Auf der Alp Schräa hat sich die Situation mit dem Calfeisental-Rudel in den letzten Tagen zugespitzt. Die dortige Hirtin, Lorena Ritter, berichtete, dass sich die Wölfe inzwischen täglich vor der Hütte und in der Rinderherde aufhalten. Vertreter des Schweizer und des St. Galler Bauernverbands fordern nun den Abschuss des ganzen Rudels. Der zuständige Regierungsrat Beat Tinner erklärt im Interview, warum dies bisher nicht geschah.
Lorena Ritter berichtete, dass die Wildhut erst vier Tage nach der ersten Sichtung des Wolfsrudels vor der Hütte auf die Alp kam. Herr Tinner, warum war die Wildhut nicht früher vor Ort?
Beat Tinner: Der Wildhüter war mit der Hirtin seit ihrer ersten Wolfsbeobachtung auf der Alp Schräa täglich in Kontakt und sie schilderte die Beobachtungen. Diese Beobachtungen wurden alle analysiert und das Verhalten der Wölfe anhand der Vollzugshilfe «Konzept Wolf Schweiz» kategorisiert. Bislang konnte keine Meldung des Calfeisental-Rudels, die dem Amt für Natur, Jagd und Fischerei (ANJF) geschildert wurde, als «unerwünschtes» oder «problematisches» Verhalten eingestuft werden, was eine Reaktion – Vergrämung oder Abschuss – erlauben würde.
Trotzdem war der zuständige Wildhüter drei Mal vor Ort und hat die Hirtin von Anfang an beraten. Der Hirtin wurde mehrfach personelle und fachliche Unterstützung angeboten, die sie jedoch abgelehnt hat. Erst nach rund einer Woche hat sie die Unterstützung mit Herdenschutzhelfern angenommen. Zudem wurden der Behörde von der Hirtin Informationen vorenthalten oder gewisse Vorkommnisse unterschiedlich dargelegt.
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Können Sie ein konkretes Beispiel nennen?
Wir mussten feststellen, dass die Hirtin in den sozialen Medien von «Wolfsaktivitäten» berichtete, diese den Behörden aber nie gemeldet hat. Ausserdem sind verschiedene Aussagen gegenüber den Medien und gegenüber der Behörde nicht deckungsgleich.
«Gegenüber den Medien wurden Wolfsbegegnungen schärfer und dramatischer dargestellt als gegenüber dem Wildhüter.»
Beat Tinner, Leiter Volkswirtschaftsdepartement St. Gallen
Auch bei der Begründung der Verlegung der Tiere wurde dramatisiert. Diese erfolgte nicht aufgrund der Wolfspräsenz, sondern war aufgrund des Bewirtschaftungsplans für die Alp ohnehin vorgesehen.
Wie schätzen Sie die Gesamtsituation auf der Alp Schräa ein?
Das ANJF stufte keine der gemeldeten Situationen als eine Gefährdung des Menschen ein. Als Beurteilungsgrundlage dient die Einschätztabelle zur Gefährlichkeit von Einzelereignissen im Konzept Wolf Schweiz. Diese wendet das ANJF seit Jahren konsequent an.
Markus Ritter sagte, gemäss Artikel 9ter der neuen eidgenössischen Jagdverordnung dürfe der Rüde geschossen werden, und zwar ohne Bewilligung des Bafu. Warum ist das noch nicht geschehen?
Die dem ANJF geschilderten Situationen von Begegnungen der Wölfe mit Menschen rechtfertigen aus fachlichen Gründen keinen Wolfsabschuss. Der Kanton hat beim Bund ein Gesuch zur Regulation von drei Welpen des Calfeisental-Rudels eingereicht, da trotz umgesetzten Herdenschutzmassnahmen im Weisstannental Nutztiere gerissen wurden.
Hier sind die Voraussetzungen für einen Abschuss nach Ansicht des Kantons erfüllt. Ob sich zu einem späteren Zeitpunkt ein Abschuss des Wolfsrüden wegen weiteren Nutztierrissen rechtfertigt, wird sich weisen. Die Sachlage wird laufend überprüft.
Antrag zum Abschuss von drei Welpen
Auf der Alp Gafarra im Weisstannental wurden in der Nacht auf den 9. August erneut drei Schafe in einer geschützten Herde gerissen. Mit den Rissen, die dem Calfeisental-Rudel zugeordnet werden konnten, ist die Schadschwelle überschritten. Der Kanton St. Gallen beantragte am 11. August 2023 den Abschuss von drei Welpen. Die Antwort des Bafu liegt noch nicht vor.
