Die Wertschöpfungskette ist lang. Länger als die meisten denken. Wenn es um Probleme in der Wertschöpfungskette der Lebensmittelproduktion geht, schaut man häufig auf das eine oder andere Ende. So werden Bäuerinnen und Bauern gerne bei ökologischen Fragen zur Verantwortung gezogen. Am anderen Ende stehen die Konsumenten. Sie sind die Sünder, die zu viel kaufen, sich überessen – oder noch schlimmer – Food Waste verursachen. Auch die neue Kampagne gegen Lebensmittelverschwendung der Stiftung Praktischer Umweltschutz Schweiz (Pusch), die Ende November lanciert wurde, setzt bei den Verbrauchern an.
Grossmutter erzieht die Konsumenten
Die Konsumentinnen und Konsumenten sollen mit der neuen Kampagne mit Namen «Safe Food, Fight Waste» umerzogen werden. Dafür eignet sich das Aushängeschild der Kampagne grossartig - die Grossmutter, im Kleide einer asiatischen Kampfkünstlerin. Ratschläge von der Grossmutter sind immer willkommen und wenn sie dann noch peppig und witzig daher kommen, ist die Botschaft noch überzeugender. In fünf Schritten erfährt man auf der Webseite der Kampagne, was gegen Lebensmittelverschwendung zu tun ist. Etwa den Einkauf zu planen oder Essensresten kreativ zu verwerten.
Der Detailhandel setzt auf Profit
Dass die neue Kampagne auf die Konsumenten abzielt, scheint auf den ersten Blick nicht weit hergeholt. Denn ein Drittel aller Lebensmittel in der Schweiz landen im Abfall. Der grösste Teil davon in den Haushalten und in der Gastronomie. Das sind 52 Prozent des Food Waste, wie eine aktuelle Studie der ETH zeigt. Aber warum kauft der Konsument so viel ein, das er dann doch nicht isst? Da hat der Detailhandel seine Finger mit im Spiel. Gekonnte Verkaufsförderung, wie etwa Aktionen oder die Einrichtung des Ladens spielen eine grosse Rolle. Zudem versuchen die Läden mit allen Mitteln den Umsatz zu vergrössern, da sie ja wirtschaftlich sein müssen, um gegenüber der Konkurrenz zu bestehen. Dazu gehört auch, dass sie ein qualitativ ähnliches Angebot bieten müssen wie ihre Mitstreiter, oder ein besseres als diese.
Ernte bleibt auf dem Acker liegen
Den Konkurrenzdruck im Nacken, übt der Detailhandel Druck auf die Verarbeiter aus. Sie müssen entsprechende Qualität und Menge liefern. Falls die Verarbeiter die Anforderungen nicht erfüllen, drohen ihnen Sanktionen oder Auftragsentzug. Die Verarbeiter setzen ihrerseits die Bauern unter Druck, damit diese gute Qualität liefern. Zudem bestellen sie grössere Mengen, als sie benötigen. Damit es im Falle einer schlechten Ernte genug hat, um die Nachfrage des Detailhandels zu decken. Kommt es zu Überschüssen bei der Ernte, bleiben diese auf dem Acker liegen. Denn wenn sie in den Handel gelangten, entstünde ein Preisdruck und die Margen wären dahin.
Alle Akteure der Wertschöpfungskette sind verbunden
Die Bauern haben hingegen immer weniger Einfluss auf ihre Produktion. Sie müssen sich nach immer mehr Vorschriften und Vorstellungen der Verarbeiter richten. «Wir produzieren das, was der Markt nachfragt», erklärte Jacques Burgeois, Direktor des Schweizer Bauernverbands bei der Lancierung der Kampagne. Alle Akteure der Wertschöpfungskette sind miteinander verbunden und gleichermassen für Food Waste verantwortlich. Die Kampagne sei besonders, da so viele Akteure als Partner dabei sind, hiess es am Tag der Lancierung. Für einmal ziehen alle an einem Strang, könnte man denken. Doch was hilft es, wenn alle Akteure der Wertschöpfungskette zusammen auf die Konsumenten zeigen. Wer würde nicht das volle Angebot geniessen, wenn es im Laden in der Auslage liegt?
Für einmal nur Kartoffeln statt Brot
Wäre das Angebot kleiner, so müssten die Konsumenten automatisch auf einen gewissen Luxus verzichten. Die Detailhändler und Verarbeiter müssten ihrerseits auf etwas von ihrem Umsatz verzichten und die Bauern könnten nur noch so viel produzieren, wie es wirklich braucht. Bei schlechten Ernten gäbe es eben für einmal nur Kartoffeln statt Brot im Laden. Will man Food Waste wirklich minimieren, so braucht es etwas Radikalität entlang der Wertschöpfungskette. In der Schweiz besteht eine freie Marktwirtschaft, was der Bevölkerung bisher einen grossen Wohlstand beschert hat. Die Lebensmittelindustrie kann autonom entscheiden, was und wie viel produziert wird. Viele Akteure setzen auf Nachhaltigkeit und Umweltschutz. Sie zelebrieren dies gerne gross, etwa mit einer Partnerschaft bei der neuen Kampagne, die die Konsumenten in die Pflicht nimmt. Sie scheint aber nur ein Tropfen auf dem heissen Stein zu sein, der das Image der einflussreichen Partner leicht erglänzen lässt.
Die Kampagne ist lanciert
Eine neue Allianz mit 70 Partnern aus der gesamten Wertschöpfungskette setzt sich mit der Kampagne «Save Food, Fight Waste.» gegen den Food Waste ein. Zur Berichterstattung über die Lancierung geht es hier.