Der Novembernebel hat sich zwischen den Gebäuden des Weilers Hof Allenwinden, der zur Gemeinde Kappel am Albis ZH gehört, festgesetzt, und es ist ziemlich still. Über einer Tür hängt ein Schild: «Stallbraui». Davor steht eine schlanke, fast zierliche junge Frau in Stiefeln und Daunenjacke. Christa Falkensammer-Ringger (40) lacht einladend und führt über den Hof, vorbei am Stöckli zu einem schönen Riegelbau.

Herrin über hunderte von Bäumen und Sträuchern

Im Korridor des modern und geschmackvoll umgebauten Hauses steht eine zweite junge Frau mit einem Baby im Arm. «Unser Aupair entlastet mich – aber ohne meine Eltern würde ich es nicht schaffen», sagt die Hofchefin. Sie ist Herrin über 200 Hochstammbäume, 300 Aroniasträucher, 20 Hühner, Wachteln und einige Bienenvölker, eine Brennerei, eine Brauerei und einen Hofladen mit Webshop. Die vierfache Mutter betreut nebenbei sogar noch ein Jagdrevier als Pächterin und die Praxis-Buchhaltung ihres Ehemanns.

Bloss weg vom Bauernhof

1996: Christa Falkensammer will weg, bloss nicht auf dem Land bleiben. Der elterliche Bauernhof ist nicht ihr Ding. Sie will «leben». Also absolviert sie eine Kochlehre am Zuger Kantonspital. Ihr Chef ermöglicht ihr einen Austausch mit einem Sterne-Restaurant in Neuseeland. Nach der Lehre folgen andere Stationen der Haute Cuisine: Das Kulm in St. Moritz GR; in London die Küche des berühmten Anton Mosimann und in Genf der Sterne-Koch Philippe Chevrier.

«Die Küche der Sterne-Gastronomie war Sklaventreiberei: ein mieser Lohn, 80-Stunden-Wochen, ganz zu schweigen von der negativen Atmosphäre. Aber es war eine perfekte Lebensschule.» Die junge Frau will das nicht und entscheidet sich für die Hotelfachschule in Luzern. Während des Semesters «Unternehmensführung» arbeitet sie in Kloten ZH, wo sie sämtliche Flughafenbars betreut. Schnell merkt sie, dass es ihr liegt, sich mit der Kassen-Software herumzuschlagen und IT-Probleme zu lösen. Sie ist davon so fasziniert, dass sie sich für ein berufsbegleitendes Studium der Wirtschaftsinformatik entscheidet.

Zurück zu den Wurzeln

Sie wechselt in die IT-Sicherheitsbranche und schliesst Bachelor- und Masterstudium erfolgreich ab. Als sie 2012 ihr Diplom entgegennimmt, ist sie frischgebackene Mutter von Nico. Denn inzwischen hat sie den Unfallchirurgen und Orthopäden Markus Falkensammer geheiratet. Sie wohnen mitten im pulsierenden Zürich. Kennen und lieben gelernt haben sich die beiden schon früh, während des Kurses zur Jagdprüfung.

Der IT-Job verliert seinen Reiz und wird beinahe langweilig. In der Innovationsabteilung eines Energiekonzerns findet Christa Falkensammer eine neue Herausforderung. Parallel dazu vergrössert sich die Kinderschar: 2013 kommt Mia, 2015 Leo zur Welt. Sie und Markus Falkenammer verbringen so oft wie möglich ihre Freizeit auf dem elterlichen Hof.

Das Landleben hat seinen Reiz

Die junge Frau merkt, dass das Landleben seinen Reiz hat. «Ich würde niemals Party und Shoppingmeile gegen das Paradies hier auf dem Hof eintauschen wollen. Ich musste mich wohl austoben, um all das schätzen zu lernen. Die Freiheit des Landlebens ist viel cooler.» Christa Falkensammer beginnt, die hofeigne Brennerei zu reorganisieren; überzeugt den Vater, sortenrein zu destillieren, gestaltet selber die Verpackungen, baut den Webshop auf und besucht einen Imkerkurs.

2016 zieht die Familie auf den Hof. Es gibt so viel zu tun, dass sie nach dem Mutterschaftsurlaub für Romy, dem vierten Kind, nicht mehr zum Job zurückkehrt. Sie absolviert den Direktzahlungskurs, um den Hof übernehmen zu können. Landtechnik, z. B. Traktorenwartung, habe sie vielmehr interessiert als der Bäuerinnenkurs, meint sie lachend und dabei blitzen die Augen auf.

Ein Hofladen mit Lokalwaren

2020 übernimmt Christa Falkensammer offiziell den Betrieb mit zwei Hektaren Land, dreizehn sind verpachtet, und beginnt sofort mit der Umstellung auf Bio. Im August wird die Stallbrauerei eröffnet. Ein befreundeter Biologe und erfahrener Brauer war auf der Suche nach einem neuen Lokal. Jetzt wird ein Klosterbräu gebraut. Das Hofladenangebot wächst stetig – lokal und saisonal ist Trumpf.

Christa Falkensammer wirkt ausgeglichen und ruhig. Nach dem Geheimnis ihrer Ruhe gefragt, überlegt sie nicht lange: «Die ganze Familie trägt mit. Auch mein Mann liebt diese Arbeit, er packt jede freie Minute mit an, und dies neben einem 150 Prozent-Job in der eigenen Praxis, mit der er sehr glücklich ist. Wir sind gegenseitig besorgt darum, dass es uns allen gut geht und reden viel miteinander. Arbeit ist kein ‹Krüppeln›, sondern Energiespender.»

«Ich bin auf dem Hof angekommen»

Natürlich sei der Spagat zwischen Muttersein, Haushalt und Hofführung eine grosse Herausforderung. Aber hier könne sie rasch und flexibel etwas ändern und bewirken, im Gegensatz zu den etwas trägen Firmen mit Millionenbudget. Das komme ihrer Ungeduld entgegen. «Und ich bin zufrieden. Es ist gut, wie es ist. Ideen und Projekte gehören zum Leben. Mein Lohn ist auf einen Bruchteil geschrumpft, dafür hat für uns alle die Lebensqualität im Quadrat zugenommen. Weltreise-Berichte beeindrucken mich nicht mehr. Ich bin angekommen – hier auf dem Hof.»