Immer wieder – in letzter Zeit scheint mir vermehrt – lese ich in Älplerblogs, sozialen Medien, landwirtschaftlichen Zeitungen usw. das Wort «sucht» (suchen): Alpgenossenschaften, Bewirtschafter suchen kurz nach dem Auftrieb Alppersonal wegen kurzfristigen Absagen. Für Alpbewirtschafter eine dramatische Situation, die Gründe sind nicht pauschal zu beurteilen.

Nie mehr oder immer wieder

Ich möchte vielmehr auf meine Verbindung zum Wort «Sucht» (süchtig) eingehen: Ich bin Landwirt, habe meinen Betrieb 2009 verpachtet und gehe seit 15 Jahren z Alp (dieses Jahr mit 108 Mutterkühen, 2 Stieren, 70 Kälbern). Die Sucht machte sich im ersten Sommer bemerkbar, verstärkte sich in den Jahren danach und ist nicht heilbar. Darum denke ich, z Alp-Gehen ist schwarz-weiss: Einmal und nie wieder oder es lässt einen nicht los.

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Was macht nun wirklich süchtig? Sicher die Arbeit mit den Tieren. Ich hatte als Landwirt nie so viel Zeit für meine Tiere. Die Arbeit in der Natur, keine Strukturen, da die Tiere und das Wetter den Tagesplan bestimmen (aber das muss man mögen).

Auch das Hüttenleben macht süchtig. Sei es allein, mit meiner Partnerin, mit Besuch oder die WG-Zeit mit den Jägern. Was mich jedoch am meisten fasziniert an meiner Arbeit: Ich habe vom ersten Tag dazulernen dürfen und lerne immer noch. Als Landwirt und langjähriger Alpmeister denkst du: «Ich kann das, ich weiss, wie es läuft, ich werde alles im Griff haben.» Die Tiere im Stall und auch auf den Heimweiden funktionieren jedoch anders. In «Freiheit» werden sie viel selbstständiger und leben die Hierarchien ganz anders aus.

Sich nach den Leitkühen richten

Abo Die Familie Fieg verbringt diesen Sommer mit 54 Melkkühen, 24 Schweinen, 5 Hühnern, einem Hund und einer Katze auf der Alp. Älplerblog 2024 Der Traum vom Alpleben mit der Familie wird wahr Wednesday, 3. July 2024 Am Anfang meiner Alpkarriere hatte ich immer einen Plan. Im Sinne von: Ich bin Chef und ich entscheide. Heute wird gezügelt oder die Weide gewechselt usw. Mit grossem Aufwand habe ich meine Pläne auch (meist) durchgezogen. Bis ich gespürt habe, dass es vielleicht besser wäre, auf die Kühe zu schauen, mit den Leittieren zu kommunizieren, ihre Körpersprache zu verstehen. Wenn ich heute einen Trieb beginne und die Leitkühe sich demonstrativ quer in die Landschaft stellen, breche ich ab und mache es am nächsten Tag. Wenn dann meine Kühe kooperieren, gehts von alleine und es entsteht das Klischeebild: Der Hirt liegt im Gras, kaut an einem Grashalm, dreht sich eine Zigarette und schaut den wandernden Kühen zu …

Ich kann sagen, dass ich heute im Vergleich zu den ersten Jahren die Hälfte laufe und doppelt so viel weiss. Dies tönt etwas nach Antiautorität, aber es funktioniert. Alpsucht entsteht sicher auch durch die Möglichkeit, abzuschalten, sich auszuklinken aus dieser im Moment «schrägen» Welt. Ein etwas egoistisches Denken, macht die Welt nicht besser, ich weiss, aber es tut gut.

Trotzdem kann ich vielen Wanderern, Touristen und Besuchern den Sinn und Zweck der Alpwirtschaft erklären und es entstehen so viele spontane und sehr gute Diskussionen. Ich konnte schon viele Aha-Erlebnisse auslösen, wenn ich die sinnvolle und zu 100 Prozent klimaneutrale Milch- und Fleischproduktion auf unseren Alpen erklärte. So lebe ich mit meiner Sucht, lerne täglich dazu und werde mich keinem Entzug unterziehen.