Berty Meyer-Christen aus Andermatt kam im Dezember 1936 als siebtes von zwölf Kindern in einer Andermatter Bauernfamilie zur Welt. Schon nach vier Jahren nahm ihr Leben eine unerwartete Wendung: Ihre Tante brach sich ein Bein. Damit es ihr nicht langweilig war, wurde das kleine Berty zu ihr geschickt, um sie zu unterhalten. Die Tante war glücklich mit Berty und behielt das kleine Mädchen in ihrer Familie.
1941 und 1944 schlug das Schicksal zu: In den beiden Lawinenwintern verlor die Tante ihre Söhne. Jetzt war für sie klar, dass Berty bei ihr blieb. «Mein Umfeld dachte, dass ich noch zu klein sein, um die Tragik dieser Situation zu erkennen, dabei litt auch ich sehr», erinnert sich Meyer. 1951 schlug wieder eine Lawine zu. Zum Glück waren Tante, Onkel und Berty nicht im Haus, denn dieses wurde mitgerissen.
«Ich gehörte nicht mehr richtig dazu»
Nach elf Jahren kehrte das Mädchen zur eigenen Familie zurück. Das sei nicht einfach gewesen, sie habe sich nicht mehr richtig zugehörig gefühlt, sagt sie heute. «Ich hatte schönere Kleider als meine Geschwister und durfte die Sekundarschule besuchen, was meinen Geschwistern aufgrund unserer Familiensituation nicht möglich war.» Berty war aber nicht lange zu Hause. Nach der Schule ging sie als Au-Pair-Mädchen nach Genf, wo sie für monatlich 60 Franken arbeitete und Französisch lernte.
Schon nach zwei Jahren musste sie zurück nach Andermatt. Die Mutter habe geschrieben, dass die junge Frau für die Landwirtschaft gebraucht werde. Sie wohnte wieder bei ihrer Tante. Eine ihrer unvergesslichen Arbeiten sei gewesen, mit einem Veloanhänger die Milch von einem entfernten Stall zu holen. «Ich hatte kein Velo und war mit der Milch jeweils eine Stunde zu Fuss unterwegs.»
Schwanger vor der Ehe
Berty Christen durfte im Melchtal Familienhelferin lernen. Die Schule vermittelte sie anschliessend in verschiedene Regionen. Weil Meyer Französisch sprach, kam sie auch in die Westschweiz. Anschliessend liess sie sich als erste Familienhelferin in Altdorf anstellen. Die Zeit als Familienhelferin sei eine interessante und schöne, aber auch anstrengende Zeit gewesen, blickt Meyer zurück. Man habe damals noch von Hand gewaschen, auch sonst sei die Hausarbeit noch anstrengend gewesen. Bis Berty zwanzig Jahre zählte, musste sie ihren Lohn zu Hause abgeben. «Das war in vielen Familien so Brauch, ich habe mich damit abgefunden.»
1958 lernte Berty Christenihren späteren Mann Herbert Meyer kennen. Er stammteaus einer sehr angesehenen, reichen Andermatter Bauernfamilie. Eigentlich hätte er studieren sollen. Er entschied sich aber, Bauer zu werden und die Landwirtschaftsschule am Strickhof zu absolvieren. Da wurde die junge Frau vor der Heirat schwanger. Das sei eine Tragödie gewesen, erinnert sie sich. Ihre Mutter verbot ihr, in Andermatt zu heiraten. Das junge Paar musste sich in Altdorf vom Pfarrer aus Realp trauen lassen. «Meine Eltern kamen nicht zur Hochzeit, das tat schon weh.» Später habe ihr der Vater gesagt, er wäre gern gekommen, aber die Mutter habe es ihm verboten.
Ans Leben in der Villa gewöhnen
An vieles musste sich die junge Bäuerin gewöhnen. So beispielsweise an das Leben in der Villa Reuss, die der Grossvater ihres Mannes 1902 in Andermatt baute. Auch an die Angestellten. Der Bauernhof gehörte weiterhin dem Schwiegervater. Er hielt zwei Mägde und einen Knecht. «Ich staunte, als ich sah, dass die Knechte und Mägde nicht bei uns am Tisch sitzen durften. Sie assen in der Küche im Keller.» Auch die Heuernte sei in dieser Familie für sie ungewohnt abgelaufen. Zum Mähen seien italienische Männer gekommen. Obwohl Andermatt auf 1444 Metern Meereshöhe liegt, hatte Berty Meyer ihren Garten. Derweil wuchs die Familie: Berty Meyer schenkte drei Söhnen und drei Töchtern das Leben.
Arbeitsintensives Leben als Älplerin
Als Berty Meyer das vierte Mal schwanger war, ging sie erstmals mit Mann und Kindern z Alp. Für die junge Familie gab es in der Alphütte am Galenstock kein WC, alle mussten im Freien in «die Blacken». Das und die einfache Einrichtung seien eine Herausforderung gewesen. «Ich war aber glücklich, dass mir mein Mann das Käsen und Zigern beibrachte.» Damals hätte Berty Meyer nicht gedacht, dass sie während mehr als 40 Jahren Älplerin beziehungsweise Käserin am Galenstock sein würde. So geschah es. Leider starb ihr Mann schon 1984. «Das war sehr hart für mich, aber mir war klar, dass das Leben weitergeht und ich auch künftig alles für meine Familie geben wollte.»
Ein gutes Leben gehabt
Jetzt ist Berty Meyer 85-jährig. Sie verfügt nach wie vor über eine gute Gesundheit und kann in der Jugendstilvilla Reuss wohnen. Sie hat immer noch ihre Hochbeete im Garten und befasst sich mit der Landwirtschaft. Zurückblickend auf ihr langes Bäuerinnenleben sagt sie: «Ich durfte viel Spannendes erleben. Wie stolz war ich, wenn mein Käsekeller jeweils prall gefüllt war! Auch dass ich die Bäuerinnenprüfung absolvieren konnte – das war damals noch eher selten – erfüllte mich.» Etwas vom Schönsten sei es gewesen, mit den Kindern Alpen-rosen oder Heidelbeeren zu pflücken und an Touristen zu verkaufen.
1985 übergab Berty Meyer ihren Hof an Sohn Felix. «Mir machte es weiterhin Freude, im Sommer z Alp zu sein. Im Winter arbeitete ich für die Gemsstockbahnen und konnte dann und wann mein Französisch einsetzen. Kurz gesagt: Ich hatte und habe ein gutes Leben. Dafür bin ich dankbar.»