Prall leuchten die violetten Trauben im Rebberg des Weinguts Schödler oberhalb von Villigen im Kanton Aargau, ein prächtiges Bild. «Aber schau mal», ermuntert Judith Schödler zu einem zweiten Blick: «Da hat es zwischendrin geplatzte, rissige Beeren. Die müssen wir alle aussortieren.» «Allerdings», bestätigt ihr Partner Nick Schnider mit einem Seufzer und leert einen gefüllten Kessel mit Pinot-Noir-Trauben in die Stande. Das Verlesen bremst seine Stundenleistung ziemlich, zum Glück hat er gute Unterstützung.

Zerreissprobe für Trauben

Ein gutes Dutzend Personen bewegen sich mit Scheren und Gefässen zwischen den Reihen, an diesem letzten Tag im September steht der Abschluss der Erntesaison 2022 kurz bevor. Das ist früh – «und doch höchste Zeit», erklärt Judith Schödler. Schuld ist nicht die berüchtigte Kirschessigfliege, sondern das Wetter. Nach dem heissen, trockenen Sommer kam im September viel Regen bei warmen Temperaturen, für die bis dahin sehr gesunden Trauben eine Zerreissprobe.

Die Aargauerin hätte sich vor 15 Jahren nicht träumen lassen, dass Weintrauben in ihrem Leben einmal eine wichtige Rolle spielen würden. Da war sie noch in der Karibik. In der Dominikanischen Republik lebte sie seit einem Sprachaufenthalt 1997, arbeitete im Tourismusbereich und gründete eine Familie. Dann vernahm sie, dass ihr Vater in der Schweiz eine Nachfolgelösung für den Weinbaubetrieb suchte. Als Kind hatte sie oft im Rebberg geholfen und fand das damals mässig attraktiv. Aber jetzt lockte sie diese Aussicht immer mehr.

Zurück in die Heimat

So reiste die ausgebildete Lehrerin für Textiles Werken mit ihrem Mann und den beiden Kindern zurück in die Schweiz und absolvierte eine Ausbildung als Winzerin. 2009, zur Einweihung des neuen Weinkellers in Villigen, stieg sie offiziell in den Betrieb ein, 2014 übernahm sie ihn ganz.

Die Ehe ging auseinander, beim Rebberg ist Judith Schödler geblieben. Er beschäftigt sie fast das ganze Jahr. «Die Arbeit dort hat etwas Meditatives, das geniesse ich sehr», sagt sie. Der erfahrene Rebbauer Ruedi Schödler unterstützt seine Tochter mit Rat und Tat. Und oft dabei sind nun auch Judith Schödlers eigene Kinder.

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Blauburgunder und Riesling-Silvaner sind die Hauptsorten im 2,2 Hektaren grossen Rebberg. Aber schon Ruedi Schödler begann auf Rebsorten zu setzen, die widerstandsfähig gegen Pilze sind, um Pflanzenschutzmittel zu reduzieren. Das führt seine Tochter mit Überzeugung weiter und remontiert laufend einige Reihen. «Es ist spannend mit den neuen Sorten», sagt sie.

Fein essen im Rebberg

Für die Kelterung ist Judith Schödlers neuer Partner zuständig, der ausgebildete Kellermeister und Winzer Nick Schnider. In seinem Revier herrscht jetzt Hochbetrieb, während im Rebberg draussen die Arbeit nach dem Abschluss der Ernte für eine Weile ruht. Im Aaretal beginnt die Nebelsaison. Vermisst Judith Schödler die karibische Sonne nicht ab und zu? «Auf die Dauer war es da einfach zu heiss», lacht die 49-Jährige. Es sei eine gute Zeit gewesen, «aber jetzt bin ich hier, und ich liebe das, was ich mache. Sonst würde ich etwas ändern.»

Bevor Judith Schödler diesen Morgen zum Weinberg hochgefahren ist, stand sie in der Küche und kochte vor. Denn während der Traubenlese verpflegt sie auch die Helferinnen und Helfer, bis zu 25 Personen täglich, und holt dafür das Letzte aus ihrer Haushaltküche heraus. Heute gibt es angebratene Gnocchi mit Tomatensauce, morgen Rindsgulasch. Und natürlich etwas Süsses zum Dessert.

«Zusammensitzen, etwas Warmes geniessen, mit einem Glas Wein anstossen – das gehört einfach zu dieser Arbeit», sagt Judith Schödler. «Ohne gutes Essen kommen die Leute nicht wieder.» Das gilt besonders für ihre anderen Gäste: Kurse, Degustationen und Gästebewirtung im umgebauten Schopf sind ein wichtiger Teil des Weingeschäfts. «So machen wir unseren Wein bekannt. An diesen Anlässen holen sich die Menschen eine Bindung zu ihm», erzählt Judith Schödler. «Für grosse Werbekampagnen in den Medien sind wir zu klein.»

Lustig an der Ladies Night

Im Weingut Schödler lässt sich beispielsweise der Kurs «Winzer für ein Jahr» buchen. Wer sich nicht so lang verpflichten will, wandert vom Dorf in den Weinberg und geniesst ein Picknick oder Fondue im «Räbhüsli».

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Sehr beliebt sei die «Ladies Night» mit Spaziergang im Rebberg, Imbiss und natürlich Weindegustation, «da haben wir immer einen lustigen Abend», erzählt Judith Schödler, die nebst alledem ein gut gebuchtes Bed and Breakfast führt.

«Ich war noch nie betrunken, da würde ich vorher einschlafen», kommentiert die Winzerin ihren eigenen Alkoholkonsum. Sie mag Wein gerne, verträgt ihn aber nur sehr massvoll und mag grundsätzlich lieber Weissen als Roten. «Lustigerweise ist mein Favorit aber doch rot», verrät sie. Es ist der «Passione» aus der resistenten Maréchal-Foch-Traube. «Ein Gaumenschmeichler, der samtig-weich nach dunklen Beeren schmeckt. Tiefrot, ein südländischer Weintyp.» Na dann prost – das macht den Winter im Schweizer Mittelland doch gleich ein bisschen netter.