Beim Arbeiten treffen Bauern nicht selten auf Spaziergänger, oft entsteht ein Gespräch und meistens ist es positiv. Aber es gibt auch andere Beispiele. Gerade heute, wo die Landwirtschaft im Scheinwerferlicht der Medien und des gesellschaftlichen Interesses steht. Nun hat die Spaziergängerin die Möglichkeit, ihr Gehörtes direkt an den Produzenten zu bringen. "Warum verwendet ihr so viel Gift?", lautet da vielleicht ihre Frage. Und die Bäuerin verwirft die Hände über die Ahnungslosigkeit, während sie versucht, kompetent über Pflanzenschutzmittel zu informieren.
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Verlorenes Wissen
Die Bevölkerung hat sich von der Landwirtschaft entfremdet. Zum einen sind, wie die Zahlen des Bundesamt für Statistik zeigen, nur noch 4,7 Prozent der Bevölkerung in der Landwirtschaft tätig (Stand 2018). Es hat also nicht jeder noch eine Tante oder ein Grossvater, der in der Landwirtschaft arbeitet. Zum anderen hat sich zwischen Landwirtschaft und Bevölkerung eine ganze Kette von Akteuren gestellt: Verarbeitung und Grosshandel. "Die Integration der Landwirtschaft in die Industrie- und Konsumgesellschaft bedingte, dass der Bauer nicht mehr selbst Verkäufer war", erklärt die Wissenschaftlerin Bettina Scharrer vom Centre for Development and Environment (CDE) der Universität Bern. Diese Aufgabe hat der Detailhandel übernommen. So kennt die Landwirtin den Konsumenten nicht mehr und umgekehrt. Die Landwirtschaft produziert für die Verarbeiter, während die Konsumentinnen ihre Lebensmittel im Detailhandel beziehen.
Diese Entwicklung passierte schleichend, und mit ihr ging das gegenseitige Verständnis teilweise verloren. "Es ist nicht unbedingt ein Graben, es ist vielmehr eine Entfremdung", wie Scharrer ausführt. Denn der Detailhandel ist ein anderer Verkäufer als der Landwirt: In einer oft idyllischen Weise, die an frühere Zeiten erinnert, wird die Produktion von Lebensmitteln vom Detailhandel angepriesen. "Der Konsument wird dadurch getäuscht", wie Bettina Scharrer erklärt. Vielleicht glaubt der Konsument gerne diesem Bild aus mangelndem Interesse oder Bequemlichkeit und ist dann erstaunt, wenn er eine andere Situation am Feldrand antrifft. Doch die Informationen darüber, wie produziert wird, seien heute zum grossen Teil über Medien zugänglich, so Bettina Scharrer weiter. "Nicht nur die Agrarpolitik, sondern auch die Konsumenten spielen eine zentrale Rolle, wenn es darum geht, Veränderungen im System anzustossen", führt sie aus. Wenn diese sagen, was sie erwarten und auch bereit sind, mehr zu zahlen, so muss sich die Wirtschaft auch danach richten. Wünscht sich also der Konsument nachhaltigere Produkte, so muss sich dies auch durch sein Einkaufsverhalten zeigen.
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Gegentrend ist da
Und es geschieht. Die Bevölkerung gibt Signale, dass sie sich für die Produktionsart ihrer Lebensmittel interessiert: "Es ist ein Trend zu beobachten, dass die Menschen wieder näher zur Natur möchten", so Bettina Scharrer. Es gehe zwar in erster Line noch eher um Ernährungstrends und Gesundheit, aber das sei ein erster Schritt. "Das Interesse ist in diesem Sinne auch eine Chance", meint Benno Winkler von Hofkonflikt – dem Netzwerk für Mediation im ländlichen Raum – dazu. Wenn sich Bäuerinnen offen zeigten und ihre Arbeit erklären, dann könne dies befruchtend sein und etwa einen Spaziergänger am Feldrand darauf sensibilisieren, sich mehr mit der Landwirtschaft auseinanderzusetzen. Besteht bereits eine positive Gesprächsbasis, wenn also der Vorbeigehende offen ist, etwas zu lernen, so kann der Bauer mit einem informativen Gespräch viel Gutes bewirken. Manchmal könne ein Gespräch auch einfach nachklingen: "vielleicht nimmt der Spaziergänger ja einen Gedanken mit nach Hause", so Tanja Pfannmüller, Mediatorin bei Hofkonflikt.
Verantwortung teilen
"Kritik an der landwirtschaftlichen Produktion gibt es bereits seit längerem, jedoch hat sie durch die aktuellen Debatten über Pflanzen-, Klimaschutz und Ernährung zugenommen", erklärt Bettina Scharrer. Das spürt der Bauer auch, bei seiner Arbeit auf dem Feld und bei Fragen etwa im Hofladen. Die Verantwortung muss aber nicht alleine der Landwirtschaft überlassen sein, darüber nachzudenken, wie die Lebensmittel produziert werden. Denn sie muss sich dabei unter anderem an Vorgaben des Detailhandels orientieren. "Aktuell muss der Bauer beispielsweise eine bestimmte Karottengrösse produzieren, welche in die Verpackungsmaschinen der Detailhändler passen – und nicht umgekehrt", so Scharrer. Auch die Agrarpolitik nimmt Einfluss auf die Landwirtschaft: "Sie ist eine wichtige Komponente, um das Ernährungssystem Richtung Nachhaltigkeit zu entwickeln", wie Bettina Scharrer erklärt. Es brauche aber auch die Bereitschaft der Bevölkerung, mehr für Lebensmittel zu be-zahlen. Die Forderung nach nachhaltigen und ökologischen Produkten sei nicht zu vereinbaren mit möglichst billigen Lebensmitteln.
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Wert der Lebensmittel
Die Frage der Spaziergängerin zu den Pflanzenschutzmitteln ist damit vielleicht zu beantworten. Wenn sie nicht bereit ist, mehr für gesunde Lebensmittel zu bezahlen, so muss eben möglichst viel, möglichst günstig produziert werden. Es geht auch immer darum, welchen Wert die Gesellschaft den Lebensmitteln beimisst. Dieser hat in den vergangenen Jahren abgenommen. Wie die Haushaltsbudgeterhebung des Bundesamtes für Statistik zeigt, ist der Anteil der Ausgaben eines Haushalts für Lebensmittel seit dem 2. Weltkrieg von über 35 Prozent auf rund 12 Prozent des Budgets (Stand 2019), gesunken. In diesen 12 Prozent ist die auswärtige Verpflegung enthalten. Dazu kommt, dass die Produktionskosten der Landwirte meist nicht durch die Preise gedeckt sind. Weswegen sie auf die Direktzahlungen angewiesen sind. Dies liegt auch daran, dass der Bauer immer weniger Anteil an der Wertschöpfungskette hat. "Indirekt werden also Lebensmittel vom Staat teils über Direktzahlungen mitsubventioniert", meint Bettina Scharrer.
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Biotische Obergrenze
Die Landwirtschaft ist nicht zu vergleichen mit anderen Industriesektoren. Es ist nicht möglich, immer noch mehr aus dem Boden zu holen. Denn die Landwirtschaft arbeitet mit natürlichen Ressourcen. "Es gibt eine biotische Obergrenze", so Scharrer, "und die Produktion ist aufgrund klimatischer und saisonaler Bedingungen nicht kontinuierlich ausschöpfbar". Es gehe zudem auch darum, für die kommenden Generationen einen funktionierenden, gesunden Boden zu hinterlassen. Schon heute arbeiten die Bauern mit dem Erbe der Vorgänger. Das Land wird mit den gegebenen Voraussetzungen übernommen.
Nun, dem Spaziergänger das ganze komplexe System in fünf Minuten zu erklären, wäre sicher zu viel verlangt. Es braucht wohl viele kleine Schritte der Aufklärungsarbeit. Dazu komme, dass das Interesse in der Bevölkerung zwar gewachsen sei, aber trotzdem oft noch gering sei, so Bettina Scharrer. "Auch da könnte die Politik helfen, indem sie Bildung über den landwirtschaftlichen Bereich fördert", ergänzt sie. So könnten die Menschen von klein auf lernen, was es bedeutet, wenn eine Karotte wächst und wie viel Arbeit dahintersteckt. Auch Tanja Pfannmüller bestätigt: "Mit Tagen der offenen Hoftüre oder mit Bildungsmöglichkeiten für Schulen kann ein besseres Bewusstsein für die Landwirtschaft in der Bevölkerung geschaffen werden."
Bauern als Botschafter
Was daraus lernen? Wenn der Konsument wieder näher an die Produktion seiner Lebensmittel gelangt, so versteht er die Produzenten meist besser und umgekehrt. Eine Möglichkeit dafür ist die Direktvermarktung. Im Hof-laden finden dann meist auch die angenehmeren Gespräche statt. Es begünstigt zudem, dass saisonale und regionale Produkte konsumiert werden. Es lohnt sich, als Bauer die "Rolle als Botschafter", wie Tanja Pfannmüller von Hofkonflikt es beschreibt, wahrzunehmen. So können Anliegen der Landwirtschaft beim Konsumenten ankommen.
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