Redet man mit Produzenten, Verbandsvertretern, Beamten, Vor- und Nachdenkerinnen der Landwirtschaft, landet man über kurz oder lang beim Milchmarkt. Ist es nur eine kurze Erwähnung, dann ist sie meist nicht viel mehr als ein leises Stöhnen, ein Ächzen, begleitet von einer abwertenden Handbewegung. Bei den längeren Gesprächen geht es mal ums Versagen der Märkte, der Verbände oder der Branche; mal um Marktchancen und mal um die widersprüchlichen Anforderungen von Konsument(innen) und Wählerschaft und fast immer um den Milchpreis, der aus Produzentensicht immer zu tief ist. Selten ist der Blick auf den Milchmarkt wirklich positiv. Das ist nicht nur schade, es ist falsch und gefährlich. Der Milchmarkt ist nämlich besser als sein Ruf.
Es gibt Diskussionen auf Augenhöhe
Erstens hat der Milchmarkt mit der Branchenorganisation Milch (BOM) ein Gremium, in dem die Produzentinnen, die Milchhändler, die Verarbeiter und der Detailhandel einigermassen auf Augenhöhe miteinander diskutieren können. Obwohl Migros vor drei Jahren ausgetreten ist, funktioniert die BOM. In einem Markt mit über 19 000 Anbietern, rund 30 Milchhändlerinnen, knapp 1000 Käsereien, vier Grossmolkereien und zwei marktmächtigen Detailhändlern ist das eine Willensleistung, die nicht selbstverständlich ist.
Das Milch-ABC hat Vorteile
Zweitens kennt die Milchbranche die Segmentierung in A-, B- und C-Milch. In der Umsetzung ist das Milch-ABC zwar nicht ganz trivial, aber es gibt die Leitplanken für die Preisverhandlungen vor. Und es hilft, einen Markt zu stabilisieren, bei dem das letzte Kilo den Preis für die gesamte Menge bestimmt. Und die Branche schafft es, sich auf einen Standard für nachhaltige Milch zu einigen – ein Standard, der keine Minute zu früh kommt und die Zukunft der Schweizer Milch mit-prägen wird.
Im Milchmarkt spielt der Wettbewerb
Drittens kennt die Milchbranche Wettbewerb – und zwar nicht nur unter den Produzenten, sondern noch viel mehr unter den Milchhändlerinnen und den Verarbeitern. Wer schlecht bezahlt, kriegt keine bzw. weniger Milch. Das ist für die Produzentinnen gut, weil es die Preisweitergabe garantiert und die Milchindustrie wettbewerbsfähig hält. Ein gutes Beispiel dafür ist Emmi: Der Branchenprimus macht einen Reingewinn von 166 Millionen Franken – bei einem Umsatz von 3,5 Milliarden Franken ist das wenig, die Reingewinnmarge liegt bei weniger als fünf Prozent. Zum Vergleich: Nahrungsmittelmulti Nestlé arbeitet über alle Geschäftsbereiche mit einer Reingewinnmarge von knapp 14 Prozent. Kurz: Der Wettbewerb sorgt dafür, dass die Margen im Rahmen bleiben. Einzige Ausnahme bildet der Detailhandel. Dort hilft die Marktstruktur nicht, stattdessen sorgt der Einkaufstourismus für die nötige Demut bei der Margenfestsetzung.
Es gibt viele Kritikpunkte
Natürlich kann man die BOM dafür kritisieren, dass die Segmentierung kompliziert ist. Man kann sie dafür kritisieren, dass die ausbezahlten Milchpreise tiefer sind, als die Richtpreise. Und man kann ihr vorhalten, dass der Grüne Teppich nicht viel mehr ist, als ein Papiertiger, der für die Produzenten keine Wirkung hat. Man kann Emmi und die anderen Milchverarbeiter dafür kritisieren, dass sie zu wenig für die Vermarktung der Milch tun. Und man kann den Wettbewerb für falsch, gefährlich und vernichtend halten, weil er die Landwirtschaft zwingt, sich den Gesetzen der Industriegesellschaft unterzuordnen.
Der Milchpreis ist ein Endprodukt
Aber das alles greift zu kurz. Die BOM muss sich nicht primär für die Interessen der Milchproduzenten stark machen, sondern für die der ganzen Branche. Wer etwas anderes behauptet, ist ein Populist und hat nicht verstanden, dass der Kampf um den Milchpreis ein unendliches Spiel ist. Es geht darum, langfristig im Geschäft zu bleiben – und zwar für alle, die Produzenten, Verarbeiterinnen, Händler und Verkäuferinnen. Würden Emmi, Cremo, Hochdorf und Elsa zu wenig für die Vermarktung ihrer Produkte tun – die Molkereien würden von der Bildfläche verschwinden. Ebenso die Milchproduzenten, wenn sie wirklich zu wenig für ihre Milch erhalten würden. Der Milchpreis ist dabei nicht der Anfang, sondern das Ende; die Summe aller Anstrengungen, sowohl bei der Positionierung, den Preisverhandlungen und in Bezug auf die Rahmenbedingungen.
Chancen und grosse Bedeutung
Gewiss, der Milchmarkt ist nichts für schwache Nerven. Aber er bietet im In- und Ausland Chancen. Darauf gilt es aufzubauen. Wer von vornherein den Milchmarkt abschreibt, vergisst, dass es nach wie vor um einen der wichtigsten Teile der Schweizer Landwirtschaft geht – der rund einen Fünftel zur Gesamtproduktion beisteuert und für mehr als 19 000 Produzenten ein mehr oder weniger gutes (Teil-)Auskommen sichert.