Am Samstag letzter Woche hatte der Aargauer Biobauer Walter Maurer Besuch von 600 Leuten auf seinem Hof, und das regionale Fernsehen interviewte ihn vor Ort. Der Grund waren 45 Tonnen Biokartoffeln, die nicht der Norm entsprachen. Sie wiesen winzige Drahtwurm-Löcher auf. Diese Kartoffeln waren so im Handel unverkäuflich.
15 t Kartoffeln gerettet
Als Schweinefutter wollte Walter Maurer seine Kartoffeln aber nicht verkaufen. «Diese Kartoffeln sind halt- und essbar», erklärte er vor der Kamera, man müsse sie nur rüsten. Deshalb bot er sie auf der Facebook-Seite «Rettet die Ernte vor dem Müll» an. Mit durchschlagendem Erfolg. Mehr als 600 Käufer strömten auf seinen Hof in Kölliken AG und kauften 15 t Kartoffeln der Sorten Ditta, Jelly und Bolero zu Fr. 1.50 je Kilogramm. Dazu verkaufte er zwei Tonnen Bio-Rüebli. Maurer ist zufrieden mit dem Verkaufserfolg. Sein Ziel ist, auch die restlichen 30 Tonnen Kartoffeln, die nicht der Norm entsprechen, so zu verkaufen.
Viele wollen Nahrung retten
Der Kommentar eines Kartoffelkäufers auf Walter Maurers Hof lautete: «Diese Kartoffeln wurden produziert und deshalb sollen sich auch gegessen werden.» Essen retten scheint in Mode zu kommen. Auf Social Media werden tonnenweise Kürbisse, Rüebli, Kartoffeln, Zwiebelzöpfe, Lauch und auch Eier angeboten. Im Sommer waren es Kirschen und Zwetschgen. Vieles davon ist Bio.
Essen und die Welt retten
Die Portale «grassrooted» und «Rettet die Ernte vor dem Müll» und «toogoodtogo» wollen die Nahrungsmittelverschwendung – neudeutsch «Food Waste» – verhindern. Grasssroted wirbt mit nicht weniger als dem Leitsatz «Rette Essen, hilf dem Planeten» und mit der Schlagzeile «Ein Drittel aller Lebensmittel wird verschwendet». Auf den Social-Media-Kanälen wurden seit dem Sommer die folgende Lebensmittel gerettet.
Was alles gerettet wurde
Kirschen: Kevin Brändli in Bözberg AG verkaufte Ende Juni
1000 Kilo Kirschen der Sorte Christiana dank einem Facebook-Aufruf.
Eier: Auf der Facebook-Seite «Rettet die Ernte vor dem Müll» bot eine Berner Bauernfamilie 800 überschüssige Bio-Eier an. Der Preis von 75 Rappen pro Ei stiess jedoch auf Kritik der Schnäppchen-Jäger.
Lauch: «Helft uns unseren Lauch vor dem Mulchgerät zu retten» schrieb Susanne Kunz vom Eyhof in Burgdorf BE auf Facebook. Der Lauch entspreche leider nicht der Norm.
Kürbis: Auf der Website «Grassrooted» wurden erst 5 Tonnen Kürbisse, dann nochmals 1,5 Tonnen Kürbisse zum Retten vor der Vernichtung angeboten.
Schweine: Der Grundhof in Bözberg bot Ende September auf seiner Facebook-Seite Freilandschweine an, die sonst als konventionelle Schweine hätten verkauft werden müssen. Es gelang, die Schweine mitsamt dem Freiland-Zuschlag zu verkaufen.
Das sagen die Branchen
Der Schweizer Obstverband (SOV) ist auch nicht erfreut, wenn Lebensmittel fortgeworfen werden. Die Schweizer Obstproduzenten setzten sich täglich für die Produktion qualitativ hochstehender Früchte ein, betont Beatrice Rüttimann vom SOV. «Die Tatsache, dass rund ein Drittel der Lebensmittel nicht konsumiert wird, ist nicht im Sinne der Produzenten und Verarbeiter», stellt sie klar. Sie erklärt die Normen und die Abgänge so:
Normen: Gewisse Anforderungen an die ästhetischen Merkmale der Lebensmittel führen dazu, dass qualitativ hochwertige Produkte bereits in der Anlage aussortiert werden und der Verarbeitung zugeführt werden müssen.
Verluste: Die Verluste können reduziert werden, wenn alle Akteure entlang der Wertschöpfungskette die äusserlichen Qualitätsnormen lockern.
Normenänderung: Eine Lockerung der Normen darf aber weder der Qualität schaden noch eine generelle Senkung des Preisniveaus zur Folge haben.
Abgang: Der Sortierabgang (Früchte, die nicht den Übernahmebedingungen entsprechen) wird der Verarbeitung zugeführt.
Marc Wermelinger vom Verband des Früchte-, Gemüse- und Kartoffelhandels Swisscofel, erklärt die kritisierten Normen mit den Worten: «Eine Norm beschreibt jene Qualität, von der die gesamte Wertschöpfungskette weiss, dass sie auch gekauft wird.»
Weitere Informationen:
www.toogoodtogo.ch
www.grassrooted.ch
Facebook-Seite «Rettet die Ernte vor dem Müll»