«Der Stall macht immer noch Freude. Wenn nur die verdammte Melkerei nicht wäre.» Robert Hess steht in seinem geräumigen Stall neben seinem Braunvieh. Hell und luftig ist es im Stall, die fressenden Tiere sind sauber.
Baustelle statt Grundlage
«Die Gesundheit der Tiere hat oberste Priorität», meint Hess. Die Ordnung im Stall spricht für ihn. Es hätte auch alles für den neuen Melkstand von De Laval gesprochen. Doch seit der Installation ist die Milchleistung zurückgegangen, die Zellzahlen sind hoch. Eigentlich hatte sich Hess das alles anders vorgestellt. Er wollte eine solide Grundlage für seine Nachfolge schaffen. Stattdessen hat er eine Baustelle hinterlassen. Der Melkstand mit höhenverstellbarem Boden und der unterirdisch verlegten Anlage ist für Hess Symbol des Scheiterns. Das zeigte sich im Gespräch vergangene Woche.
Dem sonst so schlagfertigen Mann fehlen für einmal die Worte. Den Kopf schief geneigt richtet sich Hess auf und verharrt für kurze Zeit. Die Leere in seinem Blick erzählt eine Geschichte über eine für ihn ungewohnte Ohnmacht.
Nie abhängig sein
Robert Hess wächst auf einem bescheidenen Bauernhof in Dürnten ZH auf. Die 60 Aren und die sechs Kühe liefern nicht viel Geld. Schon in jungen Jahren lernt er, für sich selbst zu schauen und anzupacken. Nie will er abhängig werden.
Er macht die kaufmännische Lehre und findet in den 1970er-Jahren gut bezahlte Arbeit. Jung kann er Verantwortung übernehmen. Nach dem unerwarteten Tod des Vaters 1972 übernimmt der Junior mit 21 Jahren den Hof und verkauft alles Vieh. Nur ein paar Pferde bleiben übrig.
Kurz darauf findet Hess seine Freude an Kühen wieder und steigt, wie sein Vater früher, in den Viehhandel ein. Bald stehen 30 Kühe in seinem Stall. Doch Hess will mehr. Als der Bühlhof am Dorfrand von Dürnten ausgeschrieben wird, meldet er Interesse an. Am 24. Dezember 1991 macht Hess eine Anzahlung für den Bühlhof; gegen den Willen seiner Frau Rosmarie, die ihn damals für verrückt erklärte.
Hess ist das egal – er stürzt sich in die Arbeit und die Planung eines neuen Stalls für 60 Kühe. Das Ziel ist klar: wachsen, ausbauen, Vollgas. Gleichzeitig versucht er den Elternhof «am Hügel oben» zu verkaufen, was schliesslich auch gelingt. Der Betrag, den er von einem Maurer für die Liegenschaft bekommt, liegt über dem von der Bank geschätzten Wert; genaue Zahlen will Hess nicht öffentlich machen. In den darauffolgenden Jahren nutzt Hess jede Chance, um seinen Landbesitz zu vergrössern. Mittlerweile bewirtschaften seine Kinder 75 Hektaren; 50 davon Pachtland.
Ungewohntes Scheitern
Irgendwann wurde Robert Hess klar, dass ein neuer Stall sinnvoll sein würde, um die Betriebsentwicklung zu gewährleisten. 2012 war Spatenstich für den Stall. Wie teuer ihn der Bau zu stehen kommt, will er nicht verraten; er lässt sich aber nicht lumpen. Er investiert in einen hochmodernen 2x10er-Fischgräten-Melkstand, der neue Laufstall ist für 150 Kühe gedacht. Die Technik für den Melkstand wird unterirdisch verlegt, damit in Ruhe gemolken werden kann.
Die Planung des Stalles – Hess macht sie selbst – verläuft zufriedenstellend, Maurer und Holzbauer machen laut Hess einen hervorragenden Job. Und auch für den Einsatz des Servicetechnikers von De Laval hat Hess auch heute nur lobende Worte übrig. Obwohl nach der Einweihung des Stalles schnell klar wird, dass etwas nicht stimmt.
