Das Mini-Postauto hält nach einer 20-minütigen Fahrt von Thusis GR her vor dem Wohnhaus der Familie Battaglia. Die Besucherin aus dem Unterland steigt aus. Das Wetter ist unfreundlich, ein düsterer Tag. Trotzdem ist sie vom Charme des kompakten Dörfchens eingenommen. «Hier in dieser Idylle ist sicher gut zu leben», sagt sie zu Mira Battaglia-Wenger, die unter der Haustür des alten Hauses wartet. Die Landwirtin lacht: «Ja, genau das dachte ich vor zehn Jahren auch, als ich das erste Mal hier ankam.» Der Eindruck sei damals noch intensiver gewesen, weil die Natur sich in Hochform präsentierte. Auch sie habe sich vorgestellt, hier müsse das Leben absolut malerisch und friedlich sein. Es war dann allerdings nicht so, wie sie schmerzlich erfahren musste.
Ein Beruf zum draussen sein
Doch fangen wir im Oberbaselbiet an, wo Mira Battaglia-Wenger in Gelterkinden ihre Kinder- und Jugendjahre verbrachte. Obwohl nicht auf einem Hof aufgewachsen, war ihr der Bauernstand vertraut. Als Teenager hielt sie sich am liebsten auf einem Hof bei ihrem Pflegepferd auf. Ihr Vater, Röbi Wenger, war 37 Jahre lang Schulleiter an der landwirtschaftlichen Schule Ebenrain und ihre Mutter, Margrit Wenger, melkt seit jeher die Kühe eines Freundes. Nach der Matura lernte die junge Frau in einem zweijährigen Volontariat den Beruf der Journalistin und studierte danach Ökologie (Bachelor in Umwelt-Geowissenschaften mit Fachrichtung Bodenkunde).
Es ging Mira Battaglia-Wenger gut, und trotzdem hatte sie das Gefühl, dass sie einen Beruf wollte, bei dem sie draussen sein konnte, so wie bei dem als Landwirtin. Sie verbrachte ein paar Wochen auf der Alp und fand eine Lehrstelle. Mit einem Schmunzeln auf den Lippen erzählt sie: «Nun begann es richtig mit dem Lernen, denn ich konnte weder Traktor fahren noch verstand ich etwas von Maschinen, dafür viel von Pflanzen und Tieren.»
Keine heile Welt
Mira Battaglia-Wenger absolvierte die Ausbildung zur Landwirtin und hatte eine Stelle als Betriebshelferin in Aussicht. Aber es kam jemand dazwischen, nämlich Enrico Battaglia, den sie an einem bäuerlichen Anlass kennenlernte. Sie entschied, den Sommer 2009 bei ihm zu verbringen und beim Heuen zu helfen. Sie ging auf in der Arbeit, ihr gefielen das Dörfchen Mutten GR und besonders der Bauer, der auch als Primarschullehrer ausgebildet ist und seit elf Jahren im Nebenerwerb als Rettungssanitäter arbeitet.
«Im Herbst wusste ich, dass ich hier oben bleiben wollte», erinnert sie sich, «obwohl Enrico mich gewarnt hatte, im Dorf herrsche keineswegs heile Welt, wie ich das in meiner Naivität sah.» Die Landwirtin begab sich ins Unterland, löste die Wohnung auf, packte ein paar Sachen. Zufrieden sagt sie, nun sei sie zehn Jahre hier und angekommen. Enrico und sie hätten sich zusammen mit den Kindern Laurenz (9), Valentina (7) und Moritz (5) ihr Paradies geschaffen.
Ans Aufgeben gedacht
Allerdings waren die ersten Jahre harzig, denn Battaglias waren im 60-Seelen-Dorf überhaupt nicht willkommen, wurden geplagt und offen feindselig behandelt. Die Gemeinde war beherrscht von Familien, die seit 30 Jahren im Dorf das Sagen hatten. Den meisten passte es nicht, dass Mira und Enrico Battaglia den kleinen Hof von Enricos Onkel ausbauten, neue Gebäude aufstellten, Land kauften und mehr Bündner Grauvieh, Schafe, Esel und Pferde hielten. Dabei lebt die Familie bescheiden, besitzt keine moderne Küche und verfügt über zwei alte Aebi-Transporter statt eines riesigen Traktors. Mira hält fest, sie seien zeitweise so gepiesackt worden, dass sie ans Aufgeben dachten.
Stundenlang Philosophieren
Besonders in dieser Zeit war die Unterstützung von Mira Battaglia-Wengers Eltern Gold wert. «Zum Glück haben mein Mann und ich die gleichen Wertvorstellungen», sagt sie. Sie entschieden, ihren Alphof nicht nur als Bauernbetrieb zu sehen, sondern als ihren unantastbaren Lebensraum. Von da an ging es aufwärts.
Heute sind Battaglias mit dem Alphof auf Kurs. Das Dorf Mutten gehört seit zwei Jahren zur Gemeinde Thusis und Enrico Battaglia unterrichtet die drei Kinder seit einem Jahr selbst. So weit als möglich setzen sie auf Selbstversorgung und haben Pläne, jungen Menschen in Krisensituationen eine Auszeit auf dem Alphof zu ermöglichen. Wichtig ist dem Paar, den eigenen Kindern vorzuleben, dass das Leben nicht nur aus Arbeit besteht und es richtig ist, auch gegen Widerstände geradlinig weiter zu gehen.
«Mindestens einmal pro Woche stecken wir die Jungmannschaft früher ins Bett», erzählt Mira Battaglia-Wenger, «braten ein feines Stück Fleisch, öffnen eine Flasche Wein und geniessen in unserer einfachen Küche die Zweisamkeit.» Sie würden stundenlang philosophieren, auch wenn sie den ganzen Tag gearbeitet hätten und eigentlich reif fürs Bett wären.