Die Ernte von Mostobst läuft auf Hochtouren. Fuder um Fuder mit Mostäpfeln und -birnen kippen Bauern und Transporteure in die Annahmegosse von Ramseier. Auf rund 71 500 Tonnen Mostäpfel und rund 7700 t Mostbirnen schätzt der Schweizer Obstverband (SOV) die diesjährige Mostobsternte. Das wäre eigentlich nicht allzu viel, aber leider waren die Mostobsternten 2018 und 2019 auch gut. Die Folge: Jetzt liegt ein ganzer Jahresvorrat in Form von Obstsaftkonzentrat in den Stahltanks der Mostereien.
Hohe Abzüge auf dem Preis
Eigentlich könnte man die diesjährige Mostobsternte den Hoftieren verfüttern oder verfaulen lassen. Leserbriefschreiber Max Wartenweiler aus Häuslenen im Obstkanton Thurgau schreibt, dass ihm – und allen anderen Lieferanten – als Folge der grossen Ernte wahrscheinlich Fr. 7.50 je 100 Kilogramm vom Mostobstpreis abgezogen werde. Als Folge der Abzüge werde er dieses Jahr –wenn überhaupt – wenig Mostobst abliefern. Beatrice Rüttimann vom SOV kommentiert das so: «Wir haben Verständnis für diese Kritik, der Rückbehalt ist hoch.» Allerdings sei der Rückbehalt ernteabhängig und damit noch nicht definitiv. Die Fachmitarbeiterin Kommunikation des SOV ruft in Erinnerung dass der «Rückbehalt paritätisch von den Produzenten und Mostereien festgelegt wurde». Gegenwärtig halte man am Rückbehaltsystem fest und versuche, mit Werbemassnahmen den Absatz zu erhöhen. «Und schlussendlich sind Obstproduzenten Unternehmer, am Ende muss jeder für sich entscheiden, ob er das Obst auflesen will oder nicht», betont sie.
Die ganze Ernte abnehmen
Wäre es sinnvoll, wenigstens unter den Hochstämmen kein Obst mehr zu ernten? «Rund 90 Prozent des Mostobstes stammt von Hochstämmen. Wenn es nicht mehr geerntet wird, fehlt diese Menge, rechnet Beatrice Rüttiman aus. In der Normandie müssen Obstbauern Mostobst entsorgen, sobald die Verarbeiter Ware genug haben. Droht dieses Szenario auch in der Schweiz? «Die Mostereien verpflichten sich, die gesamte Ernte zu übernehmen. Ist zu viel Ware da, sinkt der Preis», erklärt Rüttiman das System beim Mostobst. Das sei für den einzelnen Produzenten sehr schwierig zu verstehen, und dafür habe man Verständnis. «Es gilt allerdings festzuhalten, dass Produzenten und Mostereien sich gemeinsam auf den Preis geeinigt haben», erklärt sie und schildert die Alternative dass nicht mehr die gesamte Menge übernommen werden kann. «Ob dies im Sinne der Produzenten ist, lassen wir offen», weist Beatrice auf allfällige Folgen hin.
Grosse Ernte-Schwankungen
Aus Mostobstanlagen kommen rund 6700 Tonnen. Wie sinnvoll sind solche Pflanzungen bei diesen Überschüssen? «Diese Mostobstanlagen können professionell und effizient betrieben werden und machen durchaus Sinn», schildert die Kommunikationsfrau. Ausserdem, weiss sie aus Erfahrung, schwanken die Erntemengen von Jahr zu Jahr stark. «Hauptgrund dafür ist die sogenannte Alternanz: Hochstammbäume haben in einem Jahr viele Früchte, im nächsten wenig. Um diese Schwankungen auszugleichen, lagern die Verarbeiter in Jahren mit einer Überproduktion mehr Obstsaftkonzentrat ein, als für den Inlandkonsum benötigt wird», erklärt sie den Mechanismus. Sie erwähnt als Beispiel, dass 2017 die Ernte wegen den Frühlingsfrösten miserabel ausfiel. «Damals mussten verschiedene Mostereien sogar Birnensaftkonzentrat importieren», erinnert sie sich. Wäre nicht die Lösung, mehr Obstsaftgetränke zu trinken? Beatrice Rüttimann wünscht sich das auch. «Der Pro-Kopf-Konsum beträgt 4,1 Liter pro Person, ohne die Direktvermarktung», weiss sie.
Leider sinkt Obstsaftkonsum
Der Konsum von reinem Apfelsaft sei seit Jahren rückläufig, bedauert sie. Die Schweizer Mostereien versuchten mit innovativen Produkten wie Schorle und Tee mit Apfelsaftanteil zu reagieren. «Allerdings versteht es sich von selbst, dass für die Produktion dieser Getränke weniger Apfelsaft notwendig ist», erklärt sie.