Die Milchleistung der Kühe sinkt um 2000 bis 3000 Kilogramm pro Kuh und Jahr. Die Zellzahlen steigen. Innerhalb von drei Jahren muss der Landwirt 250 Kühe schlachten. «Eine wirtschaftliche Katastrophe», sagt er heute. Das genaue Ausmass dieser «Katastrophe» lässt sich Hess aber nicht entlocken. «Das müssen Sie schon selber ausrechnen», sagt er. Alleine durch die nicht-gelieferte Milch dürften Hess vorsichtig gerechnet jedes Jahr rund 100'000 Franken Umsatz entgehen. Dass Hess bisher noch nicht Konkurs anmelden musste, dürfte einerseits den Direktzahlungen, andererseits den verschiedenen Standbeinen des Betriebs zu verdanken sein. So ist Hess als Berater in Agrar- und Baurechtsfragen im Einsatz und vermittelt hin und wieder Liegenschaften.
Rechtsstreit um Melktechnik
Warum die Melkerei nicht funktioniert, ist ihm bis heute rätselhaft. Mehrere Untersuchungen des Eidgenössischen Starkstrominspektorats (Esti) zeigen, dass Kriechstrom nicht die Wurzel des Übels sein kann. Auch der Austausch der Zitzengummis, Pulsatoren und Rohre bringt keine Besserung. Der Melktechnik-Anbieter Lely stellt vorübergehend einen mobilen Melkroboter zur Verfügung. Damit funktionierte das Melken tadellos, wie Hess sagt. Eine Umstellung auf Melkroboter war bisher trotzdem nicht möglich. Grund sind die hohen Kosten, die mit dem Umbau der Melkanlage einher gehen würden. Für Hess ist dennoch klar: «Wenn es einen Roboter gibt, dann einen von Lely. Der Versuch zeigte, dass das Melken perfekt verlief.»
Nachdem sich die Fronten zwischen Hess und De Laval verhärten, kommt es zum Bruch und zum Rechtsstreit (wir berichteten im März 2017). Hess reicht Schadensersatzklage ein und will De Laval zur Verantwortung ziehen.
De Laval weist die Schuld von sich, die Normen seien alle eingehalten worden; zudem ist das Gericht wegen fehlender Beweise nicht auf die Klage eingetreten. «Das kann doch nicht sein!», ruft Robert Hess in seinem Büro. Er verwirft die Hände und sein Gesicht nimmt harte Züge an. Laut war Robert Hess schon immer. In dieser Angelegenheit sieht er sich selber als «Rufer aus der Wüste».
Mit Neid umgehen
Robert Hess ist dabei alles andere als unumstritten – wie so oft bei Viehhändlern wird ihm nicht zugetraut, dass er eine weisse Weste trägt. Die Dominanz im Dorf ist unübersehbar und der Neid von anderen Landwirten teilweise hörbar.
Wie geht Robert Hess damit um? Lässt ihn der Neid anderer komplett kalt? «Es kommt darauf an.» Mit Leuten, die für ihre Meinung einstehen, habe er kein Problem, sagt er. «Farbe bekennen» sei sehr wichtig, denn «nur tote Fische schwimmen mit dem Strom».
Als Hess während dem Milchstreik 2008 seine Milch nicht ausgeleert hat, haben einige wenige Kollegen aufgehört, Tiere für die Alpung zu Hess zu bringen. Ihn lässt das mehrheitlich kalt. Und von Leuten, die sich darüber freuen, dass er in Schwierigkeiten steckt, hält er wenig; «sie interessieren mich schlicht nicht», sagt er.
Auf die Frage, ob er Vorbilder habe, überlegt er kurz. «Eigentlich nicht.» Er gesteht jedoch, dass es einige Leute gibt, die er bewundere. «Magdalena Martullo-Blocher würde ich zwar nicht heiraten wollen, aber eine ausgezeichnete Unternehmerin ist sie zweifellos», sagt er über die SVP-Nationalrätin.
Doch wie geht es bei Hess nun weiter? Sohn Philipp und Tochter Ramona, die während diesem Nachmittag auf dem Hof unterwegs, für ein Gespräch aber nicht verfügbar waren, haben den Betrieb mittlerweile übernommen.
Hess wird zusehends zum Berater; eine Rolle, die ihm durchaus zusagt. Er muss nicht mehr um vier Uhr morgens aufstehen und kann auch einmal Ferien nehmen. Das sei etwas neues, sagt Hess. Denn wenn er die Wahl zwischen Geld und Zeit hat, würde er sich «ganz klar für Geld» entscheiden. Nun geht es aber nach Norwegen.
Wie es auf dem Betrieb weitergeht, liegt nurmehr teilweise in seinen Händen; auch wenn Hess noch Ordnung schaffen will.
Betriebsspiegel
Name: Robert und Philipp Hess, Ramona Moser-Hess
Ort: Dürnten ZH
Ackerfläche: 75 ha
Viehbestand: 150 Kühe