Das Leben ist so interessant!» Heute fängt sie wieder Hühner ein, jetzt aber stehen frisch gebackene Spitzbuben, Änisbrötli, Schlüüferli und Waffeln auf dem Küchentisch. Silvia Stucki strahlt über das ganze Gesicht. «Wenn mir jemand gesagt hätte, dass mein Gebäck einmal in einem Hofladen verkauft würde, das hätte ich nicht geglaubt», erzählt die 50-Jährige. Für den Schönholz-Adventsmärit in Schwanden i. E. BE backt Silvia Stucki schon seit Jahren Züpfe und Süsses. Ihr Mann Beat, der als Schweinezuchtberater arbeitet, verteilte letztes Jahr einige der übrig gebliebenen Güetziseckli, als er zu einer Beratung ins Seeland fuhr. Bei Familie Feissli kamen die Emmentaler Güetzi so gut an, dass Silvia noch am selben Abend nach Ins BE fahren musste. Seither werden nun «Silvias Backwaren» im Hofladen von Familie Feissli verkauft. «Alle zwei Wochen bekomme ich eine Bestellung», so beliefert Silvia das «Schür-Lädeli» in Ins regelmässig mit feinen Backwaren. Mit einem Kollegen hat Silvia vor Kurzem sogar ein eigenes Amaretti-Rezept kreiert, «Die Amaretti laufen wie verrückt!», freut sie sich.
Footloose im Canyon
Das Tanzen ist Silvias zweite grosse Leidenschaft, seit elf Jahren kann die fröhliche Emmentalerin die Füsse nicht mehr stillhalten. Zum 80. Geburtstag ihres Vaters hatten sie und ein Teil der Familie einen Line-Dance-Tanz einstudiert, das gefiel Silvia allerdings nicht besonders. Trotzdem liess sie sich von ihrer Schwester dazu überreden, einmal einen Tanzkurs zu besuchen. Da hat das Line-Dance-Fieber sie gepackt. Silvia besitzt immer noch ihre allerersten Tanzboots, die ihr der Schuhmacher schon unzählige Male wieder neu besohlt und repariert hat. «Noch einmal wird er sie nicht mehr flicken können», sagt Silvia Stucki etwas wehmütig. Daneben nennt sie noch siebeneinhalb Paar Tanzschuhe ihr Eigen. Siebeneinhalb? «Diesen einzelnen Stiefel habe ich von einer Kursteilnehmerin geschenkt bekommen. Es ist einer ihrer Hochzeitsschuhe, den anderen Stiefel hat sie behalten», erklärt Silvia sichtlich gerührt. Ein mit bunten Blumen besticktes Paar sticht aus der Schuhreihe auf dem Fensterbrett hervor. «Diese Boots haben mir einfach gefallen, sie sind so besonders. Ich bin halt ein wilder Vogel», meint die Emmentalerin schmunzelnd. Hohe Stiefel trägt sie übrigens nur zu Röcken, ansonsten sind ihr die flachen Boots am liebsten. Aus Amerika, dem Land des Line-Dance, hat sie hingegen keine Schuhe mitgebracht. Sie müssten ihr schon gefallen, sagt Silvia Stucki, einfach nur zum Andenken wollte sie keine kaufen. Ein Highlight sei der Ausflug in Moab (Bundesstaat Utah, USA) gewesen: Die ganze Familie machte eine Amerikareise. Im Canyon angekommen, wurde das Autoradio aufgedreht und Silvia und ihre Tochter Luana tanzten zum Lied «Footloose» aus dem gleichnamigen Film. Vor neun Jahren fragte sie der Rüderswiler Frauenverein dann als Kursleiterin an, zwei Jahre später unterrichtete Silvia Stucki zum ersten Mal in Lützelflüh BE, das «Aemme-Valley» war geboren. Mittlerweile sind es drei Gruppen, für Anfänger(innen) und Fortgeschrittene. «Ich wollte das eigentlich gar nicht!», sagt die «Countrylady» und lacht. Die fröhliche Frau sagt von sich selbst, dass sie einfach offen sei für Neues und Geduld habe, auch einmal zu warten, was das Leben bringt. Seit diesem Jahr organisiert sie zusammen mit zwei weiteren begeisterten Tanzfüdlis die Line-Dance-Night im Restaurant Rössli (siehe Kasten).
Allrounderin und Gute Seele
Welche Berufsbezeichnung soll denn im Steckbrief für den BauernZeitung-Artikel stehen? Silvia Stucki wird still, sie schluckt. Nach der Schule half sie einen Sommer lang zuhause auf dem elterlichen Betrieb, «ein stotziges Heimet» im Nesselgraben bei Landiswil BE. Dann sprang sie ein, als in einem Käsereibetrieb die Käsersfrau erkrankte und half überall mit. Später arbeitete sie in einer weiteren Käserei, in einer Bäckerei und schliesslich in einer Gärtnerei – eine Allrounderin, wie sie im Buche steht. Als sie zu ihrem Mann Beat auf dessen Elternbetrieb zog, besuchte Silvia einen Winter lang die Bäuerinnenschule auf dem Schwand BE. Den Betrieb führte Beat dann acht Jahre mit seinem Bruder zu-sammen. Mit der Erfüllung des Traums von einem Eigenheim konnten Silvia und Beat Stucki sich dann neu orientieren. Für Silvia standen die Familie und ihre beiden Kinder Simon und Luana immer im Vordergrund: «Das geht oft vergessen, wie viel die Zeit und die Arbeit mit den Kindern eigentlich wert ist!», sagt sie, «Ich bin so dankbar für unsere Kinder.»
Action im Hühnerstall
Ob sie mitkommen wolle, um Hühner einzufangen, wurde sie eines Tages von einer Freundin gefragt. Silvia kam das erste Mal in eine Poulethalle und half mit, die Hühner auszustallen. Dabei werden die Tiere im Maststall von Hand eingefangen und in Transportkisten verstaut, in denen sie dann zum Schlachtbetrieb gebracht werden. Je nach Alter und Gewicht der Tiere werden manchmal bis zu 15 Hühner in eine Kiste geladen, der jeweilige Betriebsleiter gibt dazu vorher die Anweisungen bekannt. Meistens werden jedoch zwölf Poulets in denselben Transportkäfig geladen. Silvia begann damit, die Käfige zu befüllen, sie musste mitzählen, damit nicht zu viele oder zu wenige Tiere eingeladen wurden, und die Klappe am Käfig schnell wieder schliessen, wenn die Hühner drin waren. Man muss sich ganz schön konzentrieren inmitten der flatternden Hühner. Sie war sofort begeistert von dieser Arbeit, freute sich, die anderen Hühnerfänger(innen) kennenzulernen. Das war 2012, auf einem Betrieb in der Nähe, seither geht die zierliche Frau manchmal bis zu dreimal pro Woche in einen Hühnerstall und fängt das Federvieh ein. «Man darf nicht zimperlich sein, man muss einfach zupacken. Du musst das schon wollen», meint sie auf die Frage, was es braucht, damit man diese strenge Arbeit machen kann. Dazu steht sie manchmal mitten in der Nacht auf. Ein Arbeitsbeginn um 1.15 Uhr nachts oder im Winter auf verschneiten Strassen vor halb vier Uhr früh alleine auf der Strasse unterwegs zu sein, das macht Silvia nichts aus, im Gegenteil: «Wenn ich so mutterseelenallein zum Hühnerladen fahre, dann denke ich, dass ich wohl der glücklichste Mensch bin!» Sie geht dreimal pro Woche rennen, powert sich gerne aus, so auch im Hühnerstall. Zusammen am gleichen Ziel zu arbeiten, nach der Anstrengung gemeinsam mit den anderen Helfer(innen) einen guten Zvieri oder Zmorge zu geniessen, alle verschwitzt und nach Hühnerstall riechend, das macht Silvia glücklich. «Du lernst so viele interessante Menschen kennen, das ist so schön und es ist mir noch nie verleidet!», strahlt Silvia. «Ich habe nie Rückenschmerzen, dank meiner guten Gesundheit kann ich diese Arbeit machen», sagt sie ernst. Silvia ist eben eine richtige Powerfrau.
Ein Abschied, bis bald
Es ist Zeit, Silvia packt die Arbeitshandschuhe und die Staubmaske ein, das Gespräch für die BauernZeitung ist wie im Flug vergangen. Wir fahren gemeinsam zum Pouletproduzenten, es ist derselbe Hof, auf dem Silvia Stucki vor sieben Jahren zum ersten Mal Hühner eingefangen hat. Zeit für eine letzte Frage: Hat sie sich durch das Tanzen verändert? «Eigentlich nicht. Wenn ich tanze, bin ich einfach ich selbst», meint Silvia. «Du bist selbstbewusster geworden», hakt ihr Sohn Simon ein, der am Steuer sitzt. Silvia nickt. Ja, sie tanzt ein bisschen aus der Reihe, diese aufgestellte Persönlichkeit. Gut, dass bald wieder Line-Dance-Night ist, nämlich morgen Samstag, 23. November 2019, im Restaurant Rössli, Arnisäge in Arni BE. Türöffnung ist um 19.30 Uhr, Kurzentschlossene können dort Silvia Stucki und ihre Mitorganisatoren kennenlernen und das Tanzbein schwingen. Wer etwas mehr Vorlaufzeit braucht, hat dieses Jahr noch am Samstag, 28. Dezember 2019, Gelegenheit, die Line-Dance-Night im Rössli zu erleben. Denn so viel ist sicher: Silvia Stucki müssen Sie kennenlernen!