In der Obst- und Gemüsebranche herrscht zurzeit erhöhte Nervosität. Das ist nicht nur auf die bevorstehenden Abstimmungen zurückzuführen. Für Unmut und Besorgnis sorgen auch neue Vorschriften vonseiten Detailhandel.
Schärfer als SwissGAP
Am meisten Staub wirbelt derzeit eine neue Vereinbarung zwischen Denner und seinen Lieferanten auf. Diese wurde direkt an die Produzenten weitergegeben, die aufgefordert werden, die neuen Vorschriften gutzuheissen. Darin werden schärfere Massnahmen verordnet, als sie im Branchenstandard SwissGAP festgelegt sind. Diese lauten wie folgt:
Anforderung 1: Der nachgewiesene Gehalt eines Wirkstoffrückstandes darf maximal ein Drittel des gesetzlichen Höchstgehaltes betragen. Bei SwissGAP sind dies 100 Prozent.
Anforderung 2: Die Summe der prozentualen Auslastung darf maximal 80 Prozent der gesetzlichen Höchstmenge aller Wirkstoffrückstände betragen. Bei SwissGAP gibt es hier keine Vorschriften über die gesetzliche Höchstmenge hinaus.
Anforderung 3: Die Anzahl von Wirkstoffrückständen ist scharf begrenzt, bei SwissGAP gibt es zwischen Produkt i. O. und nicht i. O. einen Sensibilisierungsbereich von einem zusätzlichen Produkt, das noch nicht zu Sanktionen aber für einen Vermerk sorgt.
Branchenbrief an Denner
Die Massnahme von Denner stösst bei vielen Produzenten auf Unverständnis. «Wir haben mit SwissGAP das europaweit beste Rückstandsmonitoring», sagt Thomas Wyssa, Gemüseproduzent und Vorstandsmitglied des Dachverbands VSGP. Es sei bedauerlich, dass gewisse Kunden nun aus dem System aussteigen und selber festlegen wollten, was noch erlaubt sei, um sich von der Konkurrenz abzuheben.
Ein anderer Produzent, der namentlich lieber nicht genannt sein möchte, erklärt seine Frustration über den Entscheid von Denner wie folgt: Der zunehmende Preis- und Rationalisierungsdruck habe dazu geführt, dass sich die Produzenten stärker spezialisiert haben. Dadurch bieten sie weniger Gemüsearten für eine grösser Zahl von Abnehmern an. Wenn nun jeder Abnehmer eigene Regeln definiere, werde die Produktion immer komplexer. Für jeden Abnehmer brauche es einen eigenen Spritzmittelplan und das sei in der Praxis fast nicht mehr umsetzbar. Das sei «eine Katastrophe», so sein Fazit.
Die Unzufriedenheit ist auch bei den Branchenverbänden gross. In einem gemeinsamen Brief haben sich der VSGP, der Schweizer Obstverband (SOV), der Kartoffelproduzentenverband VSKP, der Dachverband Swisscofel und der Verein SwissGAP an Denner gewandt. Darin heisst es unter anderem, dass die Anforderungen von Denner in mehreren Punkten der guten Agrarpraxis widersprächen und nicht umsetzbar seien. Zum Teil gefährdeten sie auch die Lebensmittelproduktion, da alle Punkte, in denen sie nicht umgesetzt werden können, zu Ernteausfällen, Food Waste und Qualitätseinbussen führten.
Die Unterzeichnenden schlagen Denner vor, die verschärften Vorschriften in Form eines Antrags an den Verein SwissGAP zu formulieren. Dieser werde eine Arbeitsgruppe einberufen, welche den Antrag auf Praxistauglichkeit überprüfen und Massnahmen ausarbeiten werde. Es sei wichtig für die Branche, dass weiterhin mit einem gemeinsamen Standard gearbeitet werden könne.
Denner: Kunden wollen das
Denner hat unterdessen geantwortet und dort sein Vorgehen begründet, wie Sprecher Thomas Kaderli auf Anfrage erläutert. Er erinnert an die Rückstand-Tests durch diverse Konsumentenmedien wie «Saldo» und «Kassensturz» und an das heutige Kundenbedürfnis nach einer Reduktion der Pestizidrückstände, denen Denner mit seinem Vorgehen Rechnung trage. Nachdem man erfolglos versucht habe, sich auf anderem Weg Gehör zu verschaffen, habe man nun beschlossen, die Vorschriften wie erwähnt zu verschärfen. Kaderli erinnert an die grossen Abnahmevolumen des Unternehmens, die Denner in den letzten Jahren «massiv ausgebaut» habe und mit seinen gut 830 Filialen landesweit abnimmt, betont aber, dass man gesprächsbereit sei.
Runder Tisch beim Obst
Auch Swisscofel-Präsident Martin Farner wünscht sich eine Klärung der Situation durch Gespräche. Er erinnert daran, dass Denner kein Einzelfall ist. Man sitze derzeit beispielsweise mit Migros gemeinsam an einem runden Tisch, wo verschärfte Nachhaltigkeits-Forderungen des Detailhandel in Sachen Obstbau diskutiert würden.
«Wir sind in der Schweiz zu klein für individuelle Lösungen für jeden Abnehmer», sagt Jimmy Mariéthoz, der Direktor des Schweizer Obstverbands. Deshalb suche man nach einer nationalen Branchenlösung. Auslöser für die Gründung der Arbeitsgruppe war ein im vergangenen Jahr von Migros entwickeltes Nachhaltigkeitskonzept für den Obstbau. Hier gehe es darum, gemeinsame Lösungen zu suchen, so dass für die Produzenten ein einheitlicher und nach Label abgestufterAnforderungskatalog erarbeitet werden kann.
Coop verschärfte schon 2017
Schon 2017 hatte Coop Schlagzeilen gemacht mit verschärften Anforderungen. Der Grossverteiler hatte damals beschlossen, statt der Liste der offiziell zugelassenen Pflanzenschutzmittel, diejenige mit den Empfehlungen der Weltgesundheitsorganisation WHO zu verwenden.