Der Schweizer Milchmarkt war in den letzten zwanzig Jahren von Veränderung geprägt: Zuerst hat sich der Staat aus der Überschussregulierung zurückgezogen. Dann wurde am 1. Mai 2009 die Kontingentierung definitiv aufgehoben. Kommende Woche ist das genau zehn Jahre her. Für die Molkereimilchproduzenten verhiess der Rückzug des Staates nicht nur Gutes und setzte sie erheblich unter Druck.
Sich anpassen oder weichen
Denn der Rückzug des Staates aus dem Milchmarkt liess bzw. lässt ihnen bis heute nur drei Optionen: sie müssen wachsen, ihre Verkaufskanäle anpassen oder sie müssen weichen – entweder in neue Milchmarktsegmente oder ihr Glück ausserhalb der Milchproduktion suchen. Dass das alles passiert, zeigen die Zahlen und die jüngsten Entwicklungen in der Branche.
Die Milchproduzenten sind in den letzten zehn Jahren im Durchschnitt nämlich gewachsen und haben ihre Produktion ausgedehnt: 2010 gab es 26 097 Milchproduzenten, die im Durchschnitt 127 000 kg Milch produzierten. 2018 vermeldeten die Statistiken einen Milchproduzentenbestand von 19 568, die durchschnittliche Produktion betrug gut 170 000 kg Milch.
Mehr und mehr Käsesorten
Der Milchbranche dämmerte es schon beim Ausstieg aus der Kontingentierung, dass die Wertschöpfung nur erhalten werden kann, wenn der geschützte Inlandmarkt auch entsprechend beliefert werden kann. Dazu hat man die Segmentierung geschaffen. Weil die Segmentierung am Absatzproblem nicht viel änderte, kommt jetzt noch die Mehrwertstrategie der Branchenorganisation Milch hinzu. Diese soll im Juli mit einer Auszeichnung auf der Packung und ab September mit einem Preisbonus von 3 Rp/kg auf A-Milch eingeführt werden.
Zudem ist seit der Liberalisierung des Käsemarktes 2006 die Zahl der Käsesorten rapide gestiegen: Molkereien und Käsereien setzen auf eigene Marken, eigene Konzepte und eigene Ideen, Kunden zu erreichen.
Und dann sind da noch die Mutterkuhhalter, deren Zahl in den letzten Jahren gestiegen ist – weil es für viele kleinere und mittlere Betriebe attraktiver ist, ein paar Mutterkühe zu halten, als jeden Morgen und jeden Abend im Stall zu stehen und zu melken.
Für jede Milch ihren Preismechanismus
Mit der neuen Marktordnung im Milchmarkt und der daraus folgenden Differenzierung ist die Komplexität fast exponentiell gestiegen: gab es früher einfach Milch mit einem Fettgehalt von 4,5 Prozent und einem Proteingehalt von 3,3 Prozent, gibt es heute mindestens Heu-, Wiesen-, Bio-, Silo- und A2-Milch. Es gibt Milch, die wird für Sortenkäse verwendet. Und es gibt Milch, die in irgendwelchen Billigkäsen oder in neuen Molkereiprodukten verarbeitet wird. Für jede einzelne Milch gibt es einen eigenen Preisbildungsmechanismus, der einerseits über die Segmentierung in A-,B- und C-Milch und andererseits vom Wechselspiel zwischen Angebot und Nachfrage bestimmt wird.
Wer kümmert sich um die Überschüsse?
Ausserdem ist mit dem Rückzug des Staates die Milchmarkt-Regulierung seit zwanzig Jahren Sache der Milchbranche. Wer sich daran beteiligt – so wie das Cremo, Emmi und Hochdorf machen, bezahlt in der Folge tiefere Milchpreise. Da die Produktion monatlich schwankt, bleibt die Antwort auf die Frage, wer sich um die Überschüsse kümmert, weitestgehend eine Vereinbarung unter den Marktakteuren. Zwar hat die Nachfolgelösung des Schoggigesetzes dazu geführt, dass die Gelder für die Überschussregulierung aufgestockt wurden. Trotzdem schleckt keine Geiss weg, dass die Milchproduzenten, die an einen Regulierer liefern, in der Tendenz schlechter dran sind als jene, die das nicht machen (müssen). Die Folge sind Milchpreisdifferenzen, die gut und gerne zwanzig bis vierzig Rappen betragen können.
Kontingentierung noch lange nicht tod
Regelmässig taucht deshalb die Frage auf, ob es eine wie auch immer geartete Mengensteuerung braucht, um genau diese Unterschiede zu glätten. Entsprechend ist mindestens politisch die Kontingentierung nicht totzukriegen. Noch immer geistert im Bundeshaus die Idee umher, den Milchmarkt zentral zu verwalten und zu lenken. Wer es als Politiker schaffen sollte, eine Mengensteuerung wieder einzuführen, dem müssten der Bauernverband und die SMP ein Denkmal setzen. Weil aber die Schweiz insgesamt stark von internationalen Verbindungen abhängig ist, wäre es der falsche Weg. Der Ausstieg aus der Kontingentierung vor zehn Jahren hat ausserdem gezeigt, wie stark die Milchproduzenten selbst wachsen wollen bzw. müssen, um ihre Betriebe wirtschaftlich erfolgreich führen zu können. Diesem Zwang kann kein Gesetz und keine Verordnung, sondern nur die Natur Grenzen setzen.