Nach der gescheiterten Revision des eidgenössischen Jagdgesetzes gehen die Diskussionen über die Koexistenz Wolf – Alpwirtschaft weiter. Rechtlich betrachtet ist das Thema Wolfsmanagement an der Schnittstelle von Artenschutz-, Jagd-, Agrar-, Wald- und Tierschutzrecht so komplex wie interessant. Angesichts des Zusammenspiels von internationalem Recht (Berner Konvention), europäischem Recht (Fauna-Flora-Habitat-Richtlinie; zur Interpretation und bei grenzüberschreitenden Populationen) und nationalem Recht verbieten sich schnelle Lösungen. Grundlegend wird zwischen Regeln betreffend Einzelwölfe und Bestandesregulierung von Rudeln unterschieden. Aufgrund des Verhältnismässigkeitsprinzips kommen so oder so Abschüsse nur als ultima ratio in Betracht und müssen strengen Voraussetzungen genügen.
Aus juristischer Perspektive bieten sich drei Handlungsfelder an: der internationale Rechtsrahmen, die Zahl und die Verbreitung der Wölfe:
- Der internationale Rechtsrahmen: Für die übergeordnete Berner Konvention kommen die Änderung der Anhänge (Rückstufung des Wolfs als streng geschützte Art in Anhang II zur geschützten Art in Anhang III), das nachträgliche Anbringen eines nationalen Vorbehalts (einseitiges Abweichen vom Schutzstatus wie 14 andere Vertragsstaaten) oder die Kündigung (mit Neubeitritt samt Vorbehalt) in Betracht. Die ersten beiden Wege hat die Schweiz 2006 und 2012 bereits beschritten, freilich ohne Erfolg. Den dritten Weg fordert die Motion Fournier seit 2012, findet damit aber – aus nachvollziehbaren Gründen – beim Bundesrat kein Gehör. Insofern erscheint dieses erste Handlungsfeld wenig fruchtbringend.
- Die Zahl der Wölfe: Was die Reform der bisherigen Regulierung über die Anzahl betrifft, hätte die abgelehnte Revision u.a. neu ein ausdrückliches Abstellen auf verhaltensauffällige Tiere und Gefährdungen von Menschen gebracht. Aktuell fordert eine Motion des Ständerats die Herabsetzung der Schwellenwerte. Hier bieten sich zahlreiche Möglichkeiten an, begrenzt einzig durch das Verbot der Schädigung des Populationsbestandes. Allerdings ist der eidgenössische Standard bereits auf einem, im internationalen Vergleich beachtlichen Niveau.
- Die Verbreitung der Wölfe: In Bezug auf die Verbreitung werden international Zonierungsansätze diskutiert, d.h. eine räumliche Separierung konfliktträchtiger Nutzungen. So die Beschränkung des Schutzes auf eigene Wolfsschutzgebiete (mit idealen lebensräumlichen Voraussetzungen und aufgrund extensiver Nutzung wenig Konfliktpotential). Da der Wolf aber im gesamten natürlichen Lebensraum geschützt ist, welcher nahezu unbegrenzt ist und (zumindest für den Europäischen Gerichtshof) sogar menschliche Siedlungen umfassen kann, wäre dies rechtswidrig. Auch wolfsfreie Zonen sind rechtlich nicht möglich, weil Eingriffe immer Einzelfallentscheidungen sind und als solche nicht pauschal für ganze Gebiete getroffen werden können. Ein dritter Ansatz, der bisher in der Schweiz noch kaum diskutiert wurde, ist die Ausweisung sog. Weideschutzgebiete. Solche würden insbesondere besonders verletzliche Alpgebiete umfassen, wo Schäden deshalb sehr schnell und früher als anderswo «ernst» werden und damit Eingriffe legitimieren. Zu denken ist dabei an kleinräumige vulnerable Betriebsstrukturen (Kleinbetriebe, Nebenerwerb, geringer ökonomischer Nutzen etc.), wo die Aufgabe der Weidewirtschaft droht. In solcherart definierten Gebieten könnte ein rechtskonformer Eingriff früher zugelassen werden (z.B. in Bezug auf die geforderten Risszahlen). Die Zumutbarkeitsbeurteilung für die Ergreifung von Herdenschutzmassnahmen könnte über die technische Machbarkeit hinaus um unverhältnismässig hohen Aufwand, rechtliche Hindernisse (z.B. pachtrechtliches Verbot des Einsatzes von Herdenschutzhunden), nachteilige Folgen für Landschaftsschutz, ökologische Vernetzung und Wildwechsel (u.a. Fragmentierung der Landschaft durch Zäunung) oder Probleme in intensiv genutzten Tourismusgebieten erweitert werden. Der Schadensbegriff könnte neben dem eigentlichen Wildschaden auch indirekte betriebliche Auswirkungen (Unruhe in der Herde, Beeinträchtigung des Tierwohls, geringere Fortpflanzungsraten, abnehmende Fress- und Milchleistung, Verlust der Direktzahlungen bei vorzeitigem Abtrieb, diverse Mehraufwendungen) umfassen. Die letzten beiden Punkte wären auch unabhängig von solchen Zonierungen eine Diskussion wert.
Ein pragmatischer, lösungsorientierter Dialog, der den Wolfsschutz und das öffentliche Interesse an der Alpwirtschaft (unter Berücksichtigung ihrer multifunktionalen Leistungen) berücksichtigt, erscheint nicht nur wünschenswert sondern auch machbar.
Der Beitrag gibt die wesentlichen Aussagen des am 18. März 2021 an der Universität Luzern gehaltenen Vortrags «Rückkehr des Wolfs – Juristische Überlegungen zwischen Biodiversität, Herdenschutz, Jagd- und Initiativrecht» wieder.