Ich sitze am Schreibtisch in meinem Zimmer auf der Alp und schaue den Gewitterwolken draussen zu, wie sie vorbeiziehen. Weil der Wetterbericht für die Site Alp den ganzen Nachmittag Regen voraussagt und das Wetter in den Bergen allgemein rasch umschlagen kann, sind kaum Wanderer unterwegs.

Es ist Samstag, doch auch andere Gäste haben wir heute nur sehr sporadisch im Alpbeizli. Da für die nächsten Tage auch keine Gruppen angemeldet sind, für die wir etwas vorbereiten könnten, habe ich nun eine Stunde zusätzliche Mittagspause. Danach werde ich Christa ablösen und die Stellung im Beizli halten, damit auch sie eine «Zimmerstunde» machen kann.

Jeder Tropfen bereitet Freude

Das Wetter war diesen Sommer noch selten so regnerisch wie heute. Auch wenn strahlender Sonnenschein rentabler fürs Beizli wäre, sind wir aktuell froh um jeden Regentropfen – der Boden hat es dringend nötig. Den ganzen Juni über war es sehr trocken und heiss. Im Juli zogen ab und an Gewitterwolken auf und entleerten sich an der Lenk, über dem Jaunpass und an anderen Orten des Tales – aber bei uns auf der Site Alp und im Zimmerboden blieben die Strassen und Weiden meist trocken.

Diese geografisch bedingte Gegebenheit war vergangenes Jahr sicherlich von Vorteil, doch aktuell wären wir froh um etwas mehr Regen. Tja, so ist die Natur eben, kein Jahr ist gleich wie das vorherige – doch das macht die Landwirtschaft erst recht spannend, da nicht einfach das Programm vom vorherigen Jahr ohne Anpassungen übernommen werden kann.

Im Zimmerboden, dort wo ich melke, hat es besonders wenig geregnet. Dazu kommt die Bise, die oft weht, und das bisschen Regen, das mitunter fällt, sehr rasch wieder trocknet. Der Graswuchs wurde durch die Trockenheit enorm gehemmt. Es ist nun vier Wochen her, seit unsere Kühe zuletzt in der Weideparzelle «Houli» waren.

Kaum Graswachstum

Jetzt ist ein Weideumtrieb vergangen und die Kühe sind zurück im Houli. Doch der Grasbestand sieht aus, als hätte die Herde erst kürzlich noch darin gegrast. Wenn es mit der Trockenheit so weitergeht, werden wir diesmal für einen Weideumtrieb nur knapp zwei Wochen brauchen. Anschliessend müsste wohl mit Heu zugefüttert werden, wie es im sehr trockenen Alpsommer 2022 der Fall war. Dies würde einiges teurer und arbeitsintensiver werden als das Beweiden, denn hier auf der Alp sind wir nicht für die Fütterung im Stall eingerichtet.

Weniger besorgniserregend sieht die Wasserversorgung aus. Wasser im Überfluss haben wir definitiv nicht, aber wir mussten noch keine ausserordentlichen Massnahmen treffen, um gut über die Runden zu kommen. Der Wetterbericht für diese Woche lässt uns nun aber auf regnerisches Wetter hoffen, damit das Gras wieder nachwachsen kann.

Florians Sitzstreik

Die Kühe inklusive Muni finden das knapp werdende Gras auch nicht toll. Nach dem Melken heute Morgen ging es auf eine Tagweide, die nicht mehr das «melchigste» Futter bot, zuerst aber noch besser abgegrast werden musste.

Die Kühe blieben jedoch lieber direkt vor dem Stall stehen, als Futter suchen zu gehen. Wir mussten die Tiere beinahe auf die Weide stossen und trieben sie bis hinter das Weidetor. Von dort sind es für unsere semi-motivierte Herde noch gute 200 Meter Fussmarsch auf der Schotterstrasse, bis sie die Weidefläche erreichen. Den meisten Kühen schien dies ein zu grosser Aufwand zu sein, und sie blieben auf dem Weg stehen. Auch Muni Florian betrachtete die kurze Strecke wohl als unzumutbar und entschloss sich für einen Sitzstreik: Er legte sich an Ort und Stelle einfach hin, mitten auf der Schotterstrasse.

Na gut, wenn dies das einzige ist, was ich und die Herde zu bemängeln haben, bin ich schon sehr zufrieden. Ansonsten ist unsere Herde nämlich wohlauf. Vereinzelt geht ein Tier lahm, entwickelt eine Augenentzündung, hat das Zeckenfieber oder kommt mit einer kleinen Schürfwunde in den Stall. Bis jetzt verlief aber (bis auf eine Kuh, die gleich Anfang Sommer lahm ging und bei der die Besitzer daher kamen, um sie auszutauschen) alles glimpflich.

Die Ruhe vor dem Sturm

Gemäss Wetterbericht schätze ich die nächsten Tage im Beizli als etwas ruhiger ein. Das ist quasi die Ruhe vor dem Sturm, denn in der Woche vor und rund um den 1. August herrscht oftmals am meisten Betrieb. Dann sind fast täglich Gruppen angemeldet. Der Höhepunkt dieser Zeit wird der 1.-August-Brunch, dann verpflegen wir bis zu 300 Personen. Ich bin gespannt, wie ein solch grosser Anlass über die Bühne gehen wird. Eine volle Terrasse, alle neun Tische besetzt, wie ich es bis dato kenne, wird nichts dagegen sein.

Die Autorin berichtet jede zweite Woche von ihren Erlebnissen auf der Site Alp