In gut sechs Wochen wird das Parlament gewählt. Der Wahlkampf geht in die heisse Phase und für die Landwirtschaft steht viel auf dem Spiel. Es demissioniert eine ganze Reihe von Stützen für bäuerliche Anliegen in der kleinen und grossen Kammer und es wird nicht einfach sein, die stattliche Gruppe der bäuerlichen und bauernnahen Volksvertreter auf dem aktuellen Niveau zu halten.
Derzeit sind es rund 30 bäuerliche und landwirtschaftsnahe Parlamentsmitglieder. Diese treffen sich mit weiteren etwa 70 Sympathisanten aus den Räten im landwirtschaftlichen Klub, um Mehrheiten zu generieren und um die politischen Entscheidungen im bäuerlichen Sinn zu beeinflussen. Das ist in der laufenden Legislatur gut gelungen, die Bauern sind eine Macht, aber diese steht unter schwerem Druck.
Das hat mehrere Gründe. Erstens ist der Anteil der landwirtschaftlichen Bevölkerung weiter gesunken, er liegt noch bei knapp 5 Prozent. Die 30 Sitze entsprechen aber gut 13 Prozent der Volksvertretung, das heisst die Landwirtschaft ist im Parlament übervertreten. Dies hat Tradition. An der Urne konnten sich die Bauern immer auf Unterstützung weit über die eigene Bevölkerung hinaus verlassen und von einem Sympathiebonus zehren.
Dieser Sachverhalt stösst zunehmend auf Kritik. Die parlamentarischen Erfolge der Bauern rufen Neider auf den Plan. Das mag zunächst überraschen, denn es stünde jeder Branche (und jedem Geschlecht) frei, diszipliniert die eigenen Leute zu wählen, diese einzuschwören auf eine gemeinsame Linie und am Schluss Abstimmungssiege einzuheimsen. Nur gelingt dies eben praktisch niemandem im selben Ausmass wie den Bauern.
Dass sie trotzdem um ihre Macht fürchten müssen, hat auch mit der zu erwartenden Schwächung der SVP zu tun. Die grösste Partei steht ungeachtet von punktuellen neoliberalen Ausreissern immer noch mehrheitlich wie eine Wand hinter den Anliegen der Landwirtschaft. Sie ist mit ihrer grossen Fraktionsstärke vor allem im Nationalrat eine Bank für bäuerliche Anliegen, auch wenn die Strippen nicht primär in der SVP-Parteizentrale gezogen werden. Auch CVP, BDP und FDP dürften die Wahlen nicht ungeschoren überstehen. Dies dürfte den Einfluss der Bauern tendenziell schmälern. Die bürgerlichen Parteien spüren starken Gegenwind aus den umweltbewegten Sitzreihen der Räte. SP, Grüne und Grünliberale dürften aufgrund der aktuellen Diskussionen um Klimawandel, Pflanzenschutz, Tierhaltung und Biodiversität klar zulegen.
Die Landwirtschaft war schon immer exponiert, da sie auf Eingriffen in der Natur basiert, ohne die man kein Lebensmittel produzieren kann. Nun nimmt der Druck noch zu. Wir leben in einer speziellen Zeit. Die Wohlstandsgesellschaft sieht sich mit den Ergebnissen des eigenen Tuns konfrontiert, mit jedem Hitzesommer wird das Gefühl der Bedrohung stärker. Einerseits fürchtet man sich vor den Launen der Natur, andererseits vor mittel- bis längerfristig unumgänglichen Einschränkungen des hohen Lebensstandards.
Die Bauern kommen da als Prügelknaben gerade recht. Sie produzieren die emotional aufgeladenen Lebensmittel, die heute eher zu Lifestylemitteln geworden sind. Die menschliche Existenz definiert sich immer mehr über die Ernährungsgewohnheiten und wehe dem, der die Mittel zum Leben nicht jederzeit verfügbar, ökologisch unbedenklich, Bienen- und Kreislaufschonend sowie möglichst günstig zu liefern vermag. Hier kommt erschwerend hinzu, dass heute nicht mehr jeder zweite noch einen Grossätti oder eine Cousine hat, die in der Landwirtschaft tätig ist und so über ein minimales Wissen über die Realitäten in der Branche verfügt.
Diese Entwicklung wird sich weiter verschärfen. Was ist also zu tun, um politisch Gegensteuer zu geben? Erstens weiter bäuerlich wählen, um die politische Wasserverdrängung hoch zu halten. Zweitens muss man die Scheuklappen ablegen. Das Ausfüllen einer Nationalratsliste ist ein kreativer Akt. Hier lohnt es sich, auch die vernünftigen Kräfte unter den grünen und linken Kandidaten zu wählen, wo es sie gibt. Diese muss man stärken, damit sie in ihren Parteien nicht von primär ideologisch, aber mit wenig Fachwissen politisierenden Extremisten verdrängt werden. Drittens gilt es zu versuchen, über die sowieso bäuerlich wählenden eigenen Kreise hinaus, Überzeugungsarbeit zu leisten. Nur so kann es gelingen, am 20. Oktober den überpropotionalen Anteil an der Volksvertretung zu halten.