjahr nicht zustande, weil sich nur zwei Schüler angemeldet hatten. Lukas Rüegg aus Bauma im Zürcher Oberland hat sich für ein Austauschjahr im Welschland entschieden und bereut diesen Schritt fast nie.

Zwei Tage durch den Westen

In der Werkstatt der Agrilogie arbeiten die Schülerinnen und Schüler in kleinen Gruppen. Im ersten Stock sind ein paar Jungs am Schweissen, andere Lernende schauen sich Maschinen an. An einem Posten informiert sich Lukas Rüegg mit einem Kumpel über den Aufbau einer Werkstatt. Im August hat er sein zweites Lehrjahr auf dem Betrieb der Familie Bach in Carrouge angefangen und besucht die Berufsschule Agrilogie in Moudon VD.

Die Idee ein Lehrjahr auf der anderen Seite des Röstigrabens zu absolvieren kam von seinem Vater. Das gehöre einfach dazu, habe er gemeint und Lukas Rüegg war einverstanden. Um einen passenden Lehrbetrieb zu finden, fuhr er mit seinem Vater für zwei Tage in die Romandie und schaute sich verschiedene Betriebe an. «Den Richtigen zu finden war einfach», sagt Rüegg. Er schnupperte nur in einem Betrieb und es passte ihm dort auf Anhieb. Rüegg mag die Arbeit mit Tieren. Deshalb hat er sich einen Lehrbetrieb ausgesucht, auf dem die Milchviehhaltung der wichtigste Wirtschaftszweig ist. «Auch von den Leuten her stimmte es gleich», sagt er. «Das war fast das Wichtigste bei der Entscheidung».

Dass die Lehrmeisterin deutsch spricht, ist natürlich ein grosser Vorteil. Wenn es zwei, drei Mal auf Französisch nicht klappt, dann kann sie auch auf Deutsch erklären, um was es genau geht. Schwierig seien am Anfang vor allem Fachbegriffe, aber das bereitet ihm nach drei Monaten kaum mehr Probleme. Auch die Mentalität passt Lukas. Es ist entspannter hier, und man kann auch mal einfach eine Pause machen. «In der Deutschschweiz arbeitet man viel mehr», meint er.

Das verflixte Herbar

Lukas ist froh, dass in der Agrilogie der Unterricht im zweiten Lehrjahr noch auf deutsch gehalten wird. «Ohne dieses Angebot, hätte ich mich wahrscheinlich nicht für ein Lehrjahr in der Westschweiz entschieden.»

In der Schule sei alles tipptopp. Die Unterlagen sind dieselben, wie in der Deutschschweiz und der Unterricht ist auf dem gleichen Niveau. Lukas’ Mitstift, Elias Pfister, auch ein Deutschschweizer, ist im ersten Lehrjahr. Ihm wurde ein Zivildienstleistender zur Seite gestellt, der immer in der Klasse dabei ist und wenn nötig übersetzt. Denn eine deutschsprachige Klasse für das erste Jahr konnte diesen Herbst nicht eröffnet werden.

Auf die Frage, ob er auch Nachteile in einem Austauschlehrjahr sieht, findet er schnell eine Antwort: «das Herbar!». In den verschiedenen Kantonen machen die Berufsschulen unterschiedliche Vorgaben. In den einen müssen die Lernenden zwei Herbarien machen, in den anderen nur eines, in den einen darf man die Pflanzen einscannen, in den anderen muss man sie pressen und einkleben. Ein Herbar, an dem man ein ganzes Jahr gearbeitet hat, kann plötzlich unbrauchbar werden, weil in der neuen Schule andere Pflanzen gesammelt werden müssen. Geht man dann im dritten Jahr nochmals in eine andere Schule, fängt man unter Umständen wieder von vorne an. "Dieses Problem ist der Agrilogie bekannt und man arbeitet daran die Vorgaben zu vereinheitlichen.», so Florence Tagini, Klassenlehrerin der deutschsprachigen Klasse.

Die Ängste sind unbegründet 

Nebst dem Herbar findet Lukas Rüegg keine Nachteile an seinem Lehrjahr in der Romandie. Im Gegenteil die Vorteile überwiegen. Man lernt eine neue Sprache und eine andere Kultur kennen. Auch fachlich bietet die Westschweiz einiges. Viele Betriebe bewirtschaften sehr grosse Flächen. Den Einblick in diese Art der Landwirtschaft würden die Lernenden auf einem Deutschschweizer Lehrbetrieb eher nicht bekommen. Ausserdem brechen die Deutschschweizer Lehrlinge, die ins Welschland kommen, die Lehre tendenziell weniger häufig ab, als ihre Kolleginnen und Kollegen in den französischsprachigen Klassen. «Wahrscheinlich liegt es daran, dass die Lehrlinge, die ein Lehrjahr in der Westschweiz machen, sich mit diesem Schritt sehr bewusst auseinandergesetzt haben. Sie sind sich ihrer Sache sicher», sagt Florence Tagini. Das Niveau im Unterricht sei hoch und die Betreuung in den Klassen sehr gut, weil sie viel kleiner sind als die Französischsprachigen. «Oft werden in den kleinen Gruppen sehr gute Diskussionen geführt», sagt Tagini.

Weshalb es immer weniger Deutschschweizer Schülerinnen und Schüler in der Agrilogie gibt, weiss niemand so genau. Was früher vor allem im Kanton Bern fast Tradition war, ist heute zur Ausnahme geworden. Lukas Rüegg versteht, dass sich viele Deutschschweizerinnen und Deutschschweizer mit dem Schritt über die Sprachgrenze schwertun: «Dass alles auf französisch ist, macht natürlich Angst». Tagini sieht noch ein weiteres Problem. Der Lehrplan wurde angepasst und der in den drei Lehrjahren vermittelte Stoff ist nicht mehr unabhängig, sondern die ersten zwei Jahren bilden die Grundlage für das dritte Lehrjahr. Christian Pidoux, Direktor der Agrilogie, denkt auch, dass es am neuen Lehrplan liegen könnte. Neu zählen nämlich auch die Noten der ersten zwei Lehrjahre zum Abschluss. Möglicherweise befürchteten die Schülerinnen und Schüler, dass sie einen Nachteil hätten, weil die schulischen Anforderungen in der Westschweiz anders seien, sagt er. Das sei aber, laut Tagini, nicht der Fall, da der Lehrplan schweizweit identisch sei. Alle drei sind sich jedoch einig: Die Befürchtungen sind unbegründet und die Vorteile überwiegen eindeutig.