BauernZeitung: Herr Gilg, welche Zwischenbilanz ziehen Sie zum Obstbaujahr 2020, Stand heute?

Ralph Gilg: Für eine Zwischenbilanz ist es noch etwas früh, wir sind erst mit der Ernte der Frühsorten gestartet. Was man sagen kann, ist, dass bei den Gravensteinern die Farbbildung schleppend verläuft. Schuld daran sind die Hitze und die warmen Nächte. Das bisherige Obstjahr wurde geprägt von den Frostnächten im Frühjahr, die an den Obstkulturen zu unterschiedlich grossen Schäden geführt hatten. Andererseits dürfen wir auf optimale Wachstumsbedingungen zurückblicken. So präsentieren sich die Obstanlagen in der Ostschweiz weitgehend mit sehr schönen Behängen.

Der Schweizer Obstverband (SOV) geht von einer durchschnittlichen bis guten Ernte aus. Wie schätzen Sie die Lage ein?

Aus Thurgau und St. Gallen werden laut Ernteschätzung des SOV fast 45 Prozent der gesamtschweizerischen Ernte kommen. Unsere Ernteaussichten sind also sehr, sehr gut. Ein Wermutstropfen wird sein – das kann man jetzt schon sagen –, dass wir viele Frostschäden in Form von Frostringen, Berostung oder Frostzungen haben. Diverse Sorten wie z. B. Jonagold oder Boskoop, die besonders stark betroffen sind, werden deutlich weniger Lagerbestand generieren. Ich gehe davon aus, dass ein grosser Teil dieser Sorten wegen Qualitätseinschränkungen industriell verarbeitet werden muss.

Vom Feuerbrand hat man dieses Jahr wenig gehört. Täuscht dieser Eindruck?

Nein, das ist tatsächlich so. Wir haben feuerbrandmässig ein gutes Jahr. Es gab lokale Befallsherde, aber keinen flächendeckenden Befall, der zu grösseren Rodungs- oder Rückrissaktionen geführt hätte.

Wie erleichtert sind Sie, dass die Samuraiwespe als natürlicher Gegenspieler der Marmorierten Baumwanze zugelassen wird?

Das ist auf jeden Fall ein wichtiges Puzzleteil, um den Schädling zu bekämpfen. Nützlinge zu haben, ist sehr wichtig, damit der Grundbefall nicht zu hoch ist. Aber wenn wir einen grossen Befall haben wie 2019, müssen wir auch die Möglichkeit haben, Pflanzenschutzmittel einzusetzen. Mit der Allgemeinverfügung für den Einsatz verschiedener Pflanzenschutzmittel haben wir dieses Instrument im 2020 nun griffbereit.

Man muss aber auch sagen, dass wir heuer noch wenige sichtbare Schäden durch die Marmorierte Baumwanze haben. Vielleicht konnten sich bereits unbemerkt Nützlinge etablieren. Möglicherweise verursacht der Schädling auch zyklische Schäden, was auf einen niedrigeren Befall in diesem Jahr hoffen liesse. Zu solchen Fragen forschen Agroscope und die kantonalen Fachstellen aktuell intensiv. Auf jeden Fall gilt es, als Produzent wachsam zu bleiben, denn die Fruchtschäden durch die Marmorierte Baumwanze entstehen zu einem grossen Teil in den kommenden Tagen und Wochen bis kurz vor der Ernte.

Welche Herausforderungen brachte die Corona-Krise für die Obstproduzenten?

Jetzt, in der Erntezeit, ist das Thema wieder hochaktuell wegen er Einreisebeschränkungen für Saisonniers aus Rumänien. Davon sind diverse Produzenten betroffen. Gemäss heutigem Stand müssen rumänische Erntehelfer direkt nach der Einreise für zehn Tage in die Quarantäne, bevor sie die Erntearbeit aufnehmen dürfen. Das bedeutet konkret, dass die Erntehelfer deutlich früher einreisen müssen, damit sie dann bei Erntestart arbeitsberechtigt sind.

Andererseits hatte die Corona-Krise zur Folge, dass die Direktvermarktung im Frühling sehr gut lief. Während des Lockdowns waren die Verkaufszahlen super. Dasselbe gilt für den Grosshandel, der sehr gut an den Detailhandel verkauft hat. Hingegen fehlte der Absatz im Gastro-bereich. Aktuell hat sich die Situation eher wieder normalisiert und die verschiedenen Verkaufskanäle setzen wieder ähnlich viel Ware um wie vor der Corona-Pandemie.

Denken Sie, die Corona-Krise verleiht dem Obstbau im Kampf gegen die Pflanzenschutz-Initiativen Aufwind?

In einer gewissen Weise, ja. Die Lockdown-Wochen im Frühjahr haben sicherlich in Erinnerung gerufen, wie wichtig eine Inlandversorgung mit frischen Früchten ist. Viele Konsumenten kauften in dieser Zeit auch in Hofläden ein und kamen dadurch wieder vermehrt in Kontakt mit den Produzenten. Wie nachhaltig diese Begegnungen im Zusammenhang mit den Initiativen gegen Pflanzenschutzmittel sein werden, lässt sich nur vermuten. Wir setzen aber auf jeden Fall unsere Informationskampagnen fort, viel mehr können wir im Moment nicht tun. Der Abstimmungskampf wird unmittelbar vor der Abstimmung geführt. Dann müssen und werden wir sehr präsent und aktiv sein.