Am Mittwoch konnte Bio Suisse routinemässig zur Publikation von neuen Rekordzahlen schreiten. Die Knospe blüht in einem Tempo, die wahrscheinlich manch einem Biobauer, stünde sie auf seinem Feld, schon fast Angst machen würde. Der Umsatz mit Bioprodukten konnte innert sechs Jahren um eine Milliarde auf deren drei gesteigert werden. Die Schweizer Biokäuferschaft ist punkto Ausgaben pro Kopf unverändertWeltrekordhalterin. Und die Zahl der Produzenten legt ebenso konstant zu, wie die bewirtschaftete Fläche.
Hoffnungsschimmer Bio-Milch
Das war aber nicht das einzige Ereignis, das dieser Tage Wellen warf. Vor Wochenfrist meldete der Landwirtschaftliche Informationsdienst eine Übersättigung des Biomilch-Markts. Die Nische Bio ist für viele verzweifelte konventionelle Milchproduzenten zum Land der Hoffnung geworden. Für Neueinsteiger ist dieses aber ein Stück in die Ferne gerückt, neu gibt es Wartelisten für zusätzliche Milch.
Kassensturz kritisiert Ausnahmen
Am Dienstag schliesslich schritt wieder einmal der "Kassensturz" zur Tat. Die Konsumentensendung, die keine Gelegenheit auslässt, Staub aufzuwirbeln, solange die Quote stimmt, prangerte die Ausnahmebewilligungen für die Verfütterung von konventionellem Futter an. Die starke Zunahme ist auf die Trockenheit zurückzuführen, welche die Biobauern ebenso hart getroffen hat, wie die konventionellen Kollegen.
Schattenseiten des Aufwärtstrends
Diese drei Episoden sind wohl eher zufälligerweise zeitlich zusammengefallen. Ungeachtet dessen dokumentieren sie ein paar Sachverhalte im Zusammenhang mit dem Biomarkt und seiner Dynamik. Dieser hat ein Stück weit seine jugendliche Unschuld verloren. Seit 25 Jahren kennen die Verantwortlichen von Bio Suisse nur eine Richtung: Aufwärts. Die Pionierbewegung von struppigen Wollpulli-Trägern hat sich zu einer Art Perpetuum mobile der Landwirtschafts- und Lebensmittelszene entwickelt. Doch bekanntlich hat ein solch ungestümes Wachstum immer auch ein paar Schattenseiten. Erfolg sorgt für Überproduktion, Neider und Abhängigkeiten.
Reifeprüfungen für Bio Suisse
Die Nachhaltigkeit des Booms wird nun davon abhängen, ob es der Bio Suisse und ihren Mitgliedern gelingt, mit den Reifeprüfungen souverän, man könnte auch sagen erwachsen umzugehen.
Reifeprüfung Nr. 1: Die Überproduktion. Nicht zum ersten Mal droht der Milchmarkt aus dem Gleichgewicht zu geraten. Die ausgeprägte Saisonalität der Produktion hat schon öfter warnende Stimmen laut werden lassen. Bisher konnte man diese jeweils relativ nonchalant zur Seite wischen, noch immer hat das Wachstum beim Konsum dazu geführt, dass der Markt schliesslich die Mehrmengen absorbieren konnte, im Notfall half das Überschussventil Biomilchpool. Nun aber müssen die Verantwortlichen lernen, dass es neben der Aufwärtsbewegung manchmal auch runter geht, dies erfordert subtiles Dosieren und Planen.
Reifeprüfung Nr. 2: Der Neid. Dem Vernehmen nach kam der Tipp für die Fernseh-Spürhunde aus bäuerlichen Kreisen. Dies ist eher nicht Zufall. In weiten Teilen der konventionellen Landwirtschaft herrscht eine gewisse Skepsis in Sachen Bio, auch, weil sich die Bioszene lange mit einer gewissen Selbstgerechtigkeit von den Kollegen ohne Knospe abgegrenzt hat. Immer deutlicher zeigt sich nun aber, dass letztlich alle im gleichen Boot sitzen. Der gesellschaftliche Sympathiebonus für die Biobauern ist nicht grenzenlos. Der Klimawandel und die wuchernden politischen Vorstösse zur Verschönerung der Landwirtschaft betreffen auch die Biobauern, man denke an die Trinkwasser-Initiative oder eben an die Abhängigkeit von konventionellem Futter in trockenen Zeiten.
Reifeprüfung Nr. 3: Die Abhängigkeiten. Mit jugendlichem Übermut hat sich Bio Suisse seinerzeit Coop in die Arme geworfen. Das ist das wichtigste Treibrad für den Grosserfolg. Diese Nähe hat aber auch zur Folge, dass heute jeder markante Entscheid mit der Zentrale des Grossverteilers abgesprochen werden muss. Das sorgt bei der Basis zunehmend für Unmut. Diese fordert nun eine Öffnung der Knospe für andere Kanäle, nämlich Aldi und Lidl. Auch das sind aber knallharte Detailhändler, die in erster Linie ihre Margen und den positiven PR-Effekt von Bio im Auge haben. Hier wird sich Bio Suisse genau überlegen müssen, ob man einfach eine etwas nachhaltigere Produktionsweise sein will. Oder aber, ob man auch bei den Absatzkanälen kritischer hinschauen will, ob sie dieselben Nachhaltigkeitskriterien erfüllen, wie man sie von den Mitgliedern verlangt.