Die letzten Tage, ja sogar die letzten Wochen auf der Site Alp vergingen wie im Flug. Und schon ist der Tag da, an dem «meine» Kühe abreisen. Ich habe sie während des Alpsommers ins Herz geschlossen, allesamt.
Hier auf der Site Alp und der Alp Zimmerboden gibt es keinen Alpabzug in diesem Sinne. Da die allermeisten Kühe von weiter weg herkommen, werden sie von einem Viehtransporter abgeholt.
Es ist der Morgen vom 27. August, Dänu und ich melken die Kühe ein letztes Mal. Während die Tiere noch im Melkstand stehen, halftern wir sie. Dann können sie auf die Weide, bis der Lastwagen kommt. Um sie zu verladen, müssen wir sie aus der Weide auf eine breitere Strasse treiben, die für den Lastwagen mit Anhänger zugänglich ist.
Die Stallarbeit ist erledigt und der letzte Tank mit Milch auf die Site Alp zu Käser Simon gebracht. Den Anhängerzug sehen wir schon von weitem, er kommt mehr als pünktlich um knapp 8 Uhr morgens. Wir treiben die Kühe in Richtung Weideausgang. Sie scheinen genau zu wissen, worum es geht, denn sie trotten ohne zu zögern bis zum Weidetor.
Es ist Zeit, zu gehen
Es ist an der Zeit, zu gehen, was uns auch die Natur zeigt. Die Weiden sind abgefressen – und es herbstelt. Die Kühe «plangen» langsam, aber sicher darauf, ins Tal zurückzukehren und wieder auf einer saftigen Weide grasen zu dürfen. Und auch in mir kommt ein Gefühl der Sehnsucht nach zu Hause auf.
Ich bekomme Gänsehaut. Ein Gefühl von Wehmut, Freude, Stolz und Traurigkeit zugleich. Die letzten Minuten mit den Kühen geniesse ich in vollen Zügen – und lasse in meinen Gedanken den Alpsommer Revue passieren. Dazu gehören viele unvergessliche Momente, in denen ich mir gerade nichts Schöneres hätte vorstellen können. Dazu kommen Begegnungen mit Menschen, die das Herz berührten. Aber auch einigen Situationen, in denen ich mein Umfeld zu Hause vermisste, in denen ich an mir zweifelte und nicht wusste, wie ich es schaffen soll. Ich werde diesen Ort mit einem Alpsommer im Gepäck und um viele Erinnerungen und Erfahrungen reicher verlassen.
Doch im Gegensatz zu den Kühen, ist mein Alpsommer mit der Abreise der Herde noch nicht ganz zu Ende. Mir bleibt noch etwas mehr als eine Woche, bis es dann an der «Chästeilet» auch für mich ernst wird.
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Viele Gruppen im Alpbeizli verpflegt
Seitdem die Kühe abgereist sind, kann ich am Morgen zwei Stunden länger schlafen, da sich meine Arbeit nur noch auf das Alpbeizli konzentriert. Doch am Abend gibt es nicht viel früher Feierabend. Denn in meiner letzten Alpwoche ist täglich mindestens eine Gruppe angemeldet. Nebenbei wird die bevorstehende «Chästeilet» auf der Site Alp geplant, und ich beginne, mein Hab und Gut wieder in Schachteln zu verpacken.
Der Name der Chästeilet ist etwas irreführend, denn der Käse wird nicht an diesem Tag an alle Bauern aufgeteilt. Er dient einfach als Fest zum Abschluss des Alpsommers, welches immer am ersten Samstag im September stattfindet.
Am Freitag stellten Simon, Dänu und Piotr das Festzelt auf, während wir vom Beizli die Küche und den Käseverkauf für den etwas anderen Tagesbetrieb vorbereiteten. Die Nacht vom Freitag auf Samstag war kalt. Der Wildstrubel (eine Gebirgsgruppe) in der Ferne ist weiss gepudert, als wir uns am Morgen an die letzten Vorbereitungen machen. Doch beim Putzen der Festbänke scheint mir bereits die Sonne ins Gesicht und ich bekomme schnell wieder warm. Das Wetter spielt uns in die Hände.
Ein würdiger Abschluss für den Alpsommer
An der Chästeilet sind wir in Sachen Personal sehr gut aufgestellt. Im Service sind wir zu viert, und ich bin eine davon. Um viele Leute möglichst zügig verpflegen zu können, haben wir die Speisekarte etwas reduziert. Die Tische füllen sich langsam, und ich bediene viele Leute, die ich diesen Sommer kennenlernen durfte. Aber es sind auch viele mir unbekannte Gesichter dabei. Musikalisch unterhalten werden wir abwechselnd durch ein Ländlertrio und einen Jodlerklub. Das Rahmenprogramm für die Kinder besteht zusätzlich aus Kinderschminken und einer Hüpfburg.
Am Abend, wenn der Schatten den Berg hochwandert und es kühler wird, zügeln die verbliebenen Gäste in die Innenräume der Rundholzhütte. Weitere Gäste kommen hinzu – und es wird Raclette à discrétion serviert. Damit hat auch das Servierpersonal gewechselt. Meine Schicht ist zu Ende, und ich kann mich für mein Raclette zu den Älplern der Nachbarsalp setzen. Die Stimmung ist heiter, es wird gelacht, gesungen und getrunken.
Für alle anderen vom Site-Alp-Team geht die Saison noch ein paar Wochen weiter. Das Alpbeizli hat je nach Wetter bis Ende September geöffnet und auch auf den Weiden gibt es noch viel zu tun: unter anderem Abzäunen, Stall putzen und alles für den Winter vorzubereiten. Doch für mich ist dies der letzte Abend hier oben. Aber so ganz realisieren kann ich es offen gestanden noch nicht.
Diese Woche habe ich mein Studium begonnen, aber gedanklich bin ich immer noch auf der Site Alp – mit den Kühen, dem Beizli, den tollen Arbeitskollegen und Arbeitskolleginnen und der wunderbaren Natur/Aussicht.