Auf dem Industrie-Milchmarkt ist die Luft wieder einmal fast zu dick zum Schneiden. Per 1. Juli werden wie mehrmals berichtet die Preise für Industriemilch gesenkt. Das führt zu einem Hickhack und gegenseitigen Schuldzuweisungen.

Offener Brief als Auslöser

Den Anstoss zu den jüngsten Auseinandersetzungen gab diese Woche ein offener Brief der Bauernverbandspräsidenten von Nidwalden, Obwalden und Uri (s. Kasten unten). Diese prangern darin die Rolle von Schweizer Milchproduzenten (SMP) und Branchenorganisation Milch (BOM) an, welche die Milchbauern in den jüngsten Preisdiskussionen im Stich gelassen hätten.

Diesen Vorwurf wollten die Angesprochenen nicht auf sich sitzen lassen. Die SMP schreiben in einer Reaktion, dass man sich in der BOM mit vollem Elan für die Produzenten eingesetzt habe. Sie reichen den Schwarzpeter direkt weiter an die Erstmilchkäufer und Verarbeiter. «Abgemacht war, dass der Mehrerlös zu den Produzenten kommt und der A-Anteil der Milch im Corona-Umfeld in der zweiten Jahreshälfte steigt. Diese Zusagen müssen die Milchverarbeiter nun einhalten», schreiben die SMP (s. zweiten Kasten weiter unten).

Auch der Schweizer Bauernverband (SBV) zeigte sich in einer Mitteilung vom Mittwoch aufgebracht. Die Zustände auf dem Markt seien unhaltbar und man müsse nun sofort die grenzenlose Fantasie bei der Ausgestaltung von neuen Abzügen eingrenzen, so der SBV.

Selbst die BOM, in der die Verarbeiter mit am Tisch sitzen, zeigte sich betont produzentenfreundlich. Es gebe mehrere Gründe, die für eine Preiserhöhung sprechen würden, heisst es in einer Stellungnahme zum offenen Brief (s. dritten Kasten weiter unten). Zudem spielt man den Puck direkt an den Bund weiter: «Wir können es nicht beeinflussen, dass die Milchwirtschaft gegenüber anderen Produktionszweigen einem viel härteren internationalen Wettbewerb ausgesetzt ist und dadurch an Attraktivität verloren hat. Das hat viel mit unserer Agrarpolitik zu tun», so die BOM.

B-Milch führt zur Senkung

Stellvertretend für die angesprochenen Erstmilchkäufer und Verarbeiter äussern sich die ZMP, die den Basispreis per 1. Juli um 2,5 auf 53,5 Rp/kg senken. Die Senkung sei auf den Drittel B-Milch zurückzuführen, die direkt ans internationale Geschäft gekoppelt ist, das in der Corona-Krise stark unter Druck geriet. Der Marktprognose der BOM widersprechen die ZMP aber nicht und wecken Hoffnung: «Wir gehen aber auch davon aus, dass wir die Preise bald wieder erhöhen können, wenn nicht noch etwas Unvorhergesehenes auf den Märkten passiert», schreibt Sprecherin Carole Aschwanden.

Emmi wiederum werde die Preise für ihre Direktlieferanten gar nicht senken, sondern im Gegenteil um 0,5 Rp./kg erhöhen, so Sprecherin Sibylle Umiker. «Unser Milchpreissystem wird unverändert weitergeführt. Die Abzüge und Zuschläge werden quartalsweise entsprechend der Marktsituation angepasst», ergänzt sie.

 

Der offene Brief der Urschweizer Bauernverbände

Sehr geehrte Damen und Herren

Auf den 1. Juli 2020 wird eine Milchpreissenkung vorgenommen. Dies ist für unsere Milchproduzenten, aber auch für die Konsumenten nicht nachvollziehbar. Uns ist sehr wohl bewusst, dass der Markt im Ausland gesättigt ist, sich die Milchpreisdifferenz vergrössert hat und so die aus B-Milch hergestellten Exportprodukte unter Druck geraten sind. Da aber die Milcheinlieferungen im laufenden Jahr gegenüber dem Vorjahr eher tiefer sind und zugleich Butter importiert wird, kann der schweizerische Milchmarkt zwischen Angebot und Nachfrage auf einem gesunden Niveau eingestuft werden.

Als weiteres werden Millionen, die eigentlich für die Butterexporte bestimmt wären, zur Eiweissstützung umgelagert und frei gegeben. In der gleichen Zeitspanne werden von unseren Detaillisten Butteraktionen durchgeführt. Anhand der aktuellen Marktsituation wäre eine Anhebung des Butterpreises angemessener. Darum sollte es möglich sein, aus A-Milch Butter herzustellen und auf den Import von Butter zu verzichten, auch wenn dies für die Milchverwerter und Detaillisten nicht interessant ist. Zugleich wird von uns Milchproduzenten der Grüne Teppich gefordert, hinter dem wir als Produzenten grundsätzlich stehen. Der aber in den Bergregionen wegen der Topografie und den vielen Anbindeställen nur mit grossen Anstrengungen und teils finanziellen Herausforderungen umsetzbar ist.

Zum einen stellt die Dachorganisation Forderungen und Auflagen der eigenen Branche (Produzenten). Auf der anderen Seite werden gleichzeitig Importe von Butter und weiteren Produkten fast ohne Auflagen zugelassen. Für ein solches Verhalten haben Produzenten und Konsumenten kein Verständnis. Wir erwarten, dass sich SMP und BO Milch gegen eine Milchpreissenkung einsetzen. Unsere regionalen Milchorganisationen, welche für die Vermarktung und Logistik verantwortlich sind und einen guten Job machen, haben nicht die Möglichkeit eine Milchpreissenkung zu verhindern. Für die Milchproduzenten wird die Lage immer schwieriger. Wegen der unrentabel gewordenen Milchproduktion werden noch mehr Produzenten aufgeben. Neben der Milch- und Fleischproduktion gibt es in den voralpinen Gebieten nicht viele Alternativen, um auf andere Produktionsformen umzusteigen. Viele Betriebe geben auf. Hinter jeder Aufgabe steckt ein familiäres Schicksal. Soziale Probleme auf den Betrieben und innerhalb der Bauernfamilien nehmen zu. Dies kann zu Burnout, Scheidungen oder im schlimmsten Fall zu Suiziden führen. Das will niemand. Wir alle sind gefordert dieser Situation entgegenzuwirken. Für die produzierende Milchwirtschaft sind Rahmenbedingungen zu schaffen, welche die ganze Branche nachhaltig vorwärtsbringt.

Darum fordern wir, dass sich die SMP und die BO Milch wie eine Wettertanne verhalten, die den inneren Wald schützt, in unserer Situation für gute Bedingungen der Milchproduzenten sorgt. Die Wettertanne hat die Aufgabe den rauen Wind abzuwehren. Sie lässt sich bei einem Sturm nicht einfach fallen. Dies erwarten wir auch von den SMP und der BO Milch.

Für die Kenntnisnahme und Berücksichtigung unserer Forderungen danken wir Ihnen.

Freundliche Grüsse

Bauernverbände Nidwalden, Obwalden und Uri

 

 

Die Stellungnahme der SMP zum offenen Brief

Die BauernZeitung hat SMP die Möglichkeit zur Stellungnahme zum offenen Brief gegeben. SMP lässt das so nicht im Raum stehen und gibt dazu wie folgt Replik:

Butterpreis steigt!

Nachdem eine A-Richtpreiserhöhung im Februar 2020 in der BO Milch per 1. April 2020 abgelehnt wurde, hat SMP vor gut drei Monaten im aktuellen Marktumfeld mehrfach ein deutliches Preissignal für die Milchproduzenten gefordert und am 19. und 23. März 2020 die Position in den Medien klar und kantig festgehalten sowie über andere Kanäle x-Fach (Twitter etc.) repetiert:

  • Mehr Milch soll in die inländische Butterproduktion fliessen, anstatt zu einem tiefen EU-Preis (netto) in verarbeiteten Produkten exportiert zu werden.
  • Bei den verarbeiteten Produkten, welche in den Export gehen, sind Preiserhöhungen bei Rahm, Butter und Vollmilchpulver fällig. Bereits bei der Umstellung zum privatrechtlichen System anfangs 2019, mussten ungenügende Verkaufsleistungen konstatiert werden.
  • Sehr marktgerecht ist in der aktuellen Situation auch eine Anpassung der Fettpreise im Inland.

Dank unserem Engagement war der Weg für eine Butterpreisanpassung per 1. Juli 2020 um 50 Rappen je Kilo zumindest geebnet. Abgemacht war, dass der Mehrerlös zu den Produzenten kommt und der A-Anteil der Milch im Corona-Umfeld in der zweiten Jahreshälfte steigt. Diese Zusagen müssen die Milchverarbeiter nun einhalten!

Für die SMP macht es weiterhin wenig Sinn Butter über verarbeitete Produkte zum Weltmarktpreis zu exportieren, wenn gleichzeitig im Inland eine Unterversorgung besteht. Für die SMP haben die Wertschöpfung und der Inlandmarkt Priorität. SMP hat deshalb dem Antrag in der BO Milch zur sofortigen Importfreigabe von 1‘000 Tonnen Butter nicht zugestimmt und einen anderen Vorschlag unterbreitet. SMP ist mit dieser Haltung in der Minderheit. Auch die anderen Importe von weiteren Milchprodukten haben das Parlament und der Bundesrat mit der Freigabe des Veredelungsverkehrs gegen den Willen der SMP und der Milchproduzenten entschieden.

Im Weiteren gibt es aktuell keine Beschlüsse innerhalb der BO Milch, welche zum Zweck haben, Mittel für den Butterexport in die Eiweissstützung umzulagern. Wir verweigern uns keinen Diskussionen, fordern aber unmissverständlich einen Mehrwert für die Milchproduzenten. Es geht auch hier um Wertschöpfung. Anders lautende Aussagen sind schlicht falsch.

SMP ist vom Ergebnis der Milchpreisverhandlungen per 1. Juli 2020 aus der Zentralschweiz, welches  seit einigen Tagen auf dem Tisch liegt, ernüchtert und fordert eine Korrektur, insbesondere bei den zum Teil «phantasievollen» Abzügen. Die Bauernverbände Nidwalden, Obwalden und Uri müssen sich bewusst sein, dass sie mit der Kritik an SMP jene kritisieren, welche sich in der BO Milch als einzige und bis zum Schluss gegen die Importforderungen gewehrt haben, sich weiter wehren werden und auch den Blick für alle Milchproduzenten in der Schweiz im Fokus haben. Deshalb ist SMP bei der BO Milch dabei.

 

 

Stellungnahme der Branchenorganisation Milch (BOM) zum offenen Brief

Die Branchenorganisation Milch teilt die Sorgen der Milchbauern. Wir setzen uns im Rahmen unserer Möglichkeiten dafür ein, dass die Schweizer Milchwirtschaft auch in Zukunft ein wichtiges Standbein der Schweizer Landwirtwirtschaft bleibt. Dafür braucht es gute Rahmenbedingungen und es braucht Milchproduzenten, die genügend motiviert und genügend Mittel haben, Investitionen für die nächste Generation zu tätigen. Dafür braucht es Milchpreise, die solche Investitionen ermöglichen. Denn ohne Produktion gibt es keine Verarbeitung, wir wissen, dass alle aufeinander angewiesen sind.

Auf einen Teil der Rahmenbedingungen können wir Einfluss nehmen, auf einen Teil aber nicht. Wo wir einen Einfluss haben, tun wir unser Bestes: Wir haben mit dem Grünen Teppich die Basis gelegt, damit der Mehrwert der Schweizer Milch kommuniziert und mit einem Mehrpreis abgegolten werden kann; mit der Segmentierung schaffen wir es, den nationalen und den internationalen Markt zu trennen, damit im geschützten Bereich bessere Preise möglich sind. Die Richtpreiserhöhung vom 1. September hat nachweislich zu höheren Produzentenpreisen geführt, im Frühjahr 2020 waren die Milchpreise 3,5 Rp. höher als vor einem Jahr; wir setzten uns zudem intensiv dafür ein, dass der aus den höheren Butterpreise resultierende Mehrwert eins zu eins an die Milchproduzenten weitergegeben werden kann. Wo wir keinen oder wenig Einfluss nehmen können, sind die internationalen Milchpreise, von denen unser Milchmarkt zum Teil abhängt. Ebenso wenig können wir es beeinflussen, dass die Schweizer Milchwirtschaft gegenüber anderen Produktionszweigen einem viel härteren internationalen Wettbewerb ausgesetzt ist und dadurch an Attraktivität verloren hat. Das hat viel mit unserer Agrarpolitik zu tun.

Wo wir ebenfalls keinen Einfluss haben, sind die Milchpreisverhandlungen im Markt. Der offene Brief bemängelt Preissenkungen auf den 1. Juli. Wenn einzelne Marktakteure Preissenkungen ankünden, dann sollten diese direkt dazu Stellung nehmen. Wir sehen auf den 1. Juli durchaus gute Argumente für höhere Milchpreise: Die Butterpreiserhöhung wird dank der erwähnten Intervention der BO Milch an die Produzenten weitergegeben, die vertikalen Abzüge müssten dank 15 % höheren Beiträgen aus dem Fonds Rohstoffverbilligung um einige Rappen sinken und der B-Richtpreis steigt im Juli im Vergleich zum Juni um 2,4 Rappen pro Kilogramm. Und die Milch bleibt eher knapp.