Besuch bringt Abwechslung auf die Alp und meist auch viele feine Leckereien. Für unsere Kinder fühlt es sich an wie Weihnachten, wenn ihnen wieder einmal Melonen oder frische Beeren zu uns hochgebracht werden. Gestern haben uns Freunde mit ausländischen Wurzeln besucht. Grossmutter, Tochter und Enkelin leben schon länger in der Schweiz, jedoch in Stadtnähe, mit dem bäuerlichen Leben haben sie nicht viel am Hut.

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Noch keine fünf Minuten aus dem Auto ruft die Enkelin Anna bereits empört: «Hier oben stinkts!» Sogleich nimmt unsere Ronya das Mädchen bei der Hand und zeigt ihr «ihre Alp». Während die Drittklässlerin zum ersten Mal in ihrem Leben auf Tuchfühlung geht mit Schweinen und Ziegen, staunen die Erwachsenen nicht schlecht, als wir ihnen die Sennerei und Stallungen zeigen. Was für uns Alltag ist, sehen sie zum ersten Mal und sind völlig überwältigt.

Turnschuhe im Schlamm

Nachmittags wollen die Städterinnen beim Küheholen helfen. Das heisst, Anna will unbedingt helfen, Grossmutter und Tochter sehen sich gezwungen, mitzukommen. Unser Hirtenteam fährt mit dem Quad so weit Richtung «Chrüz» wie nur möglich und beginnt mit dem Zusammentreiben der Kühe. Ronya, Cyrill und ich laufen mit der Touristengruppen etwa auf halbem Weg entgegen.

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Barfuss übernimmt Ronya die Führung, ich folge ihr mit Cyrill auf dem Buckel. Schon nach knapp 50 Metern pfeife ich sie zurück, wir sind zu schnell für unsere Städterinnen. Auf dem Weg liegt ein kleiner Bach, während wir einfach darüber schreiten, stellt das Rinnsal für unsere Bekannten ein ziemliches Hindernis dar. Prompt bleiben die weissen Sneakers im Schlamm stecken.

Idealisiertes Bild

Während wir auf die Kühe warten, erklärt Ronya ihrer neuen Freundin, wie sie sich um die Kühe zu verhalten hat. Wir werden in der Nähe des Zaunes bleiben, sollte es jemandem unwohl werden, kann man einfach unten durchschlüpfen.

Die 30-jährige Tochter studiert die Alpenwelt: «In der Schweiz kann man das machen, die Kühe einfach unbeaufsichtigt den ganzen Tag auf einer Weide lassen. Hier gibt es keine Gefahren. Niemand stiehlt die Kühe, es gibt keine Bären und Wölfe.» Einen Moment bin ich vor den Kopf gestossen. Ist das jetzt wirklich ihr Ernst? Während wir fast täglich Meldungen von Wolfsrissen erhalten, gibt es in Schweizer Städten tatsächlich noch Menschen, die glauben, es gäbe keine Wölfe in der Schweiz?

In Kontakt mit einem Kuhfladen

Schliesslich kommen unsere Hirten mit den Kühen. Unsere drei Touristinnen versuchen, mit der Herde mitzuhalten, und stolpern den Hang hinunter. Natürlich rutsch Anna auf einem Kuhfladen aus, sie schreit vor Entsetzen, als sie den Kuhmist an ihren Hosen bemerkt. Ronya versteht ihr Problem nicht: «Stand uf und lauf witer, Hose chamer wider wäsche!» Ich kann mir das Lachen kaum verkneifen.

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Dreckig, verschwitzt und voller neuer Eindrücke erreichen wir den Stall. Wir zeigen Anna, wie sie eine angebundene Kuh streicheln kann, sie strahlt übers ganze Gesicht. Das Stadtmädchen konnte während einiger Stunden in eine für sie völlig unbekannte Welt eintauchen. Und mir wurde einmal mehr bewusst, wie wertvoll die Zeit mit unseren Kindern hier oben ist.