Ich sitze in der Hütte und überlege, was den Leser interessiert. Der Regen prasselt auf das Blechdach, das Feuer knistert und der italienische Kaffeekrug gurgelt. Das tönt idyllisch und ist es auch. Ich liebe solche Regentage.
Gras hat es im Überfluss
Es ist zehn Uhr und ich bin zurück von meiner Morgenrunde. Es war eine Nebel-Regen-Runde, Sicht gleich null. Die Kühe von Urs und die Angus-Gruppe sind gestern in den Muettakessel gezogen. Aber ich kenne meine Mädels, ihre Lieblingsplätze, und habe sie dann auch im Nebel gefunden. Um acht Uhr schon vollgefressen und happy. Die andern vier Gruppen machen es mir leicht. Sie weiden im Hüttenbereich. Sie tauchen gerade aus dem Nebel auf und werden den Tag bei der Hütte verbringen. Auch die Kühe lieben solche Tage. Nasses Gras, kühl und keine Fliegen.
Eine Frage der Sichtweise
Ja, das Wetter. Was ist gutes oder schlechtes Wetter? Alles eine Frage der Sichtweise. Im Juni oder Juli haben mich Kollegen gefragt: «Du hast sicher einen schlechten Sommer mit so viel Regen.» Meine Antwort: «Besser geht nicht mehr» – gut, das habe ich letztes Jahr schon gesagt. Das Albulatal (inneralpin) ist eher eine trockene Region, das heisst, es kann fast nicht zu viel regnen. Zugegeben, für die Landwirt(innen), für die Heuernte, für den Tourismus war das Wetter bis Ende Juli suboptimal. Meine Partnerin führt im Val Tuors ein Bergrestaurant und rümpft auch die Nase, wenn es am Wochenende regnet. Ich muss mich dann zurückhalten, wenn ich sage: «Hey, für mi ischas super …» Für meine Alp perfekt, Gras im Überfluss, eher spät gewachsen und darum auch noch jung. Aber eben, eine Frage der Sichtweise.
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Nur noch Saatgut übrig
Vielleicht kann ich mein Versprechen an Martin einhalten. «Ich bringe dir die Charolais-Kühe so schwer zurück, wie du sie mir gebracht hast.» Ich glaube, ich schaffe das.
Apropos sich über das Wetter beklagen: Ich hatte vor 40 Jahren, während einer fünfmonatigen Reise durch Afrika, eine Begegnung, die mich bis heute geprägt hat. Ich sass im Niger in der Südsahara mit Dorfbewohnern um ein Feuer. Da erzählte mir der Dorfälteste, dass sie jetzt anfangen müssten, wegen der Dürre das Saatgut des Getreides zu essen.
Das ist mir enorm «eingefahren» und ich schwor mir, dass ich mich nie über das Wetter beklagen würde. Auch meine Freunde aus Kalabrien schicken mir aktuell Bilder von vertrockneten Weiden und Feldern. Und wir beklagen uns über Regen?
