In der Schweiz werden jährlich rund 200 000 Mastkälber geschlachtet. Schweizerinnen und Schweizer essen knapp 2 kg Kalbfleisch pro Kopf und Jahr. Das ist nicht besonders viel und wie die Statistik zeigt, nimmt dieser Konsum auch kontinuierlich leicht ab. Die Gründe dafür sind vielseitig. Der schwerwiegendste ist wahrscheinlich der hohe Preis. Kalbsgeschnetzeltes kostet fast das Doppelte von Pouletgeschnetzeltem. Wenn es dann noch ein Label hat, ist der Preisunterschied noch grösser.
Man kocht heute anders
Zudem sind auch die Kochgewohnheiten der Schweizer anders geworden. Rezepte wie Kalbsbraten oder Zürcher Geschnetzeltes sind nicht mehr so beliebt wie vor 30 Jahren. Heute kocht die Schweizerin lieber ein asiatisches Wok-Gericht und da kommen entweder Poulet oder gar Tofu rein. Dabei könnte man ebenso gut Kalbsgeschnetzeltes dafür verwenden, nur wird es halt in keinem gängigen Rezept empfohlen. Junge Köche und Köchinnen suchen Rezepte oft im Internet (z. B. Fooby, Swissmilk). Dort gibt es zahlreiche Rezepte mit Kalbfleisch. Aber warum kauft es niemand?
Die rosa Farbe zeigt die Tiergesundheit
Nebst dem hohen Preis hat das Kalbfleisch noch ein anderes Problem. Die Kälbermast im konventionellen Stil ist nicht wirklich sexy. Noch immer ist in den Köpfen der Leute, dass Kalbfleisch weiss ist, weil die Kälber rein mit Milch ernährt werden. Dies führte logischerweise zu einem Eisenmangel bei den Kälbern. Bereits seit 1991 müssen die Kälber aber gemäss Tierschutzgesetz mit genügend Eisen versorgt werden. Und seit 2013 ist es gar Pflicht, ab der ersten Woche Heu oder ein anderes rohfaserreiches Futter anzubieten. Daher ist Kalbfleisch eben heute nicht mehr weiss, sondern rosa. Trotzdem ist es immer noch sehr zart und seither umso gesünder. Kalbfleisch hat keinen starken Geschmack und könnte somit gut mit Pouletfleisch mithalten.
Antibiotika werden unumgänglich, zum Wohle der Kälber
Ein weiterer Makel, welcher der Kälbermast anhaftet, ist der Antibiotikaverbrauch. Kälber sind die Tiergattung mit dem höchsten Antibiotikaverbrauch. Denn Kälber werden im gängigen Produktionsmodell genau zu dem Zeitpunkt auf den Mastbetrieb verschoben, in dem ihr Immunsystem am schwächsten ist. Bereits beim Transport werden die Kälber von den verschiedenen Betrieben zusammengeführt und dann als Gruppe auf einen Mastbetrieb gebracht. Der Transport bedeutet Stress für die Tiere und sie kommen mit einer Unzahl von unbekannten Keimen zusammen. Da ist es fast unumgänglich, dass in konventionellen Mastbetrieben direkt zum Einstallen eine Medizinierung mit Antibiotika nötig ist. Auch dies geschieht zum Wohle der Kälber, damit diese nicht krank werden.
Mastkälber haben keine Priorität
Ideal wäre, wenn die Kälber länger auf dem Geburtsbetrieb bleiben könnten. Dies kollidiert jedoch mit den gängigen Produktionssystemen. Bereits von der Geburt an gibt es jedoch viele Voraussetzungen, die ein Bauer verbessern kann, damit seine Kälber eben eine bessere Immunisierung haben und somit weniger krankheitsanfällig sind. Und genau mit diesen Faktoren versuchen nun diverse «Gesundheits-Tränker»-Projekte zu arbeiten. Denn die Initianten gehen davon aus, dass bei einem perfekten Management praktisch kein Antibiotikaeinsatz mehr nötig ist. Doch wie will man die Bauern dazu bringen, diesen Zusatzaufwand auf sich zu nehmen? Denn die Kälber, die in die Mast gehen, stehen bei ihnen oft nicht zuoberst auf der Prioritätenliste.
Es braucht Aufklärungsarbeit
Natürlich müsste dieser Mehraufwand finanziell abgegolten werden. Sonst macht eine Produktion keinen Sinn. Doch sind die Konsumenten wirklich zu diesem Preis bereit? Dazu müsste sich die Kommunikation rund um die Kälbermast und das Kalbfleisch massiv verbessern. Besonders die Detailisten halten sich mit Aktionen und Werbekampagnen für Kalbfleisch zurück. Es ist schwierig, dem Konsumenten zu erklären, warum er jetzt Kalbfleisch essen soll. Dabei könnte gerade an der Ethik angeknüpft werden. Wer Milch trinkt und Käse isst, muss auch Kalbfleisch essen, so einfach ist das.
Warum Kalbfleisch etwas Gutes ist
Doch wie gross ist dabei das Risiko, dass die Leute dann aufhören, Milch zu trinken und Käse zu essen, wenn sie diesen Zusammenhang begreifen? Die Schweizer Landwirtschaft muss dringend dafür sorgen, dass unsere Kälber weiterhin als Lebewesen geschätzt werden und nicht zum Abfallprodukt werden, wie sie dies bereits in vielen anderen Ländern sind. Wenn wir ehrlich die Haltungsbedingungen und das Tierwohl verbessern und dies auch kommunizieren, können die Leute verstehen, dass Kalbsfleischkonsum etwas Gutes ist und eine besonders vernünftige Spezialität